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Presse-Stelle:  ECO-News Deutschland, D-81371 München
Rubrik:Energie & Technik    Datum: 08.08.2013
Verhinderte Photovoltaik-Lärmschutzwand: "So nicht hinnehmbar"
Blockade gegen Sonnenkraftwerk an der Autobahn?
Weniger Lärm. Wer wünscht das nicht? Geringere Geräuschpegel an Autobahnen - möglich durch Wände etwa aus Solarmodulen entlang der Strecken: Auch im Sinn der "Energiewende"? Das wirkt überzeugend. In Erkheim im bayerischen Kreis Unterallgäu gibt's dafür aber seit 2011 keine Genehmigung. Warum nicht?

Rund 800 Meter südlich der Bundesautobahn A 96 München/Lindau liegt Schlegelsberg (Gemeinde Erkheim, Landkreis Unterallgäu). Östlich von Memmingen. Pro Tag bewegen sich über die vierspurige Piste mehr als 35.000 Fahrzeuge. Bis 52.000. Je Minute also 24 - 36. Dadurch finden etliche in Schlegelsberg ihre "Lebensqualität stark gemindert". Zu ihnen gehört Günter Lilla. "Schlafen bei geöffnetem Fenster ist nicht möglich.", klagt er. Das sei "so nicht hinnehmbar". Umso weniger, als der Verkehr auf der A 96 deutlich zunehme.

Damit wollte sich der 58jährige Kaufmann Günter Lilla nicht mehr abfinden. Über 85% der Wahlberechtigten der rund 420köpfigen Bevölkerung des Ortes unterschrieben deshalb bis Ende 2010 bei ihm die Forderung nach mehr Lärmschutz. Doch die Unterzeichneten hielten sich nicht mit reinen Forderungen auf. Ein rundes Dutzend Interessierter gründete im Sommer 2012 die "Bürgerenergie Schlegelsberg e.G."


"Keine zusätzlichen Kosten für den Staat"

Ihre Absicht: Bau und Betrieb einer fünf bis sechs Meter hohen Lärmschutzwand etwa 2,2 Kilometer entlang des südlichen Rands der Autobahn A 96 auf Autobahn-Grundstück. An deren Südseite: Solar-Module. Erwarteter Jahresertrag: gut 4,5 Millionen Kilowattstunden Elektrizität. Genug für bis zu 3.000 Privatpersonen. Mit dem Stromverkauf daraus möchte die Genossenschaft die Lärmschutzwand bezahlen. Energie-Genossenschafts-Mitglied Günter Lilla will damit erreichen, "dass dem Staat keine zusätzlichen Kosten für Bau und Unterhalt anfallen würden." Selbsthilfe wirtschaftlich.

"Das wäre dann das bisher größte bürgereigene Kraftwerk an einer Autobahn in Bayern" sagt Friedrich Schmid*. Von dem 57-jährigen Installateurmeister und später durch die Handwerkskammer anerkannten Energieberater war 1988 in Memmingen die Firma "Pro Terra" gegründet worden. Sie bietet Regenerativ-Energie-Techniken an. 2013 mit 20 Festangestellten und weiteren freien Arbeitskräften. Die bisher von "Pro Terra" gebauten Sonnen-Strom-Erzeuger liefern - laut "Pro Terra" - rund 40 Millionen Kilowattstunden Elektrizität pro Jahr.
Beraten von den Lärm-Fachleuten des "Büro Müller BBM" in Planegg bei München entwickelte "Pro Terra" die Planung für die fünf bis sechs Meter hohe Lärmschutzwand südlich der A 96 in Erkheim. Der frühere bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller vermittelte Verbindungen zu Behörden und Ministerien. Etwa zur Autobahndirektion (BAB) Kempten. Das Amt zeigte sich "aufgeschlossen", so Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU). Auch der "Bund Naturschutz" deutete Zustimmung an. Bürgerinitiativ-Initiator Günter Lilla, erinnert sich: "Die positiven Rückmeldungen sowohl von der Gemeinde als auch der BAB-Direktion veranlassten uns, die Planungen voran zu treiben."

Doch diese grundsätzliche Zustimmung schien 2012 "gekippt", berichtet Lilla. Er sieht sich längst nicht allein in seiner Einschätzung, dass die Ursache dafür in der "negativen Haltung" der Firmenleitung von "Baufritz" liege. Mit 240 Beschäftigten einerseits ist die Firma größte Arbeitgeberin in Erkheim - also jener Gemeinde, in der auch Lilla lebt. Andererseits gilt "Baufritz" als "Öko-Haus-Pionier". 2009 erhielt das 1896 gegründete Unternehmen, dessen Gebäude selbst sonnige Energien nützen, den "Deutschen Nachhaltigkeits-Preis." "Baufritz" zeigt sich direkt an der A 96 mit Musterhäusern denen, die die Autobahn nutzen. Mit besonderen Blickfängen auf der Südseite der Strecke - etwa einem vierstöckigen Turm - 15 Meter hoch. Er gilt als "größter Holzkopf Europas".


"Alternativ"-Pläne nicht zu finden?

"Ich lasse mir von Ihnen mein Schaufenster nicht zubauen." So "Baufritz"-Leiterin Dagmar Fritz Kramer in der öffentlichen Projektvorstellung Anfang März 2012 - laut Erinnerung von "Bürgerinitiativler" Günter Lilla. Fraglos: ein Verkaufsgeschäft ohne Schaufenster - wer mag sich das vorstellen? Aber entscheiden sich Leute, die vielleicht mit 120 oder gar mit 180 und mehr Stundenkilometern auf der Autobahn an einer Baufirma vorbeifahren, deshalb dort ein Eigenheim für 200.000 Euro bis 400.000 Euro zu erwerben? Oder: Welche Wirkung entfaltet Werbung an solch vierspurigen Verkehrsadern? Dazu befragt, antworten mehrere Grafikbüros und Werbefachleute: Zu diesem Thema gebe es in Deutschland keine Untersuchungs-Ergebnisse.
Auch "Baufritz"-Chefin Dagmar Fritz Kramer sagt, sie kenne keine solchen Studien. Doch die 1971 geborene Dekorateurin, Innenarchitektin und Wirtschaftsingenieurin, die das mehrfach ausgezeichnete Unternehmen seit 2004 als geschäftsführende Gesellschafterin leitet, hat von manchem Besuch gehört: "Jetzt sind wir so oft da vorbeigefahren. Jetzt wollen wir mal da reinschauen."

Muss solche - sicherlich geschäftsfördernde - Neugierde durch eine Sonnenstrom-Wand entlang der Autobahn nebenan beeinträchtigt werden? Nein, meint Lärmschutz-Initiator und Energie-Genossenschafts-Mitglied Günter Lilla.
"Wir hatten sogar vorgeschlagen, im Bereich von 'Baufritz' die Lärmschutzwand aus durchsichtigem Plexiglas ausführen zu lassen. Dann wäre die Firma von der Autobahn aus gut zu sehen gewesen. Allerdings hätte 'Baufritz' die Zusatzkosten dafür übernehmen müssen." Von dieser Idee erfuhr auch "Baufritz", lehnte sie aber "wegen der Problematik der Reinigung auf der Autobahnseite" ab, wie die Firma mitteilt.

Als Feindbild einer grundsätzlichen Gegnerin des Vorhabens möchte sich Dagmar Fritz-Kramer dennoch nicht öffentlich hergeben. "Wir sind ein grüner Betrieb. Über die Hälfte es Stroms, den wir brauchen, holen wir von Photovoltaikanlagen auf unseren eigenen Dächern." Grundsätzlich sei ihr Unternehmen in die Sache "nicht involviert. (...) Das ist eine Angelegenheit der Gemeinde/des Landratsamt und nicht von mir. Ich habe nicht mal einen Antrag oder eine Einwendung gestellt."

Eine Erklärung, die notwendig scheint. Denn Anfang Juno 2012 berichtete die nahe "Memminger Zeitung": "Baufritz schließt Standort-Wechsel nicht aus." Zumindest dann, wenn die Solarmodulwand an die Autobahn komme. Wenige Tage später kam Dagmar Fritz-Kramer im gleichen Blatt mit dem Satz zu Wort: "Wir werden den Produktionsstandort nicht verlegen."

Dass sie in das bisherige "Nein" des Rathauses Erkheim zur Genehmigung des geplanten Sonnenkraftwerks "nicht involviert" sei, habe sich außerdem "bei einem Gespräch mit der Gemeinde und anderen Beteiligten" ergeben, erläutert Dagmar Fritz-Kramer. Dabei seien "Alternativen entwickelt worden". Wo liegen die Planskizzen aus diesen Ideen? "Da müssen Sie bei der Gemeinde fragen. Die haben Planskizzen bei Besprechungen angefertigt", erklärt die Unternehmerin. Doch Erkheims Bürgermeister Dr. Peter Wassermann meint: "Wir haben da gar nichts gemacht." Zu einem laufenden Verfahren seien außerdem "keine Infos nach außen" zu geben. Deshalb solle man sich bitte beim Landratsamt Unterallgäu nach den Plänen erkundigen. Dort heißt es schließlich kurz und klar: "Von besagten Skizzen hat das Landratsamt keine Kenntnis. Solche Unterlagen liegen in unserem Hause nicht vor."

Noch im Juli 2013 teilte Gertrud Demmeler von "Baufritz" mit: "Es laufen Planungen zu einer Alternativlösung zu 'pro terra'". Welche? "Was grundsätzlich Solides", verspricht Demmeler. Genauer? Demmeler: "Dazu gibt es laut Frau Fritz-Kramer nichts zu sagen." Keine Antwort dazu auch aus dem Rathaus Erkheim.

Für Bürgermeister Dr. Peter Wassermann rührt der Streit über die Sonnen-Strom-Wand südlich der Autobahn ohnehin woanders her: "Wir brauchen einen nachweisbaren Lärmschutz", sagt der Rathaus-Chef: "Das ist der Casus knacksus."
Wen wundert's, dass die Bürgerinitiative und ihre "Bürger Energie Schlegelsberg" samt Planer "Pro Terra" auch dazu ganz andere Hinweise geben. Es gehe nämlich nicht allein um das Lärmgutachten, sondern auch darum, wer es bezahle. Immerhin: 20.000 Euro. Dazu komme, dass die bisher bekannten Gegnerinnen und Gegner des Vorhabens Zweifel am Ergebnis eines solchen Gutachtens hegen könnten - wenn es "Pro Terra" beauftrage. So die Befürchtung von "Bürger-Energie Schlegelsberg"-Mitglied Günter Lilla. Lilla beklagt indes, "dass man von Behördenseite dauernd blockiert wird."


Keine Ablehnung in Hessen

Derweil lenkt das Autobahnamt Kempten das Augenmerk auf andere Ursachen. Dessen Dienststellenleiter Gernot Rodehack gegenüber Friedrich Schmid ("Pro Terra") und Günter Lilla: "Sie werden sich mit Baufritz einigen müssen, weil Sie von Baufritz Grundstücke brauchen." Rodehack's Feststellung bestreiten wiederum Lilla und Schmid. Dessen Firma "Pro Terra" habe das Gelände nochmals vermessen lassen. Ergebnis: Es befinde sich ausschließlich im Besitz der Bundes-Autobahn-Direktion.

So scheint dem Streit um das an sich sonnig gedachte Vorhaben bisher kein Ende beschieden. Solarstrom-Kraftwerks-Lieferant Friedrich Schmid wundert sich indes doch über die heftige Abwehr in Bayern-Schwaben. An die Bundesautobahn A 5 nahe dem hessischen Weiterstadt habe "Pro Terra" ebenfalls Solarmodule montiert. Dort sei ihm keinerlei Ablehnung begegnet. Schon gar nicht vom benachbarten Möbelhaus Segmüller. Das Unternehmen lässt wissen, der Umsatz sei seither nicht zählbar gesenkt worden - allenfalls habe er sich durch eine neue Autobahnausfahrt gesteigert. Von der Strecke aus mache außerdem ein Pylon auf die Firma aufmerksam.

Bürgerinitiator und Energie-Genossenschaft-Mitglied Günter Lilla fühlt derweil Rückenwind aus anderen Gemeinden entlang der Autobahn A 96. Dort fordern jetzt Bürgermeister, die Regierung möge Hörbares gegen den Verkehrslärm aufbieten. Mit ein Grund, warum sich Lilla von einem Demonstrations-Verbot des Landratsamts Unterallgäu an der Strecke nicht beeindrucken lässt und dagegen Klage erhoben hat. Schließlich arbeite die Zeit für die sonnigen Planungen. Und "jetzt vor der Wahl melden sich immer mehr Politiker bei mir." Nach einigen Wochen habe inzwischen auch der Neu-Ulm/Günzbürger CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Georg Nüßlein für Mitte August ein Treffen mit Lillas Leuten vereinbart. Als "Wirtschafts-, energie- und verkehrspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe" im Deutschen Bundestag wirkt Nüßlein da alles andere als der falsche Mann.

357 Lärmbelästigte nahe der Autobahn A 96 fordern mehr Ruhe. Einige von ihnen sind sogar bereit, Maßnahmen in eigener, betriebswirtschaftlicher Verantwortung zu bezahlen - mit Sonnenstrom. Ein örtlicher Öko-Betrieb sorgt sich deswegen um sein "Schaufenster" entlang der lauten Autobahn. Die Gemeinde besteht auf ein nicht ganz billiges Lärmgutachten. Handelt es sich bei diesem Hin und Her eher um den "Aufbruch Bayern" oder mehr um eine "Blockade in Bayern"? Oder: Sieht wirkt sich so die öffentlich oft beklagte "Überförderung" sonniger Energien während der angeblich 'übereilten' Energiewende aus? Fest scheint jedenfalls zu stehen: Im September sind Landtagswahlen in Bayern und kommendes Frühjahr Gemeinde- und Kreistagswahlen im Freistaat. Bis dahin scheint noch viel Sonnenlicht auf die A 96. Möge es für Erleuchtung sorgen.

Julian Aicher*
*Der Verfasser dieses Artikels saß in den 1990er Jahren ehrenamtlich mit Friedrich Schmid im "Arbeitskreis 6 Energie" für die "Leitbildstudie" des Landkreises Unterallgäu im Auftrag des damaligen Landrats Hermann Haisch. Danach vermittelte Aicher bis 2002 einige Dächer für Solarmodule, die Schmids Firma "Pro Terra" lieferte. Außerdem erstellten Aicher und Schmid 2000 bei der Landesgartenschau Memmingen die Ausstellung "Ewige Kraft der Sonne". Seit 2003 unterhielten Schmid und Aicher keine Arbeitskontakte mehr.




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