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Rubrik:Umwelt & Naturschutz    Datum: 07.09.2006
Atompolitik: Ohne Ausstieg - strahlende Zukunft
Alte Risiken und neue Schwierigkeiten sind bekannt, aber die Atomrenaissance steht in voller Blüte
Weltweit wird der politische Rückenwind für die Atomenergie stärker. Auch der Störfall im schwedischen Reaktor Forsmark I hat ihren Aufschwung nicht geschwächt. Beim letzten G8-Gipfel applaudierten die Regierungschefs der Kernenergie. Ob es 2007 wieder so sein wird, hängt von Angela Merkel ab.

Es scheint, als stünden der Atomindustrie rosige Zeiten bevor: Geht es nach der Branche und einigen einflussreichen Politikern, sollen neue Reaktoren gebaut und die Laufzeiten von bestehenden verlängert werden. Ihr politischer Rückenwind wird auch im nächsten Jahr zu spüren sein, wenn Deutschland den Vorsitz der G8, den Klub der sieben wirtschaftlich stärksten Staaten und Russland, übernehmen wird. Schon in diesem Jahr haben sich die Regierungschefs auf dem G8-Gipfel in Sankt Petersburg versprochen, ihre Atomenergie weiterzuentwickeln. Von einem Ausstieg ist im Papier über globale Energiesicherheit nicht die Rede. Kein Wunder: Von den acht Staaten sind nur zwei grundsätzlich gegen Atomenergie, Deutschland und Italien.

Weltweiter Aufschwung für Atomkraft

Große Verfechter der Atomkraft beim Gipfel waren die USA, wo seit über 30 Jahren kein Atomreaktor mehr gebaut worden ist. Dank der amerikanischen Regierung gibt es seit letztem Jahr erhebliche Steuervorteile für Investoren und Kreditbürgschaften. Außerdem sollen Gelder aus dem Forschungsbudget benutzt werden, um zwei neue Reaktoren zu bauen. Einige Stromversorger denken nun über Neubauten nach. Über die notwendigen Technologien verfügen die USA zwar nicht, aber Anlagen von Siemens zu erwerben, erscheint Befürwortern langfristig sicherer als Öl von arabischen Scheichs zu kaufen.
Auch in Großbritannien geht der Ansporn, die Atomkraft wieder in Schwung zu bringen, eher von der Regierung denn von den Energiekonzernen aus. Nachdem der Energiebericht von 2003 Atomstrom für zu teuer befunden und ausgemustert hatte, strebt die britische Regierung nun eine Wiederbelebung an. In den nächsten 15 Jahren müssen altersbedingt fast alle Atomkraftwerke vom Netz. Will man sie rechtzeitig ersetzen, müssten Planung und Bau unverzüglich beginnen.
Frankreich, das einen großen Einfluss auf die europäische Atompolitik hat, verweist in einem Memorandum auf den Europäischen Atomvertrag (EURATOM), in dem sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben, die Atomindustrie in Europa auszubauen. Frankreich fordert, die EU solle die technische Entwicklung des Atomstroms fortsetzen, Lagerstätten für die radioaktiven Abfälle und langfristige finanzielle Sicherheit schaffen.
Auch EU-Staaten, die nicht unter den G8 sind, setzen zunehmend (wieder) auf Atomkraft. Finnland baut gerade in Olkiluoto an einem neuen Kernkraftwerk. In den Niederlanden wurde das Ende der Laufzeit des einzigen Reaktors in Borseele von 2004 auf 2013 verschoben und im Herbst will die Regierung die Bedingungen für den Neubau von Atomkraftwerken vorlegen. Der polnische Regierungschef Jaroslav Kaczynski wünschte in seiner Antrittsrede im Juli den Einstieg Polens in die Atomwirtschaft.

Risiken werden ausgeblendet

Auf den momentanen Aufschwung der Atomkraft haben Reaktorunfälle oder -vorfälle kaum eine Bremswirkung. Die Dokumentationen über die Atomkatastrophe in Tschernobyl vor 20 Jahren verursachten genausowenig einen Rückschlag für die Atomindustrie wie die Verhaftung von Personen im November letzten Jahres, die weniger gut gesicherte Anlagen auf dem Gelände des einzigen Atomkraftwerks von Australien bei Sydney sprengen wollten. Auch der jüngste Vorfall im schwedischen Reaktor Forsmark I im Juli ist ein Paradebeispiel. Hier waren nach einem Kurzschluss zwei von vier Notstromgeneratoren nicht angesprungen, sodass das Personal "blind" vor dunklen Bildschirmen den Reaktor ohne funktionierende Kontrollsysteme herunterfuhr. Es ist bemerkenswert, dass sogar das mehrfache Versagen von Notstromgeneratoren, Sicherheitskonzepten und Steuerungssystemen so wenig Nachhall in der öffentlichen Diskussion gefunden hat. Zumal Schwedens Atommeiler auf einem sehr hohen Sicherheitsniveau sind, sollten die weltweiten Atomausbaupläne in Frage gezogen werden. Doch Zweifel finden keinen Platz in einer Diskussion, in der Meinungen und Fronten seit Jahren verhärtet sind.

Angela Merkel muss die Weichen stellen

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich angesichts des nächsten G8-Gipfels unter ihrem Vorsitz die Frage ihrer Positionierung. Wird sie den in der Großen Koalition gefundenen Kompromiss in der EU und beim nächsten G8-Gipfel vertreten und den Atomausstieg zum Gegenstand internationaler Beratungen machen? Oder nutzt sie die atomfreundliche Politik der meisten G8-Länder und der EU-Mitgliedstaaten dazu, um bessere Bedingungen für die Atomindustrie zu schaffen? Dann sollte sie beachten, dass Kernbrennstoffe endlich sind und aus politisch zunehmend instabilen Regionen kommen.
Eine bessere Wiederaufbereitung und ein Abbau von weniger attraktiven Uranvorkommen mögen den Zeithorizont, bis der Brennstoffvorrat erschöpft ist, hinauszögern. Im Grunde macht Atomkraft nur in Verbindung mit der Brütertechnologie langfristig Sinn, bei der die Kraftwerke selbst spaltbares Material erzeugen. Die Risiken dieser Technologie sind aber nicht absehbar und die sicherheitspolitischen Probleme schon gar nicht. Ihr Einsatz würde die bereits dünne Linie zwischen ziviler und militärischer Atomtechnik verwischen und der Verbreitung von radioaktivem Material in alle Welt Tür und Tor öffnen. Angesichts von Unrechtsregimen und internationalem Terrorismus eine wenig attraktive Vorstellung. Der Preis für eine möglicherweise höhere Stromversorgungssicherheit wären erhebliche Sicherheitsrisiken in anderen Bereichen.

Ausstieg aus der Hypothek

Die Frage der internationalen Kontrolle von Atomtechnologie ist ein großes und erkanntes, aber leider ungelöstes Problem, wie die gegenwärtigen Kontroversen über die Atompolitik des Irak, des Iran oder Nord-Koreas zeigen. Solange die Industriestaaten selbst darauf bestehen, Atomkraft zu nutzen, fehlt ihnen die Legitimität, Maßnahmen zu fordern, die eine weitere Ausbreitung bedenklicher Technologien und Materialien verhindern. Selbst bei eklatanten Fällen wie dem des Iran können sie nicht glaubwürdig intervenieren. Dabei ist das größte Risiko vielleicht nicht der Einsatz von "Dreckigen Bomben", deren konventioneller Sprengstoff mit radioaktivem Material versetzt ist, sondern terroristische Angriffe auf schlecht geschützte atomare Abfalllager.
Atomkraftwerke stehen für eine altmodische Form der Stromversorgung, die planwirtschaftlich organisiert und auf wachsenden Stromverbrauch und ausreichende Reserven für jedwede Stromnachfrage ausgelegt ist. Ihr Konzept bietet keine Anreize zum effizienten Einsatz von Strom. Schlüsselfragen, etwa nach der dauerhaften Lagerung von Abfällen oder der Sicherheit von Anlagen, sind nicht befriedigend gelöst und vielleicht gar nicht lösbar. So werden Risiken auf künftige Generationen übertragen; Atomstrom hinterlässt unseren Kindern eine schwere Hypothek. Es wäre besser, auf dem G8-Gipfel - wie auch in der EU - die internationale Zusammenarbeit beim Atomausstieg in den Vordergrund zu stellen. Die Regierungschefs sollten über Maßnahmen zur Energie- und Stromeinsparung, Möglichkeiten zur Anpassung der Stromnachfrage und die erneuerbaren Energien diskutieren. Die Kanzlerin und die Bundesregierung können daran gemessen werden, ob sie diese Themen auf die Agenda des G8-Gipfels setzen und dem Treffen so eine neue Relevanz in der nationalen und internationalen Energiewirtschaft geben.

Andreas Kraemer ist seit 1995 Geschäftsführer des Ecologic Instituts für Internationale und Europäische Umweltpolitik. Er arbeitet u. a. zur Integration von Umweltbelangen in andere Politikbereiche.

Kontakt: Andreas Kraemer
E-Mail: kraemer@ecologic.de

Erschienen in punkt.um 9/2006
www.oekom.de/zeitschriften/punktum/archiv/punktum-archiv/heft/298.html


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