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Noch polemisieren Wirtschaftsverbände gegen eine Ökosteuerreform, die die Unternehmen um rund 3 Milliarden DM entlastet, noch sind zwischen Rot und Grün letzte Feinheiten des Gesetzes umstritten, doch am 1. April 1999 tritt es in Kraft: Das erste Bundesgesetz, das die bisher oft gegen die Umwelt wirkende, gewaltige Lenkungspotenz unseres Steuersystems noch zaghaft, aber bewußt in den Dienst ökologischer Steuerung stellt. Solange weitere, hoffentlich konsequentere Schritte folgen, verdient dieser Schritt die Unterstützung der Öffentlichkeit und die entschiedene Zurückweisung von Kassandrarufen, die schon in solch behutsamen Umlenkungsmaßnahmen ein "Desaster" oder gar einen "neuen Morgenthauplan für Deutschland" wittern. Mit 12 Milliarden Mark Lastverlagerung von Arbeit zu Umwelt mag die erste Stufe bescheiden ausfallen und Schönheitsfehler aufweisen. Doch insgesamt ist sie besser gelungen, als noch die Rohentwürfe vermuten ließen. Nicht zuletzt dank Karel van Miert entstand ein Gesetz, das - trotz einiger Kinderkrankheiten - in Größenordnung, Lastverteilung, Ausnahmeregelungen und Zeitpunkt einen ausgewogenen, wirtschafts- und sozialverträglichen Einstieg in die Ökobesteuerung bietet. Anlaß genug, die zugrundeliegende Verheißung zu rekapitulieren, ihre konkrete Realisierung näher darzustellen und auf Denkhürden und langfristige Perspektiven der Reform einzugehen. Die Verheißung mehrfacher Dividende. Über der nuklearen Ausstiegsdebatte, der Wahl in Hessen und anderem Bonner Tagesgetümmel darf die Vision der ökologischen Steuerreform nicht vergessen werden: Der systematische Einsatz von Steuern zu Lenkungszwecken - also nicht bloß zur Staatsfinanzierung - wird mit Sicherheit weltweit eine der großen Innovationen des nächsten Jahrhunderts. Denn Steuerlastverlagerung von konventionellen auf ökologische Steuern verspricht gleichzeitige Linderung zwei zentraler Allokationsprobleme der Marktwirtschaft: Sie mindert das Excess Burden, die allokative Zusatzlast staatlicher Abgaben und sie internalisiert externe Effekte umweltschädlicher Aktivitäten. Ohne tieferes Verständnis dieser beiden allokativen Störfaktoren erschließt sich der Charme der ökologischen Steuerreform nur unvollständig. Heute belastet der Staat mit konventionellen Abgaben Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Konsum und trifft damit auf der Einnahmeseite seiner Budgets exakt jene nützlichen Aktivitäten, die er auf der Ausgabenseite seiner Etats mit vielerlei Instrumenten zu fördern sucht. Auf gut westfälisch: "Was er mit den Händen aufbaut, das reißt er mit dem Hintern ein"; beide Seiten der öffentlichen Budgets konterkarieren einander bis zur Absurdität. Die Besteuerung verursacht ein Gutteil jener Probleme, deren Lösung sie finanzieren soll. (Insoweit ist die heute weltweit populärste Form der Besteuerung, nämlich die undifferenzierte Belastung des Konsums durch sogenannte Mehrwertsteuern, zugleich die absurdeste: Ist doch Konsum der Bürger nichts verwerfliches, sondern Endziel des Wirtschaftens.) Angesichts der wechselseitigen Neutralisierung von Steuern und Staatsausgaben erscheint die angelsächsisch-neoliberale Antwort zunächst plausibel: Weniger Steuern, weniger Staat, und damit auch weniger Probleme. Der Staat als Ursache, nicht als Lösung makroökonomischer Ungleichgewichte. Zurück zu Adam Smith (der hier freilich fälschlich zum Propheten eines radikalen Marktliberalismus stilisiert wird, für den er niemals eintrat). Doch diese Antwort übersieht bekanntlich, daß der Steuerstaat historisch gerade als Antwort auf jene Probleme entstand - soziale Ungleichheit, mangelnder Verbraucherschutz, gesellschaftliche Machtkonzentration und schon im letzten Jahrhundert auch Umweltzerstörungen - die der liberale Minimalstaat nicht zu lösen imstande war und ist. Kritik am Steuerstaat allein löst kein Marktversagen. Richtig an der neoliberalen Steuerkritik ist jedoch: Alle konventionellen Abgaben (auch parafiskalische wie unsere Sozialversicherungsbeiträge) belasten nicht nur den Bürger, sie verzerren auch die volkswirtschaftliche Allokation weg vom sogenannten sozialökonomischen Optimum. (Unter Allokation versteht man alle Prozesse, die den Faktoreinsatz einer Volkswirtschaft und seine Verwendung für Güter und Dienstleistungen steuern). Steuern verteuern Güter und Faktoren, deren Einsatz damit suboptimal gerät: Er stoppt an einem Punkt, bei dem der soziale Grenznutzen der letzten konsumierten Einheit die gesellschaftlichen Grenzkosten noch deutlich überschreitet. Die Folge: Zu geringer Einsatz der betroffenen Faktoren und Wohlfahrtsverluste durch überhöhte Preise, die nicht die ökonomische Wahrheit sagen. Doch dieses Excess Burden der Staatsabgaben ist nur der erste große Störenfried, der die stumme Eleganz des marktwirtschaftlichen Allokationsprozesses, das segensreiche Wirken der unsichtbaren Hand also, vom rechten Pfad der Selbstheilung ablenkt. Störenfried Nummer zwei sind externe Effekte, also nicht in die Marktpreise eingehende, meist negativ wirkende Folgewirkungen privatwirtschaftlicher Transaktionen zwischen Marktteilnehmern, die unbeteiligte Dritte oder die Allgemeinheit belasten. Klassischste und häufigste Form solcher Negativeffekte sind ökologische Schadwirkungen unseres Wirtschaftens: Emissionen, die den Treibhauseffekt verstärken, Rohstoffverbrauch zu Preisen, die die langfristige Knappheit und Kostbarkeit der betreffenden Ressourcen nicht berücksichtigen und vielerlei andere Lasten für Flora und Fauna, Luft, Boden und Wasser. Bei Faktoren und Gütern, deren Gebrauch derartige externe Effekte auslöst, kommt es zu überhöhtem Einsatz und zu Wohlfahrtsverlusten durch zu niedrige Preise, die nicht die ökologische Wahrheit sagen. Doch gerade der spiegelbildliche Charakter der beiden Störfaktoren - Staatsfinanzierung mit Folge überhöhter Marktpreise ökologisch harmloser Güter und externe Effekte mit Folge zu niedriger Marktpreise ökologisch schädlicher Güter und Prozesse - birgt den verblüffenden, ja visionären Ansatz einer gemeinsamen Problemlösung. Mindestens bis zu dem Niveau an Umweltsteuern, das zur ökologisch motivierten Korrektur externer Effekte erhoben werden muß, ist eine Finanzierung öffentlicher Ausgaben möglich, die nicht die oben beschriebenen, wohlfahrtsmindernden Verzerrungen konventioneller Steuern mit sich brächte. Natürlich kann das optimale Niveau ökologisch motivierter, nach ihrem Erfinder Pigou benannter Abgaben theoretisch höher, gleich hoch oder niedriger als das optimale Niveau der Staatstätigkeit liegen. Wir werden es nie wissen, da wir beide Größen nie genau kennen werden; sie lassen sich nicht analytisch-wissenschaftlich erschließen, sondern nur in öffentlicher Diskussion und demokratischer Willensbildung dezisionistisch festlegen. Dies gilt aber für alle gesellschaftspolitischen Entscheidungen: Für die Höhe konventioneller Steuersätze ebenso wie für die Höhe jeder einzelnen Budgetposition der Etats demokratischer Gemeinwesen. Um es mit Zahlen einfacher zu illustrieren: Konventionelle Steuern, soweit sie nicht ebenfalls vernünftigen Lenkungszwecken dienen (bei wohlwollender Betrachtung könnte man dies einer progressiven Einkommensteuer der Potenz nach zubilligen, ihren real existierenden Formen meist nur bedingt), kosten mehr als sie bringen. Für jede Mark, die dem Finanzminister zufließt, entstehen 1,40 bis 1,60 Mark an volkswirtschaftlichen Kosten. Zur "Zusatzlast" von 40 bis 60 Pfennig, die der Volkswirtschaft unwiederbringlich verloren gehen, führen Kosten der Steuererhebung, auch der legalen und illegalen Steuervermeidung, vor allem aber der resultierenden Allokationsverzerrungen. Wenn eine Arbeitsstunde, die netto mit 21 Mark bezahlt wird, einschließlich Sozialabgaben und Mehrwertsteuern am Markt für 71 Mark verkauft werden muß, werden viele Arbeitsstunden in die Schattenwirtschaft gedrängt oder gar nicht erst nachgefragt. Umgekehrt bringen ökologische Steuern, etwa auf Energie, deutlich mehr als sie kosten. Auch hier muß jede Mark für den Fiskus von den Bürgern aufgebracht werden. Doch die administrativen Kosten ökologischer Steuern sind niedrig, und die induzierten Ausweichreaktionen ausdrücklich erwünscht. Durch Verteuerung der Energie mindern sich Rohstoffeinsatz und Schadstoffemissionen der Wirtschaft, zugleich können aufwendigere ordnungspolitische Instrumente zurückgefahren werden. Diese Vorteile mögen sich für die Volkswirtschaft wieder zu 40 bis 60 Pfennig je erzielter Steuermark addieren. Solange also noch konventionelle Steuern mit hoher Zusatzlast durch Ökosteuern mit Zusatzdividende abgelöst werden können, bringt jede verlagerte Steuermark der Volkswirtschaft in diesem Zahlenbeispiel Nettovorteile von 80 bis 120 Pfennig. Hier liegt die doppelte Dividende der ökologischen Steuerreform, die sich bei jeder Lastverlagerung von allokativ schädlichen zu allokativ nützlichen Steuern ergibt, also auch beim Ersatz konventioneller Mehrwertsteuern durch "Steuern mit ökologischen Mehrwert". In Ländern wie Deutschland, wo der Faktor Arbeit durch exzessives Drehen an der Steuer- und Sozialabgabenschraube mit 65 Prozent Anteil am Gesamtabgabenaufkommen (1997) weit über Gebühr belastet wurde, kann man sogar auf eine dritte Dividende hoffen, weil gleichzeitig zwei krasse Fehler behoben werden: die maßlos hohe Belastung des Faktors Arbeit, und die nach wie vor zu niedrige Belastung des Faktors Natur. Selbst konservative Forschungsinstitute bestätigen neuerdings positive Beschäftigungseffekte einer ökologischen Steuerreform, z.B. das RWI in Essen. Von der Verheißung zur Realität. In wenigen Wochen soll in Deutschland die erste Stufe der ökologischen Steuerreform in Kraft treten: verdient sie ihren Namen? Ich formuliere hier sehr direkt: Selten hat es einen so maßvollen Reformauftakt gegeben, der von den Regierenden so schlecht verkauft, und von den Regierten so verständnislos, ja feindselig aufgenommen wurde. Dabei können die Regierenden ihr in wenigen Monaten entstandenes Konzept durchaus sehen lassen, und die Regierten sollten eigentlich damit leben können. Die angepeilte Größenordnung von knapp 36 Milliarden Mark in drei Schritten beweist Augenmaß. Eine Lastverlagerung von weniger als 3 Prozent des deutschen Gesamtabgabenvolumens (insgesamt rund 1500 Mrd. DM!) innerhalb von vier Jahren wird niemanden überfordern. Zugleich senken die 36 Milliarden die Last der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber um etwa ein Neuntel, der Rentenbeitrag kann in drei 0,8-Prozent-Stufen von heute 21,3 auf unter 19 Prozent gesenkt werden. Die erstmalige Besteuerung des Energieträgers Strom und die erhöhte Belastung von Erdgas und Heizöl stellen einen ökofiskalischen Durchbruch dar, der sogar die viel zu zaghafte Verteuerung des Benzins verschmerzen läßt. Waigel schlug 1994 mit 16 Pfennig zu, ohne daß nur ein Hahn danach krähte. Bei sechs Pfennig Steuererhöhung, mit Mehrwertsteuer 7 Pfennig, wird kein Ruck durch Deutschland gehen - allenfalls ein ganz kleines Rückle. Um etwa den gleichen Betrag fiel der Benzinpreis seit der Wahl schon an den Zapfsäulen. Die Schonung von produzierender Wirtschaft und Landwirtschaft durch Reduktion der für sie geltenden Sätze auf 20 Prozent des allgemeinen Niveaus läßt sich mit dem Schutz vor Wettbewerbsnachteilen, aber auch damit rechtfertigen, daß diese Sektoren sonst einen prozentual viel höheren Anstieg ihrer Energiekosten erlitten. Als "Angebot zur Güte" verdienten diese Sonderregelungen freilich auch entsprechende Anerkennung durch die davon Begünstigten. Auch der zusätzliche Schutz energie- und wettbewerbsintensiver Produktionen fiel -dank Karel van Miert - marktwirtschaftsgerechter aus, als die Rohentwürfe befürchten ließen. Nicht mehr über 40 Prozent aller Branchen werden ausgenommen, sondern lediglich diejenigen Betriebe, bei denen die Energiesteuererhöhung die Entlastung durch niedrigere Rentenbeiträge um mehr als 20 Prozent überschreitet. Wie schon zu Zeiten Kohls hat sich der belgische EU-Kommissar damit den Ehrentitel des "einzigen Ordnungspolitikers der deutschen Bundesregierung" verdient und zugleich verhindert, daß das fiskalisch unsinnige Abgrenzungskriterium Branche Eingang ins deutsche Steuerrecht fand. (Steuerdifferenzierung nach den Megabranchen Produzierendes Gewerbe und Landwirtschaft bleibt vorerst wohl noch unvermeidbar.) Dem berechtigten Einwand der "Tabaksteuerbefreiung für Kettenraucher" ist nun der Boden entzogen. Die vom Entwurf weit geöffnete "Pandorabüchse der Ausnahmen" wurde leider erst geschlossen, nachdem ihr auch Sonderregeln für den ÖPNV entsteigen konnten. Immerhin nicht für Krematorien, wie von der PDS gefordert. Aus ordnungspolitischer Sicht ist der auf Drängen der Grünen nochmals abgesenkte Steuersatz für die Bahn und ÖPNV fragwürdig. Bahn- oder Busfahren schützt die Umwelt nicht, es schadet ihr nur weniger als Autofahren. Verbesserungsbedürftig sind sicher noch administrative Details und Mechanik der Steuererhebung. Schwer zu verstehen ist, warum die Stromsteuer nicht auch für die Wirtschaft so in die EVU-Tarife eingebaut wird, daß Unternehmen sie zwar sehen können, aber nicht erklären und abführen müssen (analog zur Quellenbelastung bei Lohnsteuer und Sozialbeiträgen). Die Lastverteilung zwischen Haushalten und Wirtschaft mag zunächst unsozial erscheinen, weil die Wirtschaft die Hälfte der Vorteile, aber nur ein Viertel der Lasten trifft. Von 12 Milliarden Mark Ökosteuern der ersten Stufe bringt der Unternehmenssektor nur etwa 3 Milliarden auf, partizipiert aber mit 6 Milliarden an der Rentenbeitragssenkung. Der Nettovorteil von rund 3 Milliarden geht zu Lasten der Haushalte. Doch vor dem Hintergrund einer allgemeinen Steuerreform, die insgesamt die Haushalte begünstigt (vor allem niedrigverdienende und kinderreiche), die Wirtschaft dagegen eher belastet, scheint dieser Kontrapunkt sozial akzeptabel und wirtschaftlich wünschenswert. Die Koppelung mit dem Abbau von Lohnnebenkosten bringt allen Arbeitnehmern mit Einkommen von unter 80 TDM p.a. eine Nettoentlastung, an der indirekt auch Rentner und Arbeitslose partizipieren (da deren Transfereinkommen an die Nettolöhne anknüpfen). Schließlich hätte die Regierung keinen günstigeren Zeitpunkt für den Einstieg in die Ökosteuer finden können: In ganz Europa führt die Auflösung der Stromkartelle zur Verbilligung der Elektrizität. Und weltweit kostet der Barrel Öl (vor einem Jahr noch bei 18 US $) mit 9,60 US $ heute weniger als noch Anfang der 90er Jahre. Es gehört wenig Mut zu der Prophetie, daß die erste Stufe der ÖSR die derzeitigen Preissenkungstendenzen gerade kompensieren, aber kaum spürbare Energiepreissteigerungen auslösen dürfte. So gesehen, hätte man sich den Einstieg durchaus beherzter vorstellen können. Das Fehlen eines konkreten Fahrplans für die Folgestufen ist mit Blick auf die notwendigen langfristigen Lenkungsimpulse bedauerlich, als Preis für einen raschen Einstieg aber zunächst hinnehmbar. Dennoch muß die Koalition sehr bald erklären, wie es weiter gehen soll. Angesichts dieses ausgewogenen Gesetzesentwurfs fällt es nicht leicht, den nach wie vor hartnäckigen Widerstand der Industrieverbände nachzuvollziehen. Soll das alte Motto "Jammern ist der Gruß der Kaufleute" bestätigt werden? Oder können manche Verbandsfürsten alte Bastionen nicht eher räumen, als bis auch der letzte Mohikaner unter ihren Mitgliedern begriffen hat, daß die Ökosteuer ihn nicht ruiniert, sondern in den meisten Fällen sogar netto entlastet? Versteht die Wirtschaft eigentlich nicht die historische Ironie der Tatsache, daß eine rotgrüne Regierung unter dem Banner der ökologischen Steuerreform drei Milliarden Mark von Haushalten an die Unternehmen umverteilt? Fragen vielleicht, die erst eine neue Generation ökologisch aufgeschlossener Industrievertreter beantworten kann. Die mühselige Überwindung der Denkhürden. Wer heute für Ökosteuern eintritt, muß geduldig immer wieder immer gleiche Denkbarrieren überwinden. Steuerreformer haben es von jeher schwer, nicht nur die Ökofiskalisten unter ihnen. Daß nur alte Steuern gute Steuern sind weiß jeder, der je für neue eintrat. Die individuelle Steueroptimierung fasziniert und beschäftigt die meisten Bürger so sehr, daß für die nachdenkliche und offene Auseinandersetzung mit den weit gewaltigeren Perspektiven gesellschaftlicher Steueroptimierung wenig Zeit bleibt... Allerdings wird es auf Basis einer konkreten Gesetzesvorlage leichter, die gröbsten Einwände zu widerlegen. Die eindeutig geltende (auch für die folgenden Reformstufen verkündete) Aufkommensneutralität der Vorlage widerlegt die Dauereinrede, der Staat suche nur neue Vorwände zur Erhöhung der Abgabenquote. An der ersten Stufe der Ökosteuerreform kann Lafontaine sich gewiß nicht bereichern, sein Finanzministerium fürchtet sogar leichte Nettoeinbußen. Von einer Belastung der Wirtschaft kann nur sprechen, wer nicht beide Seiten der Reform sieht, die die Unternehmen per Saldo mit drei Milliarden Mark entlastet. Nur wenige Unternehmen müssen streng begrenzte Mehrbelastungen hinnehmen, die übergroße Mehrheit gehört zu den Nettogewinnern der Reform. Die Gesamtentlastung der Wirtschaft impliziert auch insgesamt positive Wirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, so daß die vielbeschworenen "Gefahren des nationalen Alleingangs" Makulatur geworden sind. Im Gegenteil: Anders als die konventionelle Umweltpolitik von gestern ermöglichen Ökosteuern den "Ausbruch aus dem Gefangenendilemma", durch progressive Gestaltung seines Steuersystems kann ein Staat ökologischer Vorreiter werden, ohne seine Wirtschaft international zu benachteiligen. Daß "Steuern nicht lenken dürfen", kann ernsthaft nur der fordern, der über die negativen Lenkeffekte konventioneller Steuern niemals nachgedacht hat. Steuern ohne Lenkwirkung gibt es überhaupt nicht, weil jede Besteuerung Reaktionen der Besteuerten auslöst. Oder ist gar gemeint, Steuern dürfen nur lenken, solange die Lenkungseffekte unbeabsichtigt und negativ bleiben? Unter dem Motto Zuckerbrot statt Peitsche wird häufig behauptet, Verhaltensänderungen der Wirtschaft seien leichter durch Subventionen herbeizuführen. Doch wer bezahlt die Subventionen, wenn nicht alle anderen, durch höhere konventionelle Steuern? Und wie will man dann noch die Abgabenquote reduzieren? Lenkungssteuern sind der beste Weg zu niedrigeren Steuerquoten, weil positive Lenkeffekte dann schon von der Einnahmeseite der staatlichen Budgets ausgehen. Notwendig: die kopernikanische Wende des ökologischen Denkens. So wenig die Erde im Mittelpunkt unseres Planetensystems steht, so wenig kann die Wirtschaft den Platz des irdischen Zentralgestirns beanspruchen: Im Ökosystem Erde ist sie nur Subsystem. Sich den Naturgesetzen unterzuordnen und nachhaltiges Wirtschaften anzustreben, ist weise Einsicht in die Notwendigkeit. Diese Einsicht trennt die modernen Kopernikaner von den "ökologischen Neoptolemäern", die noch immer nicht verstanden haben, wer im Verhältnis Wirtschaft/Natur Ast ist, und wer Säge. Zur Bewältigung der ökologischen Herausforderung brauchen wir gewiß nicht mehr Government, aber mehr Governance, also intelligente und behutsame Regulierung des Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur. Zu den wichtigsten Instrumenten dieser aufgeklärten Regulierung zählt die Ökosteuer. Es wäre jammerschade, wenn wichtige Gruppen und Parteien unserer Gesellschaft sich diesem weltweit an Zustimmung gewinnendem Reformkonzept nur deshalb verweigerten, weil es für sie von der falschen ideologischen Seite kommt. Not invented here ist nicht nur für Unternehmen eine dumme Devise. Wir brauchen ein parteiübergreifendes Reformbündnis für Ökosteuern, das die langfristige Anlage eines Legislaturperioden und Regierungswechsel überdauernden Reformprozesses erlaubt. Zugleich braucht die Ökosteuer das Bündnis mit Bareis, also die Verbindung zu den vernünftigen Ansätzen einer Gesamtsteuerreform, die auf breiterer Basis niedrigere Sätze erlaubt, die Steuerlast insgesamt senkt und zugleich von Einkommensteuern und Sozialabgaben auf indirekte Abgaben verlagert. Dabei allerdings auf die intelligente Form indirekter Besteuerung, nämlich Steuern mit ökologischem Mehrwert, und nicht auf die Mehrwertsteuer mit ihren eher minderwertigen Lenkungseffekten. Zwischen "bürgerlich-technokratischen Steuerreformern" wie Uldall, Rose, Bareis, Schleußer, Hombach auf der einen, und "Ökofiskalisten" aus Umweltbewegung, Grünen und SPD auf der anderen Seite besteht immer noch zu wenig Dialog. Dabei weisen beide Reformstränge mehr Gemeinsames auf, als ihren Protagonisten bewußt zu sein scheint: Beide wollen das Steuersystem auf breitere Basis stellen, um dafür mit niedrigeren Sätzen auszukommen: Das gilt ebenso für die Modernisierer der Einkommensteuer wie für diejenigen "Ökofiskalisten", die für breit wirkende Energiesteuern mit wenig Ausnahmen eintreten. Beide plädieren für eine Lastverlagerung von direkten zu indirekten Steuern. Die eher bürgerlich oder technokratisch orientierten Steuerreformer haben dabei allerdings vorrangig die Mehrwertsteuer im Visier, während die ökologisch motivierten Reformer Energiesteuern "als Steuern mit ökologischem Mehrwert" bevorzugen. Beide achten auf die Gesamtwirkungen des Abgabensystems, also die Lenkungseffekte beider Seiten der fiskalischen und parafiskalischen Budgets. Es kann nicht länger sein, daß die Lenkungseffekte staatlicher Ausgaben genauestens observiert und kritisiert werden, Negativauswirkungen der Einnahmeseite - wie etwa die überzogene Belastung des Faktors Arbeit - jahrzehntelang als unvermeidliche Naturgröße hingenommen werden. Insgesamt geht es beiden Reformbewegungen auch um die stärkere Verankerung des Verursacherprinzips und der individuellen Verantwortung. Für die Ökologen heißt dies: Wer überdurchschnittlich viel Energie verbraucht, soll auch mehr Verbrauchssteuern bezahlen (egal ob der Verbrauch zuhause, im Büro, oder in der Fabrik erfolgt). Für die bürgerlich-technokratischen Steuerreformer heißt dies: Abbau von Subventionen und Ausnahmetatbeständen, dafür niedrigere Steuersätze für alle. Quer zu den politisch-ideologischen Lagern gilt es, diese Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und zur Basis eines parteiübergreifenden Reformbündnisses zu machen. Die Polarisierung der Steuerdebatte entlang parteipolitischer Grenzen erweist sich insbesondere für die Ökosteuer als schwere Hypothek. Trotz des klaren Wahlsiegs von Rotgrün müssen "Ökofiskalisten" heute auf eine überparteiliche Koalition der Befürworter konsequenten ökologischen Strukturwandels hinarbeiten. Heute finden sich in den Reihen von SPD und Gewerkschaften noch ebenso bornierte Ökosteuergegner, wie es bei FDP und Union längst eine starke, wenn auch nicht sehr lautstarke Minderheit von Ökofiskalisten gibt. Die notwendige Umpolung unseres Steuersystems von seiner heutigen, absurd hohen "Arbeitslastigkeit" zu einer moderat zu steigernden "Naturlastigkeit" findet auch in den bürgerlichen Parteien immer mehr Anhänger, die sich bisher allerdings noch wenig manifestiert haben. Der Grundgedanke, daß das Steuersystem als notwendiges Übel wenigstens schädliche Aktivitäten stärker belasten sollte als nützliche, ist letztlich viel zu logisch und zu einfach, um auf Dauer ideologischer Alleinbesitz der politischen Linken bleiben zu können. Der Zusammenschluß der Ökosteuerbefürworter über traditionelle Parteigrenzen hinweg ist schon deshalb erforderlich, weil eine langfristig angelegte Reform nicht von geänderten Mehrheitsverhältnissen erschüttert werden darf. Er ist aber auch nötig, weil wenig Reformen so verletztlich gegenüber leicht zu schürenden Ängsten sind. Antiökologischer Populismus ist heute das größte Hindernis auf dem Weg zur ökologischen Steuerreform. Daß alle opfern müssen, damit alle gewinnen können: Diese einfache Logik verbindet beide Stränge der Steuerreform ebenso, wie die Verweigerung dieser Einsicht die Gegner konsequenter Steuerreformen kennzeichnet. Die Spesenritter verteidigen die Absetzbarkeit ihrer Bewirtungsbelege so hartnäckig wie die Schichtarbeiter die Steuerfreiheit ihrer Nachtzuschläge. Wir alle könnten zu Gewinnern einer Reform werden, die unser Steuersystem straffer und flacher, schlanker und ökologischer gestalten würde. Doch noch drängen sich auf der politischen Bühne mit großem Getöse die Lobbyisten der Reformverlierer, um überkommene Privilegien, falsche Anreizen und verschobene Lastverteilungen zu verteidigen. Es ist hohe Zeit für eine parteiübergreifende, breite Bürgerinitiative, die gegen partikuläre Einzelinteressen für das kollektiv Vernünftige eintritt. Zurück zur Vision. Ökosteuern sind nicht nur bessere Steuern als konventionelle Abgaben, sie sind auch als ökologisches Instrument besser als konventionelle Hebel der Umweltpolitik. Sie sind wirksamer als moralische Appelle, billiger als Subventionen, einfacher einzuführen als Zertifikate. Sie entfalten und entfesseln die dynamischen Kräfte der Marktwirtschaft, statt ihr neue ordnungsrechtliche Knebel und Vorschriften anzulegen. Sie prämieren die Fortschrittlichen, statt die Fußkranken zu päppeln. Sie stimulieren die Zukunftsindustrien, ohne die Altbranchen zu ersticken. Sie ermöglichen den Ausbruch aus dem Gefangendilemma, weil eine Volkswirtschaft eine fortschrittlichere Preisstruktur als ihre Wettbewerber anstreben kann, ohne ihre Wirtschaft mit Wettbewerbsnachteilen zu belasten. Es mag ungewohnt klingen: Aber wenn Audi einen betriebswirtschaftlichen Vorsprung durch Ingenieurtechnik erringen kann, wieso können Deutschland und Europa dann nicht volkswirtschaftliche Vorteile durch intelligente Besteuerungstechnik erlangen? Phileas Fogg gewann seine Wette nicht nur durch das geplünderte Schiff, sondern auch durch den unverhofft gewonnenen Tag aus Überschreitung der Datumsgrenze. Wir müssen nur die Hürden in unseren eigenen Köpfen überwinden, um aus der unsinnigen Wette gegen die Natur in ein nachhaltigeres Verhältnis mit ihr einzutreten.
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