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Presse-Stelle:  Dr. Franz Alt Journalist, D-76530 Baden-Baden
Rubrik:Mobilität & Reisen    Datum: 18.07.2006
Vorbild München: Autofahren ist heilbar
Auch unter der Großen Koalition ist von einer Verkehrswende nichts zu spüren
Bundesregierungen jeder parteipolitischen Farbe, aber auch EU-Kommissionen, sind mit ihrer bisherigen Verkehrspolitik gescheitert. Verkehrspolitik ist seit Jahrzehnten schiere Autopolitik. Das war bei Helmut Kohl so und erst recht bei Gerhard Schröder. Und auch unter der Großen Koalition ist von einer Verkehrswende nichts zu spüren. Im Gegenteil - alles wird noch schlimmer.
Gebetsmühlenartig wird uns seit Jahrzehnten versprochen: Mehr Verkehr auf die Schiene und weniger auf die Straße! Doch tatsächlich verläuft die Entwicklung genau umgekehrt. Der öffentliche Verkehr in ganz Europa geht zurück und die Straßen werden immer mehr belastet. Auch in diesen Sommerferien werden wir es wieder erleben: Stau, Stress und lange Wartezeiten. Manchmal sind im Autoradio die Stau-Nachrichten länger als die Weltnachrichten.

Die EU-Kommission in Brüssel prognostiziert das Verkehrswachstum zwischen den Jahren 2000 und 2020 so:
Luftverkehr plus 108 Prozent
Kurzstrecken-Seeverkehr plus 59 Prozent
Straßen-Güterverkehr plus 55 Prozent
Privatfahrzeuge plus 36 Prozent
Binnenschifffahrt plus 28 Prozent
Schienen-Personenverkehr plus 19 Prozent
Schienen-Güterverkehr plus 13 Prozent

Das ursprüngliche Ziel war: Die Verkehrspolitik umweltfreundlicher zu gestalten.
Jetzt zeigt sich: Die Verkehrspolitik wird immer umweltzerstörender.


Die Fortschritte in der Energiepolitik werden durch eine katastrophale europäische Verkehrspolitik wieder aufgefressen. Das hängt zwar mit dem Versagen der Politik zusammen, aber ebenso mit dem Unwillen von uns Verkehrsteilnehmern, im großen Stil vom Auto auf Bahnen und Busse umzusteigen. Jeder Verkehrsteilnehmer ist Teil des Problems. Wie aber werden wir Teil der Lösung?

Die Auto-Verrücktheit ist Symbol unserer Unfähigkeit zum Überleben. Unsere Kinder und Enkel werden uns wegen dieser Verrücktheiten verfluchen.

Umso begrüßenswerter und überraschender ist eine Aktion der Stadt München mit dem Ziel, Staus zu verringern, Luftqualität zu verbessern und Verkehrslärm zu reduzieren. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt ermuntert Autofahrer zum Umstieg auf Rad, Bus und Bahn. In Zusammenarbeit mit fünf Münchener Firmen soll die Verkehrsbelastung Zug um Zug verringert werden. Die ersten positiven Ergebnisse wurden jetzt vorgestellt.

Bemerkenswert ist, dass sich auch der Autohersteller MAN an der Aktion "Mobil ohne Auto" beteiligt. Der Grund: Auch bei MAN fehlen - wie bei so vielen Münchener Firmen - Parkplätze!

Viele MAN-Mitarbeiter beklagen, dass sie ihren PKW nicht mehr in der Nähe ihres Arbeitsplatzes parken können. Also wirbt das Unternehmen bei seinen Beschäftigten dafür, ohne Auto zur Arbeit zu fahren. Mit Erfolg! Plötzlich stellen sogar Autobauer fest, dass es auch ohne Auto geht und außerdem Bus und Bahn billiger sind als das bisherige Autofahren.

Aber auch die Firma spart: MAN baut bis Jahresende ein Parkhaus, das um 50 Stellplätze kleiner ausfällt als bisher geplant. Ersparnis: 250.000 Euro. Mit Verzicht hat dieser Sieg der Vernunft also gar nichts zu tun. Die Umstellung ist ein vielfacher Gewinn: Ein Gewinn an Geld, ein Gewinn an Lebensqualität und ein Gewinn an Sicherheit. Denn eine Bahnfahrt ist etwa 100-mal sicherer als eine Fahrt mit dem Auto. Auf Deutschlands Straßen sterben jedes Jahr etwa 6.000 Menschen und über eine halbe Million verunglücken. Tausende von ihnen sitzen ein Leben lang im Rollstuhl und belasten Familie und Gesellschaft. Zudem ist eine normale Bahnfahrt stressfreier als eine Autofahrt. Ich lasse mich fahren. Ich lasse mich sehr gerne fahren. Ich selbst lege 97% meiner Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück und mache dabei die Erfahrung, dass die Bahn weit besser ist als ihr Image bei denen, die sie nie benutzen.

Die Münchener Stadtverwaltung sieht ihr Experiment, das vor einem Jahr startete, als Erfolg. Neben MAN hatten sich noch beteiligt:
die Bayerische Landesbank
das Münchener Landratsamt
das Klinikum Neuperlach und
das Städtische Klinikum München GmbH
Das Städtische Klinikum schuf neue Fahrradständer an - seitdem radeln mehr Mitarbeiter zur Klinik. Das Klinikum Neuperlach legte für seine Wäscherei neue, kürzere Routen für die Firmenlastwagen fest, welche die Krankenhauswäsche abholen und zurückbringen. Dadurch konnte ein LKW und 45.000 Kilometer LKW-Fahrten pro Jahr eingespart werden.

Die Bayerische Landesbank führte Jobtickets der Deutschen Bahn sowie die IsarJobCard des Münchener Verkehrsverbundes ein. Das Landratsamt München erhöhte die Zahl der Telearbeitsplätze (Arbeit zu Hause) von bisher 28 auf 40 und sparte dadurch viele PKW-Fahrten ein, Und das Klinikum Neuperlach sorgte für eine bessere Anbindung an Bus und U-Bahn.

Der Wirtschaftsreferent der Stadt München, Reinhard Wieczorek, freut sich über das bisherige Ergebnis der Aktion, die weitergeführt und erweitert werden soll. Wieczoreks Bilanz:

Innerhalb von neun Monaten konnten 105 Mitarbeiter der beteiligten Firmen zum Umstieg auf Bus, Bahn, Rad oder Fahrgemeinschaften ermuntert werden.
527.600 PKW-Kilometer und etwa 40.000 Liter Treibstoff wurden eingespart.
130 Tonnen CO2-Treibhausgase weniger wurden emittiert.
Mitarbeiter und Betriebe haben schon jetzt über 400.000 EURO gespart.
Alle haben also gewonnen. Liebe Leserinnen und Leser der SONNENSEITE: Jede und Jeder von uns weiß, dass wir Vorbilder brauchen, um selbst etwas zu ändern. Deshalb sind diese guten Beispiele so wichtig.

Laut einer Umfrage bei den Beteiligten sind dies die wichtigsten Erfolgskriterien für eine vernünftigere Mobilität:
Unterstützung durch die Geschäftsleitung
Information aller Beteiligten
Beratung durch externe Fachleute sowie
Aufstellung eines Mobilitätsteams in jedem beteiligtem Betrrieb

Die Beratung für das "Betriebliche Mobilitätsmanagement" hatte die Firma Arqum übernommen. Sie gab den beteiligten Unternehmen in mehreren Workshops Tipps wie sie ihr Ökomanagement und ihre Mobilitätsplanungen verbessern können. Natürlich haben auch die steigenden Benzinpreise beim Umstieg aufs Radl oder öffentliche Verkehrsmittel geholfen. Geld sparen ist immer ein hilfreiches Motiv.

Die Bayerische Landesbank hat für ihre Mitarbeiter ein Programm entwickelt, womit sie ihr Einsparpotential auf den Euro genau berechnen können. Einige kommen auf 400 Euro Ersparnis pro Jahr. Und mit gutem Umweltgewissen lebt sich's besser. Der Kluge fährt eben im Zuge. Autofahren ist heilbar.

Der Bayerische Rundfunk hat schon 2003 auf "Mobil ohne Auto" gesetzt und ebenfalls positive Erfahrungen gemacht. Die täglichen Busfahrten von und zum Fernsehstudio Freiman wurden von vier auf 19 erhöht. Und sofort nutzten täglich 130 Mitarbeiter mehr den Bus. Die Zahl der Busfahrer hat sich bis 2006 inzwischen nochmals verdoppelt. Die Mehrkosten haben sich aber lediglich um sieben Prozent erhöht, obwohl sich die Busfrequenz verfünffacht hat. Achtmal mehr BR-Mitarbeiterinnen und - Mitarbeiter nutzen jetzt Call-a-bike-Fahrräder.

Die Hypo - Bank hatte schon 2001 17 Dienstfahrräder angeschafft und damit den Verkehr zwischen ihren drei Standorten in München umweltfreundlich und gesundheitsfördernd verbessert. Durch Videokonferenz-Technik konnten außerdem die Dienstfahrten stark reduziert werden. 2005 wurde durch 20 erdgasbetriebene Dienstfahrzeuge die CO2-Bilanz günstiger. 2006 sollen 5o umweltfreundlichere Hybrid-Fahrzeuge gekauft werden, was den Benzinverbrauch pro Fahrzeug etwa halbieren wird.

Der finanzielle Aufwand der Stadt München für dieses "Betriebliche Mobilitätsmanagement" ist bescheiden. Die gesamt Aktion verursachte bisher 19.000 EURO Kosten. Jeder Betrieb steuerte 1.200 EURO selbst bei.

Eine neue erfolgreiche Verkehrspolitik, die mehr als die alte Autopolitik sein will, braucht positive Botschaften wie die des "Betrieblichen Mobilitätsmanagement" der Stadt München: Umsteigen ist ein Gewinn und macht Spaß.

Eine moderne, verantwortbare und zukunftsfähige Verkehrspolitik mit dem Schwerpunkt öffentlicher Verkehr könnte einen Aufbruch der europäischen Eisenbahnen inspirieren wie in den Anfängen vor 160 Jahren. Wir könnten in etwa 20 bis 25 Jahren eine Vervierfachung des öffentlichen Verkehrs organisieren und damit auch eine Million neue Arbeitsplätze schaffen. Wir bräuchten dafür freilich einen Bahnkanzler oder eine Bahnkanzlerin. Eine Art Klinsmann mit Verkehrsvisionen an der Spitze der Bundesregierung. Es ist höchste Eisenbahn für eine Verkehrswende. Dass sie grundsätzlich möglich ist, zeigt das positive Experiment der Stadt München. Herzlichen Glückwunsch. München kann überall werden.

Wer am Betrieblichen Mobilitätsmanagement der Stadt teilnehmen will, erhält hier Auskunft: Ulfried Müller, Telefon 089/23327668
E-Mail: ulfried.mueller@muenchen.de
Quelle:
Franz Alt 2006



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