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Presse-Stelle:  Dr. Franz Alt Journalist, D-76530 Baden-Baden
Rubrik:Politik    Datum: 05.09.2000
"Regiert sich Grün zu Tode?"
Das Wichtigste für die Partei ist ihre Glaubwürdigkeit Kommentar von Franz Alt in der Berliner Morgenpost
Die Grünen stecken in der Glaubwürdigkeitsfalle. Sie wollen Pazifisten sein und haben dem Krieg im Kosovo zugestimmt - und jetzt auch noch dem Verkauf einer Munitionsfabrik in die Türkei. Sie wollen eine Umweltpartei sein und regieren mit einem Autobundeskanzler. Sie wollen eine Anti-Atom-Partei sein und lassen jetzt auch noch zu, dass die Bundesregierung den Verkauf der Hanauer Plutonium-Fabrik an Russland genehmigt. Kann soviel "Realpolitik" langfristig gut gehen?
Wenn Gerhard Schröder die Grünen vorführen will, dann ruft er sie "zur Vernunft". Doch immer dringender stellt sich die Frage wie "vernünftig" der Kosovo-Krieg war und wie "vernünftig" es ist, dass die Türkei mit deutschen Kugeln Kurden töten darf, oder wie "vernünftig" es ist, einem Land die gefährlichste Technologie der Welt zu verkaufen, dessen U-Boote sich gerade mit eigenen Torpedos selbst versenken?
Ist die Export-Erlaubnis hochbrisanter Plutonium-Technologie nicht Beihilfe zum nächsten Super-Gau? Nichts gelernt aus der Tschernobyl-Tragödie?
Die alten Parteien machen solche Geschäfte ohne jeden Skrupel, bei denen gilt der Terror der Ökonomie - wir aber, die Grünen, haben wenigstens noch Skrupel, ein schlechtes Gewissen und moralische Bedenken, wir streiten immerhin noch über unsere Grundsätze. So antworten pragmatische Grüne auf entsprechend kritische Fragen. Ausrede oder Tatsache? Auch die Grünen streiten immer weniger - je länger sie regieren. Wo ist ein ehrliches Aufarbeiten des Kosovo-Debakels zu spüren? Wo bleibt der große Streit um den Verkauf der Plutonium-Fabrik, deren Betrieb Joschka Fischer einst als hessischer Umweltminister noch verhindert hatte?
Richtig ist, dass es eine richtige Hanau-Entscheidung nicht geben kann. Russland besitzt 34 Tonnen Waffen-Plutonium - schon ein Kilogramm reicht aus, um theoretisch die gesamte Menschheit zu vergiften. Wenn die Hanauer Fabrik dazu dient, dieses Plutonium zu "vernichten" - wie die Russen sagen - , dann mag der Export "friedenspolitisch" zu rechtfertigen sein. Das meinen auch Friedensforscher der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.
Wer garantiert aber andererseits, dass im maroden Russland mit Hilfe der Hanauer Fabrik nicht weiteres Waffen-Plutonium oder neue Brennstäbe produziert werden, die dann in die ganze Welt verkauft werden und weltweit den AKW-Betrieb, auch den deutschen, verlängern? Wie glaubwürdig ist vor diesem Hintergrund die eigene Ausstiegs-Politik? Hier Ausstieg predigen und dort Brennelemente-Produktion ermöglichen - das passt einfach nicht zusammen.
Es geht um die Zukunft der Atompolitik, und damit um Existenzfragen der Menschheit. Wo bleibt die Debatte? Wo der produktive Streit? Jetzt erst zeigt sich in vollem Ausmaß wie katastrophal falsch die gesamte alte Atompolitik weltweit war. Atompolitik in Russland - so wissen wir seit Tschernobyl - ist russisches Roulett. Plutonium kann nicht nur Russland umbringen, es ist Waffen-Plutonium und damit eine Gefahr für die gesamte Welt.
Der Charme der Grünen war einst ihre Streitkultur. Noch zu Beginn des Kosovo Krieges war es einzig die Grüne Partei, die den großen Streit auch öffentlich gewagt hat. Ein Großteil der Sympathien für Joschka Fischer hat hier seine Wurzeln. Doch der Streit nach dem Krieg über Sinn und Unsinn dieses Krieges ist überfällig. Das nächste "Kosovo" wird vorbereitet. Es ist gerade die moralische Grundlage ihres Politik-Verständnisses, welches die Grünen so attraktiv, aber auch so verwundbar macht. Diesen Schatz preiszugeben, heißt aber die eigene Identität zu verlieren. Jürgen Möllemann kann kein Vorbild für die Grünen sein. Das Land braucht eine grüne FDP zuletzt.
Wenn die Grünen so wenig grün werden wie die CDU christlich ist, dann ist die Partei schlicht überflüssig. Die Grünen müssen sich neu erfinden, hat Joschka Fischer soeben gefordert. Mit dem Verdrängen ihrer ureigensten Themen aber regieren sie sich eher zu Tode. "Wählt uns trotzdem - wir sind noch immer das kleinere Übel" - damit kommen die Grünen wohl eine Weile durch, aber nicht auf Dauer. Dafür sind ihre Wähler und Wählerinnen zu anspruchsvoll. Das Wichtigste ist Glaubwürdigkeit - für die Grünen weit mehr als für andere Parteien. Sein oder Design? Das ist jetzt die Frage. Für die Grünen ist das die Existenzfrage. Sie haben noch eine Chance, wenn sie sich nicht verlieren im Einheits-Grau der alten Parteien. Grün ist die Farbe des Werdens und Wachsens und Wandels.

Franz Alt ist Fernseh-Moderator und Publizist. Von 1972 bis 1991 leitete er das Magazin Report Baden-Baden. Damals war er wegen seines Engagements für Ökologie und Friedensbewegung umstritten.

Berliner Morgenpost




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