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Wenn UmweltschützerInnen vor fünf Jahren auf die Reform der Chemikalienpolitik durch die Verordnung zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien (REACH) angesprochen wurden, bekamen sie leuchtende Augen. Das ehrgeizige Projekt sollte Jahrzehnte einer verfehlten Chemikalienpolitik wettmachen. Gegen den Druck der Industrie wollten die Entscheidungsträger Europas damit die 100.000 Chemikalien, die sich heute auf dem EU-Markt befinden, sicherer machen. Zehntausende von Substanzen sollten endlich daraufhin getestet werden, ob sie Mensch und Umwelt schaden, weil sie zum Beispiel krebserregend, fortpflanzungsschädigend oder schwer abbaubar sind; die gefährlichsten Stoffe sollten durch ungefährlichere ersetzt werden. Einigung hinter geschlossenen Türen Doch nach fünf Verhandlungsjahren ist REACH nur noch ein Schatten seiner selbst. Unter Vertretern von Umweltorganisationen gilt REACH als Paradebeispiel für den immensen Einfluss der Industrie auf die europäische Umweltgesetzgebung. In der Nacht zum 1. Dezember 2006 haben sich EU-Parlament und EU-Ministerrat hinter geschlossenen Türen auf einen Kompromiss geeinigt, der weit hinter dem zurückbleibt, was zum besseren Schutz von Mensch und Umwelt nötig gewesen wäre. Viele krebserregende und erbgutschädigende Substanzen können demnach weiter vermarktet werden, auch wenn es sicherere Alternativen gibt. Das Risiko vieler Stoffe bleibt weiterhin im Dunkeln, weil sie nicht ausreichend getestet werden müssen. Bis Ende dieses Jahres soll das REACH-Dossier nun abgeschlossen werden. Seit Oktober 2006 befindet sich REACH in der zweiten Lesung. Mitte Dezember wird das Plenum des EU-Parlaments über den Kompromissvorschlag abstimmen, kurz danach der EU-Ministerrat. Wird der Vorschlag von beiden Parteien angenommen, was zu erwarten ist, kann REACH im Frühjahr 2007 in Kraft treten. Der Kompromissvorschlag ist auch deshalb eine große Enttäuschung, weil umwelt- und verbraucherfreundliche Positionen, die noch im Oktober im Umweltausschuss klare Mehrheiten bekamen, weitgehend ignoriert worden sind. Die industriefreundlichen Positionen, die auch durch das deutsche Bundeskanzleramt vertreten wurden, haben sich klar durchgesetzt. Kein Ersatz besonders gefährlicher Stoffe Nach dem Substitutionsprinzip sollten "besonders Besorgnis erregende" Chemikalien verpflichtend ersetzt werden, wenn sicherere Alternativen vorhanden sind. Als "besonders Besorgnis erregend" werden Stoffe bezeichnet, die krebserregend, erbgut- und fortpflanzungsschädigend sind; Stoffe, die giftig und langlebig sind und sich im Körper anreichern; Stoffe, die sehr langlebig sind und sich stark im Körper anreichern sowie Stoffe, die "ähnlichen Anlass zur Sorge" bereiten, da sie zum Beispiel wie Hormone wirken. Solche Stoffe sollten nur dann zeitbeschränkt zugelassen werden, wenn es bewiesenermaßen keine sichereren Alternativen gibt und der gesellschaftliche Nutzen den Schaden rechtfertigt. Denn REACH sollte systematisch Innovationen und sicherere Alternativen fördern. Der Kompromissvorschlag sieht jedoch vor, dass die "besonders Besorgnis erregenden" Stoffe standardmäßig zugelassen werden müssen, sobald ein Unternehmen erklärt, die Substanz "angemessen kontrollieren" zu können. Selbst wenn für das jeweilige Einsatzgebiet bereits unbedenklichere Alternativen verfügbar sind, hat der Hersteller einen Rechtsanspruch auf Zulassung. Was jedoch dabei herauskommt, wenn Unternehmen behaupten, Stoffe "angemessen" zu kontrollieren, zeigt die Vergangenheit: Das Flammschutzmittel decaBDE etwa lässt sich im Blut von Babies, in der Muttermilch, im Trinkwasser und sogar im Fettgewebe von Inuit und Eisbären nachweisen. Von dieser Regelung des Kompromissvorschlags ausgenommen werden sollen nur besonders langlebige Stoffe, die sich in der Nahrungskette anreichern und Stoffe, für die sich keine Wirkungsschwelle feststellen lässt. Ein weiterer Schwachpunkt des Kompromisses ist, dass der Hersteller selbst dafür verantwortlich ist zu prüfen, ob es angemessene Alternativen gibt. Hersteller neigen jedoch eher dazu, alte "bewährte" Stoffe einzusetzen, anstatt auf neue Alternativen umzustellen - geschweige denn danach zu suchen, nachdem eine Zulassung für die alten Stoffe erwirkt wurde. Testanforderungen reichen nicht aus Ursprünglich sollten durch REACH Informationen über die Gefährlichkeit von 30.000 Stoffen gewonnen werden - all jene, die pro Hersteller und Jahr in Mengen von über einer Tonne hergestellt werden. Doch bereits in erster Lesung wurden die Testanforderungen bei der Registrierung von Chemikalien erheblich verringert - auf Druck der chemischen Industrie. Insbesondere im Bereich der Jahresproduktion von ein bis zehn Tonnen sind nun für die meisten der Stoffe nur noch die bereits vorhandenen Daten einzureichen. Auch bei höheren Produktionsmengen können auf Antrag wichtige Tests, etwa auf Fortpflanzungsschädigung, weggelassen werden. Keine allgemeine Sorgfaltspflicht Die chemische Industrie sollte gemäß der Sorgfaltspflicht die Verantwortung für die Sicherheit all ihrer Produkte übernehmen. Hersteller und Importeure von Chemikalien sollten, unabhängig vom Produktionsvolumen, garantieren müssen, dass ihre Produkte bei sachgerechter Handhabung der Gesundheit und der Umwelt nicht schaden. Die Einrichtung eines solchen Passus zur Sorgfaltspflicht würde bereits existierende freiwillige Verpflichtungen rechtlich verbindlich machen. Der Umweltausschuss des Parlaments hat sich mit großer Mehrheit für die Notwendigkeit einer Sorgfaltspflicht ausgesprochen. Nach dem Kompromissvorschlag gäbe es jedoch in der REACH-Verordnung keine rechtlich verbindliche Pflicht der Hersteller, für die Folgen von Stoffen Sorge zu tragen, wovon sie weniger als eine Tonne pro Jahr herstellen. Keine Information für die VerbraucherInnen VerbraucherInnen benötigen ausreichende Informationen, um beim Kauf von Alltagsprodukten solche auszuwählen, die frei von gefährlichen Chemikalien sind. Alle Informationen, die relevant sind für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, sollten also der Öffentlichkeit in vollem Umfang zugänglich gemacht werden. Die ParlamentarierInnen hatten dafür gestimmt, dass Informationen in der Warenkette über den Händler bis zu den VerbraucherInnen weitergegeben werden müssen. Der Kompromissvorschlag sieht dies jedoch nur für besonders Besorgnis erregende Substanzen vor und auch nur dann, wenn diese mehr als 0,1 Prozent des Gewichts eines Artikels ausmachen. Nur die allerwenigsten Erzeugnisse werden von dieser Regelung abgedeckt. REACH war eine einmalige Chance, Chemikalien sicherer zu machen, indem Anreize dafür geschaffen werden, gefährliche Stoffe durch sicherere zu ersetzen. Der jetzt vorliegende Kompromissvorschlag dagegen lenkt Investitionen in die falsche Richtung: Statt in die Erforschung von Alternativen zu investieren, werden Unternehmen ermutigt, Grenzwerte für ihre veralteten, gefährlichen Stoffe zu ermitteln, damit sie bei "angemessener Kontrolle" zugelassen werden können. Das Parlament hat in einigen wenigen Bereichen noch die Möglichkeit, minimale Verbesserungen vorzunehmen, zum Beispiel bei der allgemeinen Sorgfaltspflicht und bei der Erfassung von gefährlichen Substanzen in Erzeugnissen. Doch es lässt sich jetzt schon absehen: Die Möglichkeit, durch REACH Chemikaliensicherheit in Europa herzustellen, wurde verspielt. Um als UmweltschützerIn wieder Visionen für eine Zukunft ohne Gift zu entwickeln, scheint man schon an ein REACH II denken zu müssen. Carolin Zerger hat Politikwissenschaften und Inernationale Beziehungen studiert. Seit Anfang 2005 arbeitet sie beim BUND im Bereich Chemikalienpolitik. Kontakt: carolin.zerger@bund.net www.bund.net Erschienen in punkt.um 12/2006 www.oekom.de/zeitschriften/punktum/archiv/punktum-archiv/heft/311.html
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