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Tributylzinn im Fisch, Dioxin in Hühnereiern: Seit Jahren hetzen wir von einem Lebensmittelskandal zum nächsten. Nun scheinen sich die Skandale weiter zu beschleunigen. „Nitrofen-Gate“ war noch nicht annähernd aufgedeckt, da meldeten die Medien schon die nächste Hiobsbotschaft: Schädliche Nitrofurane in Geflügel-Importen aus Brasilien und in Zucht-Garnelen aus Thailand. Kurz zuvor schon schreckten mit Chloramphenicol belastete Zucht-Garnelen aus China die Verbraucher. Nicht in die Schlagzeilen der nun 50jährigen Bild-Zeitung und der TV-Sender gelangten die vergangenen April entdeckten türkischen Paprika, die extrem mit dem gefährlichen Insektizid Methamidophos verseucht waren. Und auch die jüngste, besorgniserregende Meldung des Forschungszentrums Jülich über Tomaten und Äpfel, die stark mit Nonylphenolen belastet sind, schaffte es (noch?) nicht auf die Titelseite der großen Massenmedien. Dennoch haben alle diese Skandale etwas gemeinsam. Sie haben ihre eigentliche Ursache in der chemischen Industrie und in einer von ihr abhängigen Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Und sie werden mit Sicherheit nicht die letzten Horrormeldungen sein. Im Gegenteil. Die publizierten Skandale sind erst die Spitze eines Eis- beziehungsweise Giftbergs, der den Verantwortlichen seit vielen Jahren zwar bekannt, aber wahrscheinlich über den Kopf gewachsen ist. Denn die Anzahl der von der chemischen Industrie in den Handel und in die Welt gesetzten chemischen Wirkstoffe ist fast unüberschaubar, geschweige denn wirklich kontrollierbar geworden. Laut Welternährungskommision (FAO) seien bereits über 70.000 verschiedene Chemikalien auf dem Weltmarkt. Ein Großteil davon kommt oder kam in der industriellen Landwirtschaft zum Einsatz. Denn viele Mittel sind inzwischen per Gesetz in der EU oder weltweit verboten, doch verschwunden sind sie deswegen noch lange nicht. Sie lagern vor allem in der sogenannten Dritten Welt oder in den ehemaligen Ostblockstaaten. Schon 1997 warnte die FAO davor, daß rund 100.000 Tonnen ungenutzte und längst verbotene Pestizide Menschen und Umwelt in den Entwicklungsländern bedrohen. Die Warnung wurde 1998, 1999 und nochmals 2001 wiederholt. Inzwischen geht die FAO von über 500.000 Tonnen unsachgemäß gelagertem Pestizid-Giftmüll in den Entwicklungsländern und in den Staaten des ehemaligen Ostblocks aus. "Der Giftmüll hat sich nach FAO-Angaben in den vergangenen 30 Jahren angesammelt und wächst weiter an", schreibt das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in seinen Nachrichten über Welternährung und Weltlandwirtschaft im Mai 2001. Es handele sich dabei um einige der gefährlichsten Insektenbekämpfungsmittel wie Aldrin, Chlordan, DDT, Dieldrin, Endrin und Heptachlor, sowie um Organophosphate. Oft lägen Tonnen mit Pestiziden für jeden zugänglich im Freien oder in einfachen Hütten. Außer Chemikalien gehörten noch verseuchte Spritzgeräte, leere Pestizidtonnen, verseuchte Kartons und Mengen an hochverseuchten Böden zu den Altlasten. Bei jährlich rund 8 Millionen Tonnen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die allein Deutschland aus den Entwicklungsländern importiert, mußte jedem Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitiker längst klar sein, daß hier auch für uns eine Zeitbombe tickt. Bis heute wurde das Problem aber noch nicht einmal Ansatzweise gelöst. Denn eine einigermaßen umweltfreundliche und gesundheitsunschädliche Beseitigung von Pestiziden und Pestizidaltlasten ist teuer. Laut FAO koste dies etwa 3.500 bis 5.000 US-Dollar je Tonne. Umgerechnet auf 500.000 Tonnen wären dies Kosten von rund 2,5 Milliarden Euro, die jedoch niemand tragen will. Lediglich etwa 3.000 Tonnen von in Entwicklungsländern gelagerten Altpestiziden wurden bisher in Hochtemperatur-Öfen vernichtet. Die Kosten hierfür trugen die europäischen Steuerzahler, die auch bereits für die Herstellung dieser Pestizide bezahlt hatten. Denn die beseitigten Altpestizide waren im wesentlichen Reste der Entwicklungshilfe. Die chemische Industrie jedoch, die diesen Giftmüll erst produziert und dann für gutes Geld in alle Welt verscherbelt hat, kommt bis heute ungeschoren davon. Sie haftet nicht für die Folgen ihrer Produkte. Dabei trägt sie die Hauptverantwortung für diese überall verstreut lagernden Giftberge. Von der Politik gedeckt produziert sie aber täglich weiter ihre Giftcocktails und erfindet ständig neue. Jährlich, so die FAO, bringe die chemische Industrie etwa 1.500 neue Substanzen auf den Markt. Die deutsche Pestizid-Industrie hat sogar keine Skrupel davor, selbst in Europa längst verbotene Pflanzenschutz-Gifte fleißig für den Export in die Dritte Welt und in die ehemaligen Ostblockstaaten weiterzuproduzieren. So auch Nitrofen. Seit 1988 ist dieses Herbizid in der Europäischen Union verboten. Dennoch wurde Nitrofen, so fand das Pestizid Action Network (PAN) heraus, noch bis vor kurzem (2001) in Deutschland weiter hergestellt und ungehindert exportiert! Nicht nur nach Ansicht von Greenpeace ist es deshalb nicht länger hinnehmbar, „dass Konzerne, die jahrelang an dem Gift verdienten, für die Spätfolgen überhaupt nicht haften müssen.“ Der Naturschutzbund (NABU) fordert nun Pestizidabgabe zur Entschädigung von Landwirten. Doch dies allein reicht nicht aus. Schließlich belasten Pestizide auch die Trinkwasserressourcen, tragen zum globalen Artenverlust bei und führen bei einer unbekannten Zahl von Menschen zu erheblichen Gesundheitsschäden. Im Falle des Nitrofen-Skandals kommen darüberhinaus noch Kosten für die Öko-Branche durch Image-Schäden und Umsatzeinbußen in Millionenhöhe hinzu. Der Verursacher der Giftstoff- und Pestizid-Flut, die chemische Industrie, müßte künftig auch die Lebensmittelkontrollen auf eben diese Stoffe finanzieren. Bisher zahlen lediglich der Steuerzahler und der Verbraucher von Öko-Nahrungsmitteln durch erhöhte Nahrungsmittelpreise die Kontrollen. Doch dieses System ist nicht nur unterfinanziert, sondern vor allem ungerecht, benachteiligt es doch gerade gesundheitsbewußte Verbraucher und die ökologische Landwirtschaft, die keine Pestizide einsetzt. Das Verursacherprinzip muß deshalb auch in der Agrarindustrie endlich zum tragen kommen. Unser Nachbarland Dänemark beispielsweise hat die negativen Folgen der Pestizide für Umwelt und Volkswirtschaft schon lange erkannt und vor 16 Jahren, 1986, einen Pestizid-Aktionsplan gestartet. Sein Kernpunkt ist eine Steuer auf chemische Pflanzenschutzmittel, die die dänische Regierung 1996 nochmals deutlich erhöhte. Nach ersten Zahlen der dänischen Umweltschutzbehörde ging der Pestizidverbrauch in Folge des Aktionsplans in Dänemark bis 1996 um 37 Prozent zurück. Gleichzeitig stellten - auch dank weiterer staatlicher Hilfen - immer mehr dänische Landwirte auf Öko-Produktion um. Von 1990 bis 2000 verzwanzigfachte sich die Öko-Anbaufläche in Dänemark. Die Pestizid-Steuer Dänemarks zeigt die Richtung an, in die auch Deutschland - als Antwort auf den Nitrofen-Skandal - gehen sollte. Chemische Industrie und konventionelle Landwirtschaft müssen ihre Folgekosten endlich selbst tragen, womit automatisch konventionelle Produkte teurer und Öko-Produkte im Gegenzug billiger würden. 100 Prozent Öko-Anbau wäre dann keine Utopie mehr, sondern eine logische Folge. Obendrei schüfen wir dadurch Tausende von ökologischen Arbeitsplätzen, da der Öko-Anbau deutlich mehr Handarbeit erfordert als der Anbau mit der Chemischen Keule.< Anmerkungen zu Nitrofen: Nach Einschätzungen des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin kann für Nitrofen keine gesundheitlich unbedenkliche Dosis festgelegt werden. Vor allem Schwangere sind gefährdet, da das Pestizid fruchtschädigend wirkt. Schon extrem geringe Mengen könnten zu Mißbildungen beim Embryo führen.< Anmerkungen zu Nonylphenole: Sie sind ein Abbauprodukt von Nonylphenolethoxylat und werden für Mißbildungen, Fruchtbarkeitsstörungen und Krebs verantwortlich gemacht. Sie haben eine hormonelle Wirkung wie Östrogen. Jährlich werden etwa 600.000 Tonnen von Nonylphenolethoxylate als Tensid in Haushalt, Industrie und Landwirtschaft eingesetzt. Das Forschungszentrum Jülich fand das Abbauprodukt dieses Tensids, Nonylphenole, bereits in über 60 verschiedenen Lebensmitteln, vor allem in Tomaten und Äpfeln. Die Forscher vermuten, daß Nonylphenolethoxylate auch bei der Herstellung von Pflanzenschutzmittellösungen eingesetzt werden.< Anmerkungen zu Methamidophos: Kein Lebensmittel in der EU darf mit diesem Insektizid belastet sein. Es gilt die Nulltoleranzgrenze von 0,01 mg/kg. Die Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg entdeckte aber vergangenen April in 14 von 15 getesteten Gemüsepaprika aus der Türkei eine erhebliche Belastung mit dem Insektizid in der Größenordnung von 0,04 bis 0,51 mg/kg. Diese Paprika dürfe deshalb nicht mehr weiter verkauft werden. Türkische Paprika sind bundesweit im Handel. Haben auch die bayerischen Behörden Gemüse auf Methamidophos überprüft?<
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