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Sie wissen nicht, wo Ihre Tochter steckt? Kein Problem, ihre Lieblingsjeans verrät es Ihnen. Die enthält nämlich winzige Nanosensoren, die Sie mithilfe Ihres satellitengesteuerten Navigationssystems aufspüren können. Doch solche unauffälligen Überwachungssysteme sind nur eine der besonderen Möglichkeiten, die die Nanotechnologie für Sie bereithält - George Orwell lässt grüßen. Daneben gibt es unzählige Anwendungen, die unser Leben in der Zukunft grundlegend verändern können: Der Nanokosmos ist eröffnet. Angefangen hat alles in den 1920 und -30er-Jahren, als Physiker immer weiter in die Welt der kleinsten Bausteine des Lebens eindrangen. Sie erforschten Atome und Moleküle, deren Zusammensetzung und Eigenschaften. Und fanden Erstaunliches heraus: In dieser Miniaturwelt gelten völlig andere als die bisher bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Bis heute ist nicht bekannt, wie genau und warum sich die Elemente auf der kleinsten Skala so anders verhalten. In der Nanowelt treffen Physik, Biologie, und Chemie aufeinander - denn im Prinzip setzt sich die tote (anorganische) Materie aus den gleichen Bausteinen wie die lebende (organische) zusammen. Biologische Vorgänge, chemische Synthesen und physikalische Werkzeuge ergänzen sich gegenseitig - und werden in der Nanotechnologie erweitert um die Anwendungen und Erkenntnisse aus der Informatik. Der gemeinsame Nenner ist dabei die Größe der Materie. So definiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung Nanotechnologie als die "Herstellung, Untersuchung und Anwendung von funktionalen Strukturen, deren Abmessungen im Bereich unter einhundert Nanometer liegen". (1) Eine neue Stoff-Klasse Schon vor rund 2.000 Jahren haben Menschen Nanopartikel hergestellt - ohne es zu wissen allerdings: In chinesischen Keramiken fanden Wissenschaftler winzige Teilchen. Japanische Samuraischwerter verdanken ihre Härte zertrümmerten Kohlenstoffmolekülen, die beim Schmieden entstanden. Heute weiß man auch, wie Nanopartikel aussehen: Sie können einige bis mehrere hundert Atome oder Moleküle enthalten: eindimensional (in Schichten), zweidimensional (Nanoleitungen, Quantendrähte) oder dreidimensional (Quantenpunkte, Nanopulver, funktionale supramolekulare Systeme). Sie können fest, flüssig oder gasförmig sein. Der ganz entscheidende Unterschied der Nanopartikel zu größeren Teilchen ist, dass sich die bisher bekannten Eigenschaften der Materialien wie zum Beispiel Metalle außerordentlich verändern, je kleiner die Strukturen werden. Unter 20 Nanogramm benehmen sie sich nicht mehr wie Festkörper oder Kristalle - sie werden zu einer neuen Klasse von Stoffen. Grund dafür ist vermutlich, dass sich nun mehr Atome an der Oberfläche befinden, als im Inneren der Teilchen. Bei einem Durchmesser von drei Nanometern ist von 800 Atomen ein Drittel an der Oberfläche. Hier aber steckt die Energie. Elektrische Leitfähigkeit, Magnetismus, Farbe, Härte, Schmelzpunkt und Reaktionsfähigkeit variieren im Nanobereich: Verschieden große Cadmium-Tellurid-Partikel fluoreszieren in unterschiedlichen Farben, Aluminium wird hochexplosiv, Kohlenstoff härter als Stahl und ist dabei sehr leicht. Unter bestimmten Voraussetzungen, abhängig von Energiezufuhr und Symmetriebrechung, ordnen sich Moleküle selbst in einer bestimmten Struktur an. Längliche Kettenmoleküle, etwa siliziumhaltige Silane, bauen sich auf Metall zu Molekülschichten zusammen (Self Assembling Monolayer). Diese Molekülschichten haben auch bestimmte Eigenschaften: Sie können Proteine anziehen, Wasser abstoßen oder die elektronische Struktur eines darunter liegenden metallischen Materials verändern. Wegen ihrer relativ großen Oberfläche eignen sich Nanopartikel zur Absorption, als Sensoren oder Katalysatoren. Nanopartikel wirken giftiger als in Makro-Strukturen, sie sind mobiler und können deswegen das Immunsystem und andere Körperbarrieren wie Magenwände, die Blut-Hirn-Schranke und möglicherweise die Plazenta, durchdringen. Noch ist kaum erforscht, wie sich Nanopartikel in der Umwelt - in Luft, Wasser, Boden - oder im menschlichen Körper verhalten. Im Juni 2000 entschlüsselte das Human Genom Project das menschliche Genom. Damit wurde die Reihenfolge der über drei Milliarden Basenpaare (aus den vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin), die die Sprossen der DNA-Leiter bilden, bekannt. Diese Sprossen kann man wie einen Reißverschluss mittels Enzymen trennen und mit anderen wieder verbinden. Mit der Stückelung und Trennung der DNA können deren Teile als Bauteile für Nanomaschinen verwendet werden. Denn die DNA hat die Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren. In der Nanotechnologie soll sie dazu genutzt werden, Moleküle in großen Stückzahlen zu fertigen - der einzelne Aufbau von Nanostrukturen wäre viel zu mühsam, um die gewünschte Menge an Material zu bekommen. Hier steckt auch die größte Gefahr der neuen Technologie: Die DNA kann nämlich sowohl lebendes als auch nicht-lebendes Material aufbauen. Im DNA-Computing will man die Ähnlichkeiten, die mathematische Operationen und biologische Reaktionen haben, für die Rechenprozesse auf Nanoebene ausnutzen. Patente auf Molekülstrukturen Die besonderen Eigenschaften von Nanopartikeln wecken die Begehrlichkeiten der unterschiedlichsten Industrien: In Analytik, Elektronik, Optoelektronik und Optik, Biotechnologie und Medizin und vor allem in den Materialwissenschaften wird fieberhaft an neuartigen Stoffen geforscht, in der Sensorik will man die Eigenschaften von Molekülen, sich mit bestimmten Materialien zu verbinden, zum Aufspüren von Geruchs- und anderen Inhaltsstoffen nutzen. Mit einem Patent auf eine bestimmte künstliche Molekülstruktur ist es dabei möglich, Anwendungen, die die Eigenschaften dieser Struktur nutzen wollen - zum Beispiel extreme Härte, Kratz- oder Reißfestigkeit - in den unterschiedlichsten Industrien zu kontrollieren. Wenn Konzerne Eigentumsrechte über Atome der Elemente des Periodensystems bekämen, wäre ihre Macht schier unbegrenzt. In rund 475 Produkten sind bereits heute Nanopartikel enthalten, schätzt die kanadische Nichtregierungsorganisation ETC-Group, darunter sind Lebensmittel, Pestizide und Kosmetika. (2) Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor enthält Titiandioxid: Der normalerweise weiße Stoff ist in Nanogröße transparent und hat eine größere Oberfläche. Auch mittels Nanotechnologie hergestellte kratzfeste Autolacke, schmutz- und wasserabweisende Oberflächenbeschichtungen, stoßfeste Tennisschläger und Herzklappen gibt es bereits. Da die Mikroelektronik die treibende Kraft in der Nanoforschung ist, liegen hier auch die größten Erwartungen: Vor allem in den USA und Japan wird an Speichermedien und Halbleiterprodukten, Flachbildschirmen und Telekommunikationssystemen geforscht. Bereits im Jahr 2012, so prognostiziert die ETC-Group, werden Nanotechprodukte den Computer-Markt dominieren. In der Medizin- und Pharmaindustrie ist der vielversprechendste Markt die verfeinerte Medikation und die Diagnosetechnik. Kontrolliert und gezielt sollen präparierte Nanoteilchen Medikamente in bestimmte Zellen transportieren. Nanogoldhülsen, in der Tumorzelle mit Lasertechnik erhitzt, könnten Krebsgewebe zerstören ohne das gesunde Gewebe zu gefährden. Für die Diagnose will man mithilfe fluoreszierender Cadmium-Selenid-Nanokristalle (Quantum Dots) Proteine, die bestimmte Krankheiten anzeigen, im Körper finden. Barcode im Lebensmittel Titandioxid-Nanopartikel werden in der Solarzellenindustrie und bei der Reinigung von Abwässern eingesetzt. Hier erzielte der japanische Chemiker Kazuhito Hashimoto mittels der Photokatalyse gute Erfolge. "Wenn UV-Photonen im Sonnenlicht das Titandioxid anregen, entstehen bewegliche Elektronen, die chemische Reaktionen befördern können. Titandioxid ist dadurch in der Lage, verschiedenste anorganische und organische Moleküle zu zerlegen. Es funktioniert also wie ein kleines Klärwerk", beschreibt Niels Boing den Vorgang. (3) Auch in der Lebensmittelindustrie werden bereits Nanopartikel eingesetzt. In der Verpackung dienen sie hauptsächlich dem Frischhalten der Ware: Barrieren aus chemisch veränderten Nano-Schichtsilikaten in Folien verhindern, dass Gase wie Sauerstoff eindringen oder Feuchtigkeit aus der Ware entweicht (zum Beispiel Durethan von Bayer); transparente Nano-Titandioxidpartikel absorbieren UV-Licht in Frischhaltefolien. Entwickelt werden derzeit auch Verpackungen, die die Farbe wechseln, wenn der Inhalt verdirbt oder dann entsprechend ein Konservierungsmittel abgeben. Auch an Barcodes, die bereits im Lebensmittel enthalten sind, arbeitet man. Als Lebensmittelzusätze gibt es bereits synthetisch hergestellte Carotinoide auf Nanobasis - wie Lycopene von BASF - die Limonaden, Fruchtsäften und Margarine zugesetzt werden, um sie länger frisch zu halten. Im Ketchup regulieren winzige Quarzsandkörnchen die Fließgeschwindigkeit. Die für die Zulassung zuständigen Behörden berücksichtigen dabei bei einmal zugelassenen Stoffen nicht deren Größe, beziehungsweise die dadurch veränderten Eigenschaften. Im Bereich des "Functional Food" werden in den USA bereits heute einige hundert verschiedene Arten von Mikrokapseln eingesetzt, die Vitamine, Omega-3-Fettsäuren oder andere zugesetzte Inhaltsstoffe in den Körper bringen. In Zukunft sollen Nanovehikel die Wirkstoffe direkt in die Zellen transportieren. Dies ist auch für die Kosmetikindustrie interessant, die das bei Hautcremes nutzen will. Die Firma Nestlé arbeitet dabei eng mit L'Oreal zusammen, an der sie 49 Prozent Anteile hält. Auch in der Kosmetik gibt es bei den Inhaltsstoffen keine klare Deklarierung. Überwachung auf dem Acker Das Prinzip ist ähnlich wie bei der Gentechnik, nur wird hier auf der atomaren Ebene operiert. Über Kohlenstoff-Nanoröhrchen werden Stränge synthetischer DNA in Pflanzenzellen implantiert. Diese entwickeln dann neue Proteine mit neuen Eigenschaften. Da die DNA an der Nano-Kohlenstofffaser hängt, kann sie sich theoretisch nicht ins Pflanzengenom integrieren, die neue Eigenschaft wird deshalb nicht weitervererbt. Zellen kann so einmalig eine neue Eigenschaft einprogrammiert werden; dies erprobt man in den USA zurzeit an Loblolly-Pflanzen zur Zellstofferzeugung. Dieselbe Methode könnte dazu genutzt werden, dem Saatgut ein sogenanntes Unfruchtbarkeitsgen einzupflanzen, sodass die Bauern das daraus gewonnene Saatgut nicht weiter verwenden können. Was aber passiert anschließend mit den Nanofasern - wie reagieren andere Organismen, wenn sie diese mit der Nahrung aufnehmen, wie verhalten sie sich im Boden, im Wasser? All dies ist noch nicht geklärt. Um eine Reissorte zu kreieren, die das ganze Jahr über gepflanzt werden kann, mit kürzerem Stängel und "verbesserter" Farbe schleusten thailändische Forscher durch ein Loch in der Zellwand ein Nitrogen-Atom, das die DNA umstrukturieren sollte. Bislang hat man allein die Farbe ändern können, von lila zu grün. Auf dem Bauernhof der Zukunft messen Nanosensoren Mikroklima und Vibrationen um Vieh und Pflanze und schicken die Ergebnisse an den Computer. Der bestimmt dann, was getan werden muss - die Erfahrung des Bauern wird überflüssig gemacht. Was dieser tut, wird auch überwacht: Durch Spyware im Saatgut, das der Firma meldet, ob der Bauer sich an die Lizenzvorschriften hält. Auch in der Tierhaltung können solche Sensoren Auskunft über den Standort und den Gesundheitszustand der Tiere melden. Neuartige Medikamente und Diagnoseverfahren werden in der Tiermedizin erforscht. Strategische Allianzen für den Weltmarkt Zur weltweiten Vermarktung der Nanotechnologie haben sich bereits drei Allianzen gebildet: Die US-NanoBusiness Allianz, die Europäische Nanowirtschaftsgesellschaft und das Asia-Pazifik Nanotechnologie Forum. Weltweit führend in den Nanowissenschaften sind die USA, die im Jahr 2000 die Nationale Nanotechnologie Initiative (NNI) mit zehn Regierungspartnern gründeten. Dabei erhalten die National Science Foundation und das Verteidigungsministerium den Löwenanteil an Forschungsgeldern. Denn die neuartigen Eigenschaften der Nanomaterialien sollen Kampfanzüge und Ausrüstung amerikanischer Soldaten verbessern: Unzerstörbare Textilien oder solche, die Muskeln unterstützen, würden gemeinsam mit vielen anderen denkbaren Materialien der US-Armee einen immensen Vorteil verschaffen und die Vormachtstellung der USA in der Welt sichern. In Asien gibt Japan weitaus am meisten Geld für die Nanoforschung aus. Die Regierung setzt große wirtschaftliche Hoffnungen in die neue Technologie und steuert die Entwicklungen. Hier entstand 2003 auch die erste Fabrik zur Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT). Europäische Universitäten haben seit mehreren Jahren Nanotechnologie-Forschungsprogramme (vgl. S. 34 ff.). Im "Framework Programme" für die Jahre 2007 bis 2013 hat die Europäische Kommission für die Nanotechnologie-Förderung 4,8 Milliarden Euro, fast sieben Prozent des Haushalts, eingeplant. EU-Forschungskommissar Phillipe Busquin erläutert in der Kommissions-Mitteilung 2004 die Strategie: "Um das Ziel zu verwirklichen, dass Europa die führende, auf Wissen basierte Wirtschaft innerhalb dieses Jahrzehnts wird, ist es sehr wichtig, dass unsere Industrie Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringt, die auf Nanotechnologie basieren. Somit können Wohlstand, Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum gewährleistet werden. Nanotechnologie bietet die goldene Gelegenheit, neue, auf Wissen basierende Unternehmen zu gründen und hat ein revolutionäres Potenzial, neue Produktionsverfahren zu erschließen. Es ist äußerst wichtig, dass ein günstiges Umfeld für nanotechnische Innovationen geschaffen wird." Die Zukünftige Technologien Consulting des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI-TZ ZTC) schätzt das Weltmarktvolumen nanotechnologischer Produkte auf 900 Millionen US-Dollar im Jahr 2005, das entspricht einem Weltmarktanteil von 0,1 Prozent. Für die Jahre 2011 bis 2014 rechnet die amerikanische Lux Research bereits mit einem Weltmarktvolumen von 1 bis zu 2,6 Billionen US-Dollar bei einem Marktanteil von rund 15 Prozent für nanotechnisch beeinflusste Produkte. (4) Nebenwirkungen ungeklärt Weil sie mit dem Risiko Geschäfte machen, ist das Verhalten von Versicherungen ein guter Indikator für deren Einschätzung: Swiss Re, der weltweit zweitgrößte Rückversicherer forderte 2004 strikte Regelungen für Nanopartikel nach dem Vorsorgeprinzip - wegen der Giftrisiken. Denn noch gibt es sehr wenige Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen synthetische Nanopartikel auf Gesundheit und Umwelt haben und wie sich wirtschaftliche und soziale Strukturen - etwa durch Patente auf Nanoteilchen - mit der neuen Technologie verändern. Eine Risikoabschätzung der Nanotechnologie für Gesundheit, Wirtschaft und Umwelt sei noch nicht möglich, behaupten Fachleute. Deswegen hat sich die ETC-Group für ein Moratorium bei der Anwendung der neuen Technologie ausgesprochen - solange bis deren Risiken hinreichend geklärt sind. Bestehende Bedenken sind: _Nanopartikel haben die Fähigkeit, in Zellen einzudringen, ohne vom Immunsystem gehindert zu werden. Für die Verteilung von Medikamenten im Körper kann dies als Vorteil erscheinen - es kann aber genauso ein großer Nachteil sein, wenn schädliche Substanzen sich an die Nanomaterialien heften. Untersuchungen an Nagetieren zeigen, dass bei gleicher Masse kleinere Teilchen stärkere Entzündungswirkungen haben - wahrscheinlich hängt auch das mit ihrer größeren Oberfläche zusammen. _In der Umwelt könnten Nanopartikel eine neue Klasse nicht abbaubarer Verschmutzungen bilden - viele sind Mini-Versionen bereits bekannter Stoffe. Während diese getestet werden, weiß man aber nichts über das Verhalten ihrer Nanoversionen in Luft, Wasser und Boden. _Mit den neuen Materialien tut sich ein riesiger Markt für die Wirtschaft auf - und Patente werden den Industrien Gewinne sichern. Die dem Kapitalmarkt inhärente Konzentration wird zur Monopolisierung führen, sodass auch hier einige Großkonzerne den Markt kontrollieren. Weil sie unmittelbar unsere Nahrungsmittel und ihre Grundlage, die Bodenfruchtbarkeit betrifft, ist der Einsatz von Nanotechnologie in der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie mit erheblichen Risiken verbunden. Synthetische Nano-Produkte wie schmutz- und wasserabweisende Fasern in der Textilindustrie können natürliche Rohstoffe immer mehr ersetzen. Eine große Gefahr für die Entwicklungsländer sieht hier Pat Mooney von der ETC-Group: "Nanotechnologie bedeutet, dass die heute als essenziell angesehenen Rohstoffe sich verändern werden; dies wird dramatische Auswirkung auf Entwicklungsländer haben, von denen viele vom Export dieser Rohstoffe abhängen." (vgl. auch S. 37 ff.) Baumwolle produzierende Länder - vor allem Afrika - wird dies hart treffen, aber auch die Nachfrage nach natürlichem Gummi, zum Beispiel für Autoreifen, wird mit den neuen Produkten aus Nanomaterialien stark nachlassen. Meinungsbildung durch PR-Strategen Bisher findet die Diskussion um Nanotechnologie weitgehend in Industriekreisen statt. In der letzten Zeit formieren sich deren Befürworter(innen) in Gruppen, die eine vermeintlich neutrale Position einnehmen, aber von der Industrie gesponsort sind. Hauptargument ist hier die Schaffung von Arbeitsplätzen - aber gerade bei der Nanotechnologie werden diese nicht entstehen, denn den Großteil der Produktion übernehmen Maschinen. Da Deutschland nach den USA und Japan eines der führenden Länder in der Entwicklung nanotechnologischer Produkte ist, ist man hier ängstlich bemüht, eine öffentliche Ablehnung der neuen Technologie - wie bei der Gentechnik geschehen - zu verhindern: Laut einer vom Umweltbundesamt beauftragten Stakeholder-Befragung wollen die Verantwortlichen "Probleme vermeiden, die in der Vergangenheit bei anderen Schlüsseltechnologien entstanden sind". (5) In der Anmerkung heißt es dazu: "Hiermit ist insbesondere das frühzeitige Festlegen auf Positionen gemeint, das eine Diskussion über Interessen verhindert, wie z. B. bei der Kernenergie, Gentechnik etc." Zumindest sind sich die Akteure darüber einig, "dass die Datenlage über Nanopartikel - vor allem ihr Vorkommen am Arbeitsplatz und in der Umwelt, ebenso wie die über ihre Wirkungen auf Mensch und Umwelt - zurzeit unzureichend ist." Der Öffentlichkeit soll auf jeden Fall signalisiert werden, dass die Bedenken ernst genommen werden. Vorsorge trotz Euphorie Während auch in Deutschland noch daran gearbeitet wird, wie man der Öffentlichkeit die neue Technologie "verkauft", hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits neun sogenannte Kompetenzzentren in ganz Deutschland geschaffen, die die Szene vernetzen sollen. In den vier Jahren 2002 bis 2005 hat die Regierung über verschiedene Institutionen die Nanotechnologie mit über einer Milliarde Euro (genauer 1086,4 Millionen Euro) gefördert, weitaus mehr als andere europäische Staaten. Vergessen wir nicht: Diese Gelder sind Steuergelder und die Öffentlichkeit sollte ein gehöriges Maß an Mitspracherecht bei der Verwendung dieser Mittel haben. Welche gesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Folgen Nanopartikel haben, muss auch unter ethischen Aspekten dringend betrachtet werden, bevor die Forschung die Gesellschaft vor vollendete Tatsachen stellt. Es ist längst an der Zeit, die Nanotechnologie, die die Zukunft entscheidend verändern kann, öffentlich auf einer breiten Basis zu diskutieren. Nach dem Vorsorgeprinzip sollten alle Lebensmittel, die bereits Nanopartikel enthalten, aus dem Verkehr gezogen werden, bevor sie nicht hinreichend auf eventuelle gesundheitliche Gefahren getestet sind. Dementsprechend sind auch die in der Landwirtschaft eingesetzten Nanopartikel auf ihre Unschädlichkeit für Boden und Umwelt zu prüfen. Unreglementierte Nanotechnologie-Forschung darf die Zivilgesellschaft nicht mit Produkten konfrontieren, deren Inhaltsstoffe zwar in Bezug auf ihre Verwendbarkeit, aber nicht auf ihre Risiken hin bekannt sind. Anmerkungen (1) BMBF (2002): Nanotechnologie in Deutschland - Standortbestimmung. Bonn. (2) ETC-Group (2004): Down on the Farm. The Impact of Nano-Scale Technologies on Food and Agriculture. Ottawa. (3) Niels Boing (2004): Nano?! Die Technik des 21. Jahrhunderts. Berlin. (4) Lux Research (2004): Revenue from nanotechnology-enabled products to equal IT and telecom by 2014, exceed biotech by 10 times. Im Internet unter: www.luxresearchinc.com/press/RELEASE_ SizingReport.pdf (5) Iku GmbH im Auftrag des Umweltbundesamtes (2005): Synthetische Nanopartikel. Blick auf Umwelt- und Gesundheitsaspekte. Dies. (2005): Synthetische Nanopartikel. Ergebnisse der Stakeholder-Befragung. Zur Autorin: Andrea Reiche, geb. 1962, studierte Germanistik, Publizistik und Kunstgeschichte. Sie arbeitet als freie Journalistin in München. Ihre Schwerpunkte sind Nachhaltigkeit und Risikotechnologien. Kontakt: Andrea Reiche info@andrea-reiche.de www.andrea-reiche.de Erschienen in politische ökologie 101: Nanotechnologie. Aufbruch ins Ungewisse. www.oekom.de/nc/zeitschriften/politische-oekologie/aktuelles-heft.html
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