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Im Rahmen des Kongresses stellen Sie die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu regionalen Ernährungssystemen und nachhaltiger Landnutzung im Stadt-Land-Nexus vor. Was war das Anliegen des Projektes? Stephanie Wunder: Ausgangspunkt des vom Umweltbundesamt geförderten Projektes "Rural Urban Nexus" (RUN) war die Frage, welche Ansätze sich für die Entwicklung tragfähiger Verbindungen städtischer und ländlicher Räume eignen. Dieses Thema steht in der Politik weit oben auf der Agenda, da die Lebensverhältnisse in Stadt und Land sehr unterschiedlich sind, und sich das - nicht nur in Deutschland - immer wieder auch in Wahlergebnissen zeigt. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im September 2018 zum Beispiel die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" eingesetzt, die aktuell Vorschläge erarbeitet. Unser RUN Projekt hat sich konkret mit der Frage befasst, welche Ansätze zu einer nachhaltigen Landnutzung zwischen Städten und ihrem unmittelbaren Umland beitragen, gerade da das beständig zu hohe Wachstum von Siedlungs- und Verkehrsflächen in Deutschland zu Lasten von Naturschutz, Weideund Ackerflächen geht. Aber auch weil eine administrationsübergreifende und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Planung der Landnutzung, für die Wasserver- und - entsorgung, die Nahrungsmittelversorgung, die Abfallentsorgung und das Schließen von Nährstoffkreisläufen eine große Rolle spielt. Unser Projekt suchte breit nach Wegen für eine bessere Stadt-Land-Vernetzung - und identifizierte dabei schnell die Chancen, die regionale Ernährungsstrategien und die Ernährungspolitik bieten! Welches sind die grundlegenden Erkenntnisse? Stephanie Wunder: Bislang wird in der Praxis noch wenig daran gearbeitet, eine abgestimmte Entwicklung von Stadt und Umland voranzubringen. Hier gibt es also noch viel zu tun. Zunächst mangelt es an Datengrundlagen zum besseren Verständnis der aktuellen Verknüpfung zwischen Stadt und Umland und der Erfassung der Probleme und Chancen, da Informationen immer nur in städtischen oder ländlichen administrativen Grenzen erfasst werden, und nicht in der Interaktion. Vor allem aber stellt sich die Frage, wie ein solch komplexes Thema und eine sektor- und administrationsübergreifende Zusammenarbeit konkret angegangen werden kann. Kernerkenntnis des Projektes ist, dass Ernährungspolitik beziehungsweise die Entwicklung regionaler Ernährungsstrategien hier ein sehr geeigneter Ansatzpunkt sind. Dass dies noch ein sehr junges Politikfeld ist, ist dabei Segen und Fluch zugleich: Einerseits ist das Thema noch nicht klar in den städtischen Verwaltungen verortet und wird (wenn überhaupt) zu Teilen im Bereich Gesundheit, Verbraucherschutz, Umwelt oder Landwirtschaft angesprochen. Und das, obwohl es vor nicht einmal 70 Jahren noch eine Kernaufgabe der Städte zum Zweck der Ernährungssicherung war! Der Mangel an einer bestehenden klaren Zuordnung birgt aber auch die Chance, dass die Entwicklung von Ernährungsstrategien nicht schon durch einen bestimmten Sektor dominiert wird und der Austausch zwischen Verwaltungseinheiten unvoreingenommen geschehen kann. Und auch die Kooperation zwischen Stadt und Land, die beim Ausbau von Verkehr, Wirtschaft und Infrastruktur oft nicht auf Augenhöhe geführt wird, sondern städtisch dominiert ist, hat hier bessere Ausgangsvoraussetzungen: Keine regionale Ernährungsstrategie kann ohne eine koordinierte regionale Landnutzungsplanung funktionieren! Andererseits fällt es Stadtverwaltungen oft schwer, zusätzliche Stellen zu schaffen. Die Ergebnisse der Vorreiterstädte mit Ernährungsstrategien und der Ökomodellregionen zeigen aber wie gut sich diese Arbeit auszahlt. Die Debatte zu den Potenzialen regionaler Ernährungsstrategien für die Etablierung nachhaltiger Stadt-Umland-Beziehungen ist noch relativ jung in Deutschland - welche Ansätze gibt auf europäischer bzw. internationaler Ebene? Stephanie Wunder: Bei der Entwicklung von regionalen Ernährungsstrategien ist Deutschland noch immer ein Entwicklungsland. Hier kann viel von Beispielen innerhalb und außerhalb Europas gelernt werden, auch wenn die Motivationen und Ausschlagpunkte für regionale Ernährungsstrategien häufig ganz verschiedene Ursachen hat: In Brasilien steht und stand z.B. die Frage der Sicherung von gesunden und erschwinglichen Nahrungsmitteln für die Ärmsten im Mittelpunkt, in Toronto spielte die Widerstandsfähigkeit und Versorgungssicherheit bei Starkregenereignissen und Stromausfällen ein Rolle, in Amsterdam die hohe Zahl übergewichtiger Kinder, in Kopenhagen die Frage der Grundwasserqualität. Der Fakt, dass der 2015 im Rahmen der Expo in Mailand ins Leben gerufene "Milan Urban Food Policy Pact", durch dessen Unterzeichnung sich BürgermeisterInnen zu der Entwicklung einer urbanen Ernährungspolitik bzw. -strategie verpflichten, bislang durch mehr als 180 Städte weltweit unterzeichnet wurde, die zusammen knapp eine halbe Milliarde Menschen repräsentieren, zeigt wie groß das wachsende Interesse an dem Thema ist. Welche Rolle spielt das Thema Stadt-Land-Vernetzung aus Ihrer Sicht generell im Rahmen der Ernährungspolitik? Stephanie Wunder: Die Stadt-Umland-Vernetzung spielt als Teil der Ernährungspolitik eine ganz wesentliche Rolle. Denn ein wichtiger Grundpfeiler neben der Notwendigkeit für andere Produktions- und Konsumpraktiken, eine Erhöhung des Anteils der Bio-Lebensmittel, geringerer Lebensmittelverschwendung etc. ist die Steigerung der regionalen Nahrungsmittelversorgung. Auch da in Deutschland (und weltweit) schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten lebt - Trend steigend - muss auch die Ernährungsversorgung neu gedacht werden. Das fängt bei einer Siedlungsflächenplanung an, die wertvolle Ackerflächen schont, geht über das Schließen von Ressourcen- und Nährstoffkreisläufen und hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass die Menschen wieder dichter an "ihre" Lebensmittelproduktion kommen müssen, um die Grundlagen für eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln zu legen. .und für eine mögliche Ernährungswende? Stephanie Wunder: Für die Ernährungswende ist das Thema "regional" ein guter Startpunkt für den öffentlichen Dialog darüber, welche Nahrungsmittel und Ernährungsweisen wir haben wollen und wie unsere Landwirtschaft aussehen soll. "Regional" bündelt dabei oft verschiedene Bedürfnisse: den Wunsch, wieder zu wissen, wo das Essen herkommt, dem Produzenten vertrauen zu können, etwas für die Wirtschaft in der eigenen Region tun zu können, den Bezug zu Heimat und regionalen Traditionen zu stärken, mehr über den Anbau und die Lebensmittel zu erfahren etc. Die oben aufgezeigten Synergien von regionalen Ernährungsstrategien in den Bereichen, Gesundheit, Resilienz, Umweltschutz, Verbraucherschutz und so weiter zeigen, dass es hier zu vielen positiven "Mitnahmeeffekten" kommen kann. Nicht zuletzt ist die Erarbeitung regionaler Ernährungsstrategien eine gute Chance und ein niederschwelliges, attraktives Thema, um die viel gewünschten partizipative Prozesse mit BürgerInnen in Städten zu starten. Was empfehlen Sie den Vertretern aus Kommunen in dem Kontext? Was können einzelne Städte und Gemeinden in den Fokus rücken? Stephanie Wunder: Am wichtigsten ist es, die Erstellung einer Ernährungsstrategie als Prozess zu begreifen, in dem die unterschiedlichen Expertisen (nicht "Interessenvertreter") rund um das Thema nachhaltige Ernährung aufeinandertreffen und in der Abwägung der unterschiedlichen Argumente zu einer lokal angepassten Lösung gelangen. Auch wenn es einige wichtige Aspekte zu planen gilt, sollte das Motto sein: Einfach anfangen! Schnelle, kleine Pilotprojekte können hier schnell ihre inspirierende Wirkung entfalten. Thematisch können ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, zum Beispiel die Reduktion von Lebensmittelverschwendung, die Integration von Nahrungsmittelanbau in die Flächennutzungsplanung (Stichwort zum Beispiel "essbare Stadt Andernach") oder die Verbesserung der Gemeinschaftsverpflegung (Krankenhäuser, Schulen, Kitas etc.) etwa in Hinblick auf Bio-Anteile, Regionalität oder weniger Fleisch. Auf Landesebene müssen sich die Länder für eine Regulierung des Bodenmarktes einsetzen, da in großem Maße durch Anteilsverkäufe bzw. sogenannte "Share Deals" Land an außerlandwirtschaftliche Investoren verkauft wird und damit der regionalen Lebensmittelproduktion nicht mehr oder zu überhöhten Pachtpreisen zur Verfügung steht. Gerade Jungbauern, Quereinsteiger und bäuerliche Familienbetriebe sind vielfach nicht in der Lage geeignete Flächen zu finden und mit den Preisentwicklungen für den Kauf und die Pacht von Agrarland mitzuhalten. Hier müssen die in der Kompetenz der Länder befindlichen Grundstücksverkehrsgesetze geändert werden, um Anteilskäufe, die bislang nicht der Genehmigungspflicht der Landesbehörden unterliegen, aufzunehmen. Aber auch auf der Bundesebene muss das Thema politisch aufgegriffen werden. Zum einen durch das Aufsetzen eines Prozesses für eine Erstellung einer Bundesernährungsstrategie. Zum anderen durch ein Mitwirken an einer ambitionierten Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik. Nicht zuletzt gilt es auf Bundesebene das Kernproblem vieler negativer Nebenwirkungen unseres bestehenden global arbeitsteilig organisierten Ernährungssystems anzugehen: Unsere billigen Lebensmittel kommen unserer Gesellschaft, kommenden Generationen und Menschen in anderen Teilen der Welt teuer zu stehen! Diese Kosten, die die Gesellschaft zum Beispiel über die Grundwasserreinigung und die Gesundheitskosten durch ungesunde Ernährung ohnehin schon zahlt, gilt es auf dem Preisschild wiederzufinden. Nur so können faire Rahmenbedingungen für die Produktion von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln gesetzt werden! STADTLANDBIO wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft gefördert. Veranstaltet wird der Kongress von der NürnbergMesse gemeinsam mit NÜRNBERG DIE BIOMETROPOLE, dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der zugleich nationaler ideeller Träger der BIOFACH ist, dem Netzwerk Deutsche BioStädte sowie Organic Cities Network Europe und unterstützt von der Metropolregion Nürnberg. Unter www.stadtlandbio.de finden Interessierte neben dem aktuellen Programm für 2019 den Rückblick 2018 mit zahlreichen Impressionen und einer ausführlichen Zusammenfassung zur vergangenen Ausgabe von STADTLANDBIO.
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