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Rubrik:Umwelt & Naturschutz    Datum: 07.03.2006
Weltsozialforum 2006: Nachhaltig die Machtfrage stellen
Der Norden glaubt an ökologische Modernisierung, doch im Süden fehlt bereits Geld für sauberes Wasser
Das sechste Weltsozialforum erreichte auch diesmal sein Ziel, Gleichgesinnten die Vernetzung zu erleichtern. Doch das Grundproblem bleibt: Die Lebensweise des Globalen Nordens und die weltweite Ressourcenverteilung verhindern eine nachhaltige Entwicklung des Südens.

Für WissenschaftlerInnen und Aktivisten aus Deutschland, die hierzulande zum Thema Nachhaltigkeit arbeiten, ist das Weltsozialforum (WSF) eine Reise in eine andere Welt. Auf dem Forum werden Umweltthemen und Fragen von Nachhaltigkeit anders diskutiert, es geht weniger um ökologische Modernisierung oder darum den Naturverbrauch zu senken. Umwelt hat hier sehr direkt etwas mit alltäglichem Überleben zu tun: Mit Zugang zu Wasser, Land und Saatgut, mit Armut und Ungleichheit, mit politischem Desinteresse der Eliten für die Armen, mit weitgehend un- oder fehlgeplanter Stadtentwicklung. Umwelt hat etwas mit Macht zu tun, denn viele Naturgüter werden vom ressourcenreichen Kontinent Lateinamerika in die nördlichen Länder verkauft - allen voran Öl, Holz und Agrarprodukte, zukünftig verstärkt Wasser. Dabei gilt der altbekannte Spruch weiterhin, dass der Naturreichtum Lateinamerikas eine wesentliche Ursache für seine Armut ist.
Das Weltsozialforum hat in diesem Jahr zum sechsten Mal stattgefunden, erstmals nicht an einem einzigen Ort, sondern verteilt auf drei Städte: Bamako in Mali, Caracas in Venezuela und Karachi in Pakistan. Am WSF in Caracas, worauf sich dieser Bericht bezieht, haben etwa 80.000 Menschen teilgenommen.

Austausch ist kollektiver Lernprozess

Das Treffen hat in vielerlei Hinsicht verdeutlicht, dass sich die "globalen" sozialen Bewegungen zunehmend zusammenschließen. In zahlreichen Workshops und Strategietreffen wurde deutlich, dass in den letzten Jahren Vertrauen und Erfahrungswissen entstanden sind. Das Forum sichert einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch, politische Debatten und die Koordination von Kämpfen - auch durch die thematischen, landesweiten und lokalen Veranstaltungen. Es entsteht ein Wissen um die jüngsten Entwicklungen wie den "Krieg gegen den Terror", die neoliberale Globalisierung oder die unglaublich schnelle Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut in Lateinamerika, vo allem in Brasilien und Argentinien. Der enorme kollektive Lernprozess ist für TeilnehmerInnen spürbar, von außen aber wenig offensichtlich: Es ist eine neue Politikform, die auf Dialog und Anerkennung setzt, horizontal statt vertikal organisiert ist, und die Kontrolle durch bestimmte Strömungen ablehnt.
Zentrale Themen waren der Krieg im Irak und die Militarisierung in Lateinamerika, Freihandel, Privatisierungen vor allem von Wasser sowie Kämpfe um Land - soweit sich dies aus den fast 2.000 politischen und unzähligen kulturellen Veranstaltungen herausdestillieren lässt.

Weltsozialforum und Nachhaltigkeit

Sozial-ökologische Fragen betreffen die konkreten Lebensbedingungen vieler Menschen. Dabei geht es nicht allgemein um Umwelt, sondern darum, ob man die Kontrolle über die eigenen Lebensumstände hat oder nicht: Es geht um Zugang zu Wasser, Land und anderen Naturgütern.
Das Thema Nachhaltigkeit ist darüber hinaus wesentlich stärker damit verbunden, auf welche Weise Ressourcen angeeignet werden. Die Entwicklung deutet darauf hin, dass dies zunehmend gewaltsam geschieht: Der Druck kann von der Auslandsverschuldung vieler Länder ausgehen und sie zur Exportorientierung zwingen - hier ist Brasilien ein gutes Beispiel. Aber auch direkte militärische Interventionen wie der Irakkrieg oder die vielen offenen und versteckten US-amerikanischen Militärbasen in Lateinamerika zeigen die Richtung an.
Geht man das Thema Nachhaltigkeit auf diese Weise an, tritt jedoch ein Problem auf: Die Umweltprobleme verschwinden teilweise hinter dem wichtigen Hinweis auf die schlechten Lebensverhältnisse und die zunehmende Militarisierung des Südens. So gibt es etwa kaum hörbare Kritik am Entwicklungsmodell Venezuelas. Die anti-neoliberale Strategie der derzeitigen Regierung unter Hugo Chavez ist die des klassischen Entwicklungsstaates. Der Markt soll zurückgedrängt oder stärker reguliert werden, der Staat verteilt zugunsten der Armen um. Das Umverteilungsmodell basiert jedoch auf dem Erdölexport. Im Land selbst gibt es nur wenig Kritik an fehlendem Umweltbewusstsein. So kostet ein Liter Benzin, wie in anderen Großstädten Lateinamerikas auch, umgerechnet sieben Cents und die ökologischen Verwüstungen in den Ölfördergebieten sind kaum Thema. Umweltprobleme werden von vielen Bewegungen und Intellektuellen in den Städten zu sehr auf Ressourcenfragen reduziert. Erst in den letzten Jahren finden die Erfahrungen und Sichtweisen indigener Völker und der Landbevölkerung stärker Gehör.

Nord- gegen Südperspektive

Das Weltsozialforum sensibilisiert auch für die Sprache: In Lateinamerika und dort insbesondere von indigenen Völkern wird weniger von natürlichen Ressourcen gesprochen - der Begriff sieht Natur bereits als zu vermarktendes und zu verbrauchendes Objekt. Man spricht hier von "bienes naturales", also von Naturgütern, die allen Menschen zugute kommen sollen, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.
Die Option einer "ökologischen Modernisierung", das heißt eine effizientere Aneignung von Natur, spielt schließlich auf dem WSF so gut wie gar keine Rolle. Diese Option hat sich als "Nordperspektive" geoutet, weil so getan wird, als wenn Wissen und Technologie der nordwestlichen Länder den verhängnisvollen Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung lösen könnten. Weltweite ökonomische und politische Machtverhältnisse spielen in den Vorschlägen für eine ökologische Modernisierung keine Rolle - gerade sie aber sind neben den innergesellschaftlichen Verhältnissen im "Globalen Süden" alltäglich spürbar und werden diskutiert.

Herrschaftsverhältnisse entscheidend

Das WSF soll auch in den nordwestlichen Ländern produktive Ergebnisse hervorrufen. Aus sozial-ökologischer Sicht muss es dann zuvorderst darum gehen, Erfahrungen und Sichtweisen der Gesellschaften des Globalen Südens zu Kenntnis zu nehmen und zu reflektieren. Wir müssten aus der Illusion herauskommen, die uns die ökologische Modernisierung verspricht: Danach wäre mit modernem Wissen und Technologie globale Nachhaltigkeit zu erreichen. Alle könnten ohne größere Konflikte und ohne Macht und Weltmarktverhältnisse zu verändern daran teilhaben.
Caracas lehrt etwas anderes: Ohne weltweit die politischen, ökonomischen und kulturellen Dominanzverhältnisse in Frage zu stellen, ist Nachhaltigkeit nicht machbar. Es liegt auf der Hand, dass dies in einem Land wie Deutschland konkret etwas anderes heißt als in Brasilien. Aber die katastrophalen und von Gewalt geprägten Lebensverhältnisse in vielen Regionen der Erde sind Grundlage des hiesigen unnachhaltigen Wachstums- und Wohlstandsmodells. Darauf hinzuweisen und dies in den vielen Diskussionen, Workshops, Gesprächen am Rande und Publikationen konkret zu machen - das ist die große Innovation der Bewegung für eine andere Globalisierung und des WSF. Diese Anregung könnte nicht nur nachhaltige Entwicklungen hierzulande stärken; auch für den Süden könnten die Diskussionen und Erfahrungen der nordwestlichen Gesellschaften wieder interessant werden.

Ein ausführlicher Bericht unter: www.links-netz.de

Dr. Ulrich Brand promovierte zum Verhältnis von NGOs und Staat in der globalen Umweltpolitik und beendete gerade seine Habilitationsschrift zu einer kritischen Theorie internationaler Politik.

Kontakt: ulibrand@uni-kassel.de

Erschienen in punkt.um 3/06

www.oekom.de/nc/zeitschriften/punktum/aktuelles-heft.html



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