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Die 20. Olympischen Winterspiele sind zwar nach der Stadt Turin benannt, große Teile der Veranstaltung werden aber in den Bergregionen der umliegenden Provinz ausgetragen, den Tälern Susa und Chisone. Turin, selbst eine Stadt mit industrieller Vergangenheit und ungewisser Zukunft, beschränkt sich darauf, nur die Disziplinen auf dem Eis auszurichten. Aber auch das Nervenzentrum der Spiele liegt in der Stadt, hier werden die organisatorischen Fragen geklärt und Rahmenveranstaltungen ausgerichtet, hier werden die Reporter, Athleten und ihre Trainer beherbergt. Darüber hinaus wird Turin wohl der einzige Ort dieser Winterspiele sein, an den man sich erinnern wird. Bobbahn und Skischanze ohne Zukunft Für 15 Tage wird die Welt von Turin sprechen. Die Namen der Orte in den Bergen, an denen die Mehrzahl der Wettkämpfe stattfindet, werden wir hingegen selten wahrnehmen. Turin kann mit fast einer Million Einwohnern die olympische Infrastruktur ohne Schwierigkeiten nach den Spielen weiter nutzen. Dazu zählen vier Eispaläste, das olympische Dorf und das Mediendorf. Hier wird es nicht aussehen wie in den Orten Pragelato oder Cesana, die nach den Spielen die Altlasten Skisprungschanze und Bobbahn zu verkraften haben. Diese Anlagen kosten über 34 beziehungsweise 61 Millionen Euro. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Disziplinen in den Westalpen weiterhin ausgeübt werden, sie werden wohl zu Kathedralen in der Wüste. Es ist zu erwarten, dass die Veranstalter diese und andere Anlagen aufgeben, sobald die Spiele beendet sind. Der wirtschaftliche und vielleicht kritischste Aspekt der olympischen Spiele von Turin betrifft die gesamte Nachhaltigkeit der Veranstaltung. Es genügt, an die erste Bilanz der Spiele zu erinnern, die Turin mit der Ankündigung seiner Kandidatur präsentiert hat. Sie ging von 500 Millionen Euro aus, während sich die letzte Rechnung auf 1.223 Millionen Euro belief. Und Mitte Januar wurden noch mehr Gelder bewilligt, weil weitere 100 Millionen Euro fehlten, die noch nicht durch institutionelle Sponsoren beschafft werden konnten oder durch die Vergabe von Arbeiten, die im Gefolge der Veranstaltung anfallen. Wie kann eine Veranstaltung nachhaltig sein, die 15 Tage dauert, aber Jahre der Vorbereitung braucht und bei der Milliarden investiert werden? Bergregionen baden Größenwahn aus Bei der Eröffnungszeremonie haben wir Gelegenheit das größte olympische Feuer der Geschichte zu sehen - weltweit per Satellit übertragen. Alleine das Feuer hat 1,5 Millionen Euro gekostet und verbraucht für die gesamte Dauer der Spiele jede Stunde 8.000 Kubikmeter Gas. Das große Sportereignis ist folglich mit einer Erbsünde geboren: Alles ist überdimensioniert. Im Fall einer Winterolympiade, bei der Berg- und ländliche Regionen betroffen sind, stimmt - mit Blick auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Gebiete - die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Hier hat die große Stadt Turin einen Vorteil: Sie kann den Einfluss der Spiele viel besser verkraften. Doch Turin richtet eben nur einen Teil der Spiele aus. Es besteht die große Sorge, dass wieder einmal die Berge leiden. Besonders die kleinen Kommunen müssen nach den Spielen Lösungen für alle Fremdkörper auf ihrem Territorium finden, nachdem die Gegend jetzt schon jahrelang durch Baumaschinen verschandelt wurde. Nach dem olympischen Festessen und der Spitze des Ansturms kommen ab März die Reiseveranstalter und vermessen Straßen, Parkplätze und Anlagen, stellen fest, wie viel natürlicher Schnee fehlt und was es kostet, künstlichen Schnee herzustellen, und wie sich die Zahl der Betten erhöhen lässt. Sie werden ihren Umsatz mit den Pendlern an den Wochenenden machen und das olympische Dorf in Zweitwohnungen und Zweithäuser verwandeln, die den größten Teil des Jahres leer stehen. NGOs haben rechtzeitig gewarnt Mit Blick auf die Umwelt haben die piemontesischen Umweltgruppen (Pro Natura, Legambiente, WWF, Italia Nostra) schon zur Zeit der Kandidatur von Turin das Bewerbungsdossier aufgrund kritischer Fragen durchfallen lassen. Um diese Lücke zu verdecken, hat das Initiatorenkomitee in aller Eile die Stellungnahme "Green Card" herausgegeben, mit der die Kritik der Umweltorganisationen als bloße Propaganda verurteilt wurde. Die VAS-Prozedur (Valutatione Ambientale Strategica/Strategische Umweltbewertung) wurde in Italien zum ersten Mal angewendet. Sie ist in der Theorie durchaus positiv zu bewerten, hat in der Realität aber die zunehmenden Zusammenstöße von Anlagen und Infrastruktur mit Umwelt und Landschaft nicht verhindert und auch nicht das Bauphänomen in den olympischen Gemeinden verringert. Neubauten wären vermeidbar gewesen Im Fall von Skisprungschanze und Bobbahn hätte man auf die neuen Einrichtungen insgesamt verzichten können. Man hätte diese Wettkämpfe an Orte verlegen können, die bereits über die nötigen Strukturen verfügen. Es genügt der Blick über die benachbarte französische Grenze: Hier stehen die Anlagen, die bereits für die Spiele von Albertville errichtet wurden. Der Bau der Sprungschanze mit den zugehörigen Einrichtungen hat es zum Beispiel nötig gemacht, einen Bachabschnitt zu kanalisieren, damit die Tribüne für das Publikum gebaut werden konnte. Um die Bobbahn zu verwirklichen, ist ein Berghang vollständig ruiniert worden, und die 48 Tonnen Ammoniak für die Kühlanlagen sind auch negativ zu bewerten. Nur in einem einzigen solchen Fall sind die Ratschläge der Umweltverbände in die Betrachtung einbezogen worden: Man hat die Planung der Speicherseen überarbeitet, die das nötige Wasser für künstliche Schneeproduktion bereitstellen. Wie nachhaltig können Mega-Events sein? Sicher gibt es einige Beispiele, in denen die olympischen Berggemeinden den Weg der EMAS-Zertifizierung eingeschlagen haben. Meist haben die Gemeinden jedoch einen Weg gesucht, wie sie sich ein größeres Stück vom olympischen Kuchen abschneiden können, um damit Asphalt, Tunnel und Straßen zu finanzieren. Einige Vorzeige-Objekte, die ein ökologisches Bild von den olympischen Spielen in Turin vermitteln sollten, werden sie sicher trotzdem nicht fertig stellen können. Es reicht also weder aus, dass sich das Organisationskomitee mit Nachhaltigkeitsnachweisen (Green Procurement) beschäftigt, noch genügen Initiativen, mit denen die Energieeffizienz der Gebäude des olympischen Dorfes verbessert werden sollte. Nachhaltigkeit funktioniert anders. Wahrscheinlich aber sind die olympischen Spiele - so wie sie heute konzipiert sind - alle gleich und nicht dazu gemacht nachhaltig zu sein. [Übersetzung Pia Trimborn, Volker Eidems] Francesco Pastorelli ist Ingenieur und setzt sich seit zehn Jahren als Direktor der CIPRA Italien für den Schutz der Alpen ein. Kontakt: Fon +39/11/54 86 26, E-mail cipra@arpnet.it www.cipra.de Erschienen in punkt.um 2/2006 www.oekom.de
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