Ein Service von
www.ECO-World.de
 ECO-News - die grüne Presseagentur
Presse-Stelle:  Institut für Ökologie Redaktion ö-punkte, D-23858 Feldhorst
Rubrik:Umweltschutz    Datum: 01.01.2001
Sage keiner, er hätte es nicht wissen können
von Roland Schnell
Für weniger als zwei Mark wurde in den Tagen vor Weihnachten ein Taschenbuch
in pinkfarbenem Einband verramscht. Der sachlichen Titel "Der
Fleisch-Report" hat nicht mehr versprochen als der Inhalt des 1990
erschienen Buches hielt. Die Autoren Nina Kleinschmitt und Wolf-Michael
Eimler haben Reportagen, die sie für verschiedene öffentlich-rechtliche
Fernsehanstalten über die Praxis der industriellen Tierhaltung und
Fleischverarbeitung produziert hatten, in Buchform zusammengefaßt.

Bereits im Vorwort gehen auf "eine mögliche mit Aids vergleichbare Epedemie
verursacht durch BSE" ein, neben den damals aktuellen Skandalen. Schon
damals war offensichtlich, daß die verantwortlichen Politiker vor
einschneidenden Maßnahmen zurückgeschreckt hatten und ohne Zweifel dem
keinen Riegel vorgeschoben haben, was 10 Jahre später die öffentliche
Diskussion beherrscht: Die Herstellung von Tiermehl und die Verfütterung an
Pflanzenfresser. Alle Details, die heute scheinbar überraschend entdeckt
werden, waren bekannt: die Schlachter wissen nicht, woher das Fleisch
stammt, das sie verarbeiten, von Veterinären erstellte Bescheinigunen über
die Unbedenklichkeit sind wertlos, weil eine Kontrolle gar nicht möglich
ist, Schlachtabfälle und Kadaver wurden zu Tierfutter verarbeitet.

Doch das ist nur der Einstieg in breite Palette von unsauberen
Machenschaften bei der Erzeugung von Fleisch. Damals war es eher Hormone,
die in der Kälbermast verwendet wurde, die die Öffenlichtkeit erregten. Den
Verbrauchern war eingeredet worden, daß gutes Kalbfleisch weiß sein müsse.
In enge Boxen, die jede Bewegung unterbanden, wurden die Kälbchen
eingepfercht, die einen aus Magermilchpulver und billigem Fett
zusammengerührten Milchaustauscher-Brei zu trinken bekommen. Damit sie
ordentlich an Gewicht zunahmen, wurden sie mit Hormonen und Anabolika
vollgepumpt. Clenbuterol, das in der Tiermedizin ursprünglich als Medikament
für Atemwegserkrankungen zugelassen war, wurde als "Hustensaft" ins Futter
gemischt. Es gab einen Skandal, in Nordrhein-Westfalen wurden einige tausend
Kälber getötet und zu Tierfutter verarbeitet.

Der "Fleisch-Report" macht aber klar, daß der Skandal eigentlich der
Normalfall ist. Bei Schweinen und Geflügel sind die gleichen Strukturen und
Methoden zu finden. Es werden die Konturen eines
"landwirtschaftlich-industriellen Komplexes" deutlich, der auch Politik und
Wissenschaft einschließt. Von einer Mafia zu sprechen wäre irreführend, weil
die meiste völlig legal geschieht, in der Fachliteratur veröffentlicht und
auf Austellungen vorgeführt wird. Darin liegt der eigentlich Skandal. Das
Sagen haben wenige Agrarindustriellen. Die Landwirte sind zu Lohnarbeitern
degradiert, die nur noch formal als sebständige Unternehmer fungieren, weil
sich damit Steuern sparen lassen. Sie mästen Vieh, das ihnen nur auf dem
Papier gehört, mit dem Futter, das ihnen vorgeschrieben wird und müssen sich
mit dem zufriedengeben, was ihnen der "Viehbaron" zugesteht. Der neue Stall
wurde auf Kredit gebaut und da die Bank ihr Geld sehen will, muß man
weitermachen, egal wie gering die Verdienstspanne ist. Zustände wie man sie
aus Südamerika kennt mitten in Deutschland.

Die Agrarpolitik der EU hat diese Strukturen gestützt. Nur die Großen können
aus den vielfältigen Möglichkeiten ihren Nutzen ziehen, ganze Tiere lebend
oder geschlachtet in Einzelteilen über Grenzen zu verschieben und
Subventionen einzustreichen. Nicht nur der Tierschutz, auch jegliche
Transparenz für die Verbraucher bleiben auf der Strecke. Heute setzt sich
allmählich die Erkenntnis durch, daß die vollmundigen Versprechungen der CMA
(Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft) über die
Qualität und Sicherheit deutscher Fleischwaren reine Propaganda waren. Die
Informationen waren nie geheime Verschlußsache, aber für die Autoren, wie
sie zugeben "auf Umwegen" zu bekommen.

Wer es genauer wissen wollte, wie die CMA-prämierten Wurstwaren hergestellt
wurden, konnte sich in dem 1982 erschienen Buch "Iß und stirb" von Eva
Kapfelsperger und Udo Pollmer informieren. Dort konnte man erfahren, daß
"gute" Leberwurst zum größten Teil aus Schweineklauen, Schinkendeckelspeck
und Schweinkopffleisch bestand und daß man bei der Herstellung von Kochwurst
reichlich Innereien, darunter auch "entfernte Lymphknoten, Hirn, Rückenmark"
verwenden durfte. Alles kein Geheimnis, sondern Know-How, ohne das kein
Metzergeselle die Prüfung bestehen würde.

Es ist mehr als scheinheilig, wenn die Verantwortlichen in Politik oder beim
Bauernverband nun so tun, als ob sie von all dem nichts gewußt hätten. Nur
leider genügt es nicht, wenn jetzt ein einzelner Landwirtschaftsminister
geopfert wird oder nach einer neuen staatlichen Aufsichtsbehörde gerufen
wird, die dann doch wieder mit den gleichen "bewährten" Fachleuten besetzt
wird. Es ist ja kein Geheimnis, daß die finanziellen Zuwendungen für eine
unabhängige Verbraucherberatung in den letzten Jahren immer weiter reduziert
worden sind. Ungestraft darf man mit fröhlich scharrenden Hühner auf dem
Karton für Eier aus Käfighaltung werben, wo jedes Hühner weniger Platz als
ein Bogen A4-Papier hat. Namen wie "Wiesenhof" oder "Landkorn" lassen an
kleine Bauernhöfe, nicht an industrielle Legemaschinen denken. Die
Deklaration bei Lebensmitteln ist offensichtlich bewußt so geregelt, daß die
Wahrheit verschleiert werden kann.

Es wäre ja denkbar gewesen, daß ein Landwirtschaftsminister die Restauflage
des "Fleisch-Report" aufkauft und zum Beispiel bei der "Grünen Woche" in
Berlin an die Besucher verteilt. Doch das wird die Agrar-Lobby zu verhindern
wissen. Haben die Autoren doch keinen Hehl daraus gemacht, daß es
Alternativen gibt: Weniger, aber besseres Fleisch essen, aus artgerechter
Haltung, möglichst vom Bio-Bauern. Die dünne Liste von Bezugsquellen von
1990 ist mittlerweile sicher nicht mehr brauchbar, aber die Tatsache, daß es
allein ein Berlin und Brandenburg heute hunderte von Bezugsmöglichkeiten für
"sauberes" Fleisch gibt, zeigt, daß sich etwas verändert hat. Fleischer
beziehen ihre Tiere nur von Bauern, die ihnen bekannt sind, Bauern fangen
wieder an, ihr Futter selbst anzubauen statt dubioses Mischfutter zu kaufen,
Vieh wird wieder zum Weiden aus dem Stall gelassen. Die Agrarlobby hat eine
kranke Landwirtschaft hervorgebracht, die nur mit kranken Tieren
funktioniert und in letzter Konsequenz kranke Menschen zur Folge hat.

Wer dafür noch Argumente brauchten sollte, findet sie im "Fleisch-Report"
solange noch Restexemplare zu haben sind.


Lesen Sie weiter auf www.ECO-World.de, dem Portal für ein bewusst genussvolles Leben & ökologisch nachhaltiges Handeln.