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Rubrik:Umwelt & Naturschutz    Datum: 01.08.2005
Europa und die MDGs: Heiße Luft für Afrika
Die EU preist ihre Entwicklungshilfe, ist aber von einer nachhaltigen Nord-Süd-Partnerschaft weit entfernt
Die EU gibt sich gerne als Vorreiter aus, wenn es darum geht die internationale Armut zu bekämpfen. Tatsächlich sind die Vorzeigebereiche spärlich, bei Handelsverträgen und der richtigen Verteilung von Hilfsgeldern ist die EU alles andere als beispielhaft. Daneben ist sie mit eigenen Problemen wie der Osterweiterung und Haushaltskrisen der Mitgliedstaaten beschäftigt; Entwicklungshilfe ist oft ein magerer Kompromiss. Es fehlt eine Gesamtstrategie, durch die Armutsbekämpfung in allen Politikbereichen der EU berücksichtigt wird.

Seit die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) vor fünf Jahren verabschiedet wurden, stellen sie den internationalen Rahmen für entwicklungspolitisches Handeln dar. Hohe Priorität hat das Ziel, den Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Vertreter der EU verkünden seitdem in zahlreichen Stellungnahmen, dass die EU eine herausragende Position in der Entwicklungszusammenarbeit habe und deshalb eine Führungsrolle bei der Armutsbekämpfung spielen müsse. Die EU stellt auf mitgliedstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene rund 55 Prozent der weltweit zur Verfügung gestellten öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA).

Ziel ist Entwicklungspartnerschaft

2005 gilt als Entscheidungsjahr, um die MDGs zu erreichen. Anlässlich des UN-Gipfels, der im September ansteht, um die Fortschritte zu überprüfen, weisen Experten übereinstimmend darauf hin, dass die bisherigen Anstrengungen bei weitem nicht ausreichen. In einigen wirtschaftlich boomenden Staaten Asiens wie China und Indien kann die extreme Armut zwar halbiert werden. In Afrika südlich der Sahara fällt die Bilanz jedoch ernüchternd aus: Abgesehen von Teilzielen, die in bestimmten Ländern verwirklicht werden können, werden die Staaten die MDGs nach derzeitigem Stand weit verfehlen. Dabei sind schon die Ziele wenig ambitioniert formuliert. Kritiker wie das internationale SocialWatch-Netzwerk merken an, dass 1995 auf dem Kopenhagener Weltsozialgipfel bereits anvisiert wurde, die Armut komplett zu beseitigen. Dahinter bleiben die MDGs weit zurück. Die Armutshalbierung bezieht sich auf den Stand von 1990 und berücksichtigt nicht die mittlerweile höherliegende Zahl von Menschen, die in extremer Armut leben. Selbst wenn die MDGs erreicht würden, verfügten im Jahr 2015 noch immer 900 Millionen Menschen über weniger als einen Dollar täglich - Armut wäre weiterhin Realität. Der Wille aller Beteiligten muss deshalb stärker werden und über die MDGs hinausgehen, insbesondere das Engagement der Industriestaaten muss größer werden.
Die Geberländer können vor allem im Rahmen des achten Ziels der MDGs zur Armutsbekämpfung beitragen. Danach soll eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufgebaut werden. Dies setzt zunächst höhere Finanztransfers voraus. Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs schätzt, um alle MDGs zu erreichen, müsse die weltweit aufgebrachte Entwicklungshilfe sofort von derzeit 78 Milliarden US-Dollar auf 135 Milliarden US-Dollar erhöht werden. Gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE) müssten alle Geberländer ihre Entwicklungshilfe von durchschnittlich 0,25 Prozent auf zunächst 0,44 Prozent in 2006 und 0,54 Prozent in 2015 steigern und somit mehr als verdoppeln. Das heißt: Wenn die EU ihrer Vorreiterfunktion gerecht werden will, muss sie jetzt Führungsqualitäten beweisen und mit gutem Beispiel vorangehen.

Wirtschaftslage friert Hilfe ein

Bislang tut sie dies nicht. Lediglich vier EU-Länder - Dänemark, Luxemburg, die Niederlande und Schweden - geben derzeit 0,7 Prozent ihres BNE für öffentliche Entwicklungshilfe aus; zu diesem Betrag hatten sich die Industrieländer vor über 30 Jahren verpflichtet. Der EU-Durchschnitt lag laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2003 bei 0,35 Prozent. Auf Initiative der Europäischen Kommission haben sich die EU-Staaten nun erstmals auf einen konkreten Zeitplan geeinigt. Bis 2010 sollen die "alten" EU-Staaten (EU-15) 0,51 Prozent ihres BNE für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen, bis 2015 soll dann die 0,7 Prozentmarke erreicht werden. Auch die osteuropäischen Mitgliedstaaten sind aufgerufen, ihre Entwicklungshilfe zu steigern, jedoch langsamer als die EU-15. Angesichts der in vielen EU-Ländern angespannten Haushaltslage drohen die Ankündigungen aber hinfällig zu werden. So liegt die ODA-Quote Deutschlands seit fünf Jahren fast unverändert bei 0,28 Prozent. Beim aktuellen Staatshaushalt ist es nicht vorstellbar, dass hier der Entwicklungshaushalt bis 2015 um insgesamt 150 Prozent erhöht wird. Auch in anderen EU-Staaten sind die Haushalte ähnlich begrenzt, trotz aller verbalen Treueschwüre wird die ODA also vorerst kaum gesteigert werden.

Dürftige EU-Kompromisse

Umso wichtiger wird es, innovative Konzepte zu finden um Entwicklungshilfe zu finanzieren. Die derzeit diskutierten Vorschläge reichen von einer Steuer auf Devisentransfers ("Tobin-Steuer") über eine Waffenexportsteuer bis zur Besteuerung von Flugbenzin. In der Theorie versprechen alle diese Initiativen mehrstellige Milliardeneinnahmen. Das Beispiel Flugbenzinsteuer, die von allen Vorschlägen europaweit den größten Zuspruch erhielt, offenbart, woran es in der EU krankt. Das Konzept wurde im vergangenen Mai von den EU-Finanzministern diskutiert, scheiterte jedoch, da sich insbesondere die südeuropäischen Länder aus Rücksicht auf den Tourismus gegen die Steuer stemmten. Schließlich wurde ein EU-typischer halbherziger Kompromiss gefunden, der eine freiwillige Abgabe der Passagiere auf Flugtickets vorsieht und insgesamt sechs Milliarden Euro einbringen soll. Die Chance, mit einem finanziell und ökologisch nachhaltigen Konzept deutlich höhere Mittel einzutreiben, wurde vergeben. Gleiches gilt für den britischen Vorschlag einer Internationalen Finanzfazilität (IFF). Durch staatliche Anleihen auf den internationalen Finanzmärkten soll die Entwicklungshilfe ab 2006 sukzessive aufgestockt werden, bis sie ab 2010 ein Niveau von zusätzlich 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr erreicht. Auf dem G8-Treffen Anfang Juli stimmten unter anderem Deutschland und Frankreich gegen den Vorstoß. Ob die Initiative auf EU-Ebene eine Zukunft hat, ist sehr fraglich. Fazit: Die Entwicklungshilfe entscheidend zu erhöhen, scheitert an europäischer Uneinigkeit und nationalen Interessen. Sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, reicht aber bei weitem nicht aus.
Daneben ist unbefriedigend, wie die Entwicklungshilfe verwendet wird. Die MDGs verpflichten auch dazu, die Anstrengungen vor allem auf die ärmsten Länder zu richten. Sie sollen in Bereiche fließen, in denen besonders effektiv Armut bekämpft wird. Diese Prinzipien sind in Europa jedoch höchst unterschiedlich verankert. Nur 42 Prozent der insgesamt 6,5 Milliarden US-Dollar fließen aus dem von der EU-Kommission verwalteten gemeinschaftlichen Programm zu den ärmsten Entwicklungsländern. Entscheidende Bereiche bleiben zudem völlig unterrepräsentiert: 2003 flossen nur 4,2 Prozent der Mittel in Basisgesundheitsdienste, für Grundbildung wurden lediglich 2,6 Prozent der ODA aufgewendet. Das EU-Entwicklungsprogramm muss deshalb dringend neu ausgerichtet werden.

Sicherheitspolitik statt MDGs?

Die Realisierungschancen erscheinen jedoch äußerst fraglich. Zwar hat die Kommission Mitte Juli in einem Vorschlag für eine neue Strategie die Armutsbekämpfung als oberstes Ziel der EU-Entwicklungspolitik hervorgehoben. Andererseits hat der Brüsseler Krisengipfel Mitte Juni offenbart, wie schwer es derzeit ist, sich auf die zukünftige EU-Finanzausstattung zu einigen. Vor allem die EU-Nettozahler drängen darauf, das Budget zu begrenzen, gleichzeitig soll die EU eine größere Rolle in der Sicherheitspolitik spielen. Dabei ist eines der zentralen Zukunftsprojekte eine strategische Partnerschaft zu den europäischen Nachbarregionen zu etablieren. Neue Ressourcen dürften vor allem für die Mittelmeeranrainer und Osteuropa reserviert werden. Im ungünstigsten Fall könnten gar Mittel aus den Armutsregionen für Außen- und Sicherheitspolitik umgewidmet werden. Entwicklungs- und sicherheitspolitisches Handeln in einem Gesamtkonzept zu verbinden, birgt neben Chancen auch die Gefahr, dass die Entwicklungspolitik immer stärker genutzt wird, um andere Interessen durchzusetzen. Eine von sicherheitspolitischen Zielen unabhängige Entwicklungspolitik muss aber für eine Nord-Süd-Partnerschaft, die dem Erreichen der MDGs dient, vorausgesetzt werden.

Handelsabkommen nützen den Falschen

Schließlich müssen für eine wirkliche Partnerschaft strukturelle Ungerechtigkeiten in den Handelsbeziehungen beseitigt werden. Die EU hat in einigen Bereichen eine Vorreiterrolle übernommen, etwa mit der "Alles außer Waffen"-Initiative, nach der die 49 ärmsten Länder der Welt alle Produkte (außer Waffen) zoll- und quotenfrei in die EU exportieren dürfen. Andererseits aber widersprechen sich Anspruch und Realität des EU-Außenhandels auffallend. Derzeit werden regionale Freihandelsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) verhandelt - und von entwicklungspolitischen NGOs heftig kritisiert. Durch EPAs gelangen zum Beispiel afrikanische Produzenten zwar weiterhin bevorzugt in die EU. Nun aber müssen diese Länder ihre Märkte in gleicher Weise für EU-Waren öffnen. Da sie vor allem Agrarprodukte exportieren könnten, die EU aber weiterhin durch Subventionen ihre heimischen Agrarproduzenten stützt, bieten EPAs den Staaten Afrikas kaum neue Chancen. Sie helfen vor allem EU-Produzenten auf den afrikanischen Markt und erhöhen den Wettbewerbsdruck der afrikanischen Produzenten. Ein Ende der umstrittenen Agrarexportsubventionen zeichnet sich auch in der laufenden Welthandelsrunde nicht ab.

EU bleibt bei großen Worten

Von einer nachhaltigen Nord-Süd-Partnerschaft ist die EU noch weit entfernt. In dieser Partnerschaft wären die Handelsbeziehungen fair ausgestaltet und eine eigenständige, auf die ärmsten Länder fokussierte Entwicklungspolitik sowie eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe würden helfen, die MDGs zu erreichen. Am wichtigsten bleibt eine in sich stimmige europäische Armutsbekämpfungsstrategie, die in allen relevanten Politikbereichen verfolgt wird. Der notwendige politische Wille ist aber - der gegenwärtigen Schönwetterrhetorik zum Trotz - nicht ausreichend erkennbar. Die von der EU beanspruchte Führungsrolle in der weltweiten Armutsbekämpfung bleibt somit bis auf weiteres ohne Substanz.

Autor: Tobias Hauschild ist Politikwissenschaftler und freier Mitarbeiter bei WEED e.V. in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die europäische Entwicklungs-, Handels- und Sicherheitspolitik. Kontakt: E-Mail tobias.hauschild @weed-online.org

erschienen in punkt.um 8/05


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