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Rubrik:Umwelt & Naturschutz    Datum: 17.05.2005
"Reagiert wird nur, wenn Sanktionen drohen"
punkt.um-Interview mit Linas Vainius von der litauischen Umweltorganisation "ATGAJA"
Ein russisches Ölprojekt in der Ostsee bedroht die Kurische Nehrung in Litauen. Die 98 Kilometer lange von der UNESCO als Weltnaturerbe ausgezeichnete Wanderdüne liegt in unmittelbarer Nähe der Ölplattform. Möglich wurde das umstrittene Ölprojekte nach Meinung von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen auch durch die Kredite deutscher Banken. Im April besuchten litauische und russische Umweltaktivisten diese Banken, um Gespräche über die Vergabepraxis bei Krediten zu führen. Linas Vainius erzählt von den Erfolgsaussichten des Besuches.

punkt.um: Herr Vainius, seit Juni letzten Jahres lässt Lukoil nahe der Kurischen Nehrung Öl fördern. Können Sie diesen Prozess noch stoppen?
Linas Vainius: Leider ist dieses Förderprojekt nicht mehr aufzuhalten. Es geht jetzt vor allem um zwei Dinge: das "wie" dieser Förderung und das "ob" künftiger Ölförderung in ähnlichen Gebieten. Wir wollen auf der einen Seite sicherstellen, dass für dieses Förderprojekt eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt wird, damit alle tatsächlichen und möglichen Umweltschäden berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite wollen wir erreichen, dass vergleichbare Projekte in Zukunft verhindert werden.

Was fordern Sie von Russland und Litauen?
Litauen und Russland verständigen sich derzeit auf die Methoden für die grenzüberschreitende UVP. Sie müssen klären, nach welchen naturwissenschaftlichen Methoden die ökologischen Auswirkungen bestimmt werden und wer in welcher Höhe für Umweltschäden haften muss. Mit einer Einigung ist frühestens im Sommer zu rechnen.

Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, damit solche Förderprojekte künftig nicht mehr realisiert werden?
Wenn Banken ihre Kredite nach klaren sozialen und ökologischen Kriterien vergeben würden, wäre schon viel erreicht. Zu den Kriterien muss auch gehören, dass in bestimmten Gegenden keine Projekte realisiert werden, etwa vor einem Weltkulturerbe. Solche Forderungen müssen Banken auch an ihre Kunden stellen, wenn sie Kredite vergeben.

Haben Sie mit ihrem Besuch Ihre Ziele erreicht?
Unser Mindestziel haben wir erreicht: Die Kampagne hat die Banken für die Auswirkungen einer unbedachten Kreditvergabe sensibilisiert. Wir waren überrascht, wie wenig die meisten Banken über Lukoil wussten. Einige Bank-Vertreter hantierten mit Internet-Ausdrucken herum, als hätten sie sich die Seiten erst kurz vor dem Gespräch zum ersten Mal angeschaut. Auch wenn sich keine Bank zu einer zweckgebundenen Kreditvergabe verpflichtet hat - zumindest haben wir den Eindruck, dass die Banken unser Anliegen ernst genommen haben.

Was haben Sie im Vorfeld Ihres Deutschlandbesuchs unternommen, um sich gegen die Vorgehensweise von Lukoil zu wehren?
Zunächst berieten wir die litauische Regierung bei ihren bilateralen Gesprächen mit Russland. Als sich abzeichnete, dass Russland nur schleppend reagiert, suchten wir nach Unterstützung im benachbarten Ausland. Zunächst konfrontierten wir den Ostseerat - ein Gremium von Anrainerstaaten - mit dem Thema. Dann wandten wir uns nach Brüssel. Beides hatte keinen entscheidenden Einfluss auf Russlands Regierung. Erst mit unseren beiden nächsten Ansprechpartnern, dem Europarat und der UNESCO, kam Bewegung ins Spiel.

Warum reagierte Russland plötzlich?
Der Unterschied ist: bei den letzten beiden Institutionen sitzt Russland mit am Tisch. Beschlüsse des Ostseerates und der EU verhallten im Raum; Russland musste weder Stellung beziehen, noch einer Aufforderung nachkommen. Anders im Europarat: Dort ist Russland Mitglied und musste akzeptieren, dass eine Delegation geschickt wurde, die sich sehr kritisch zum Projekt äußerte. Ein besonders wirksames Druckmittel war eine Drohung der UNESCO.

Von welcher Drohung sprechen Sie?
Als das Welterbekomitee der UNESCO Russland und Litauen drohte, die Kurische Nehrung in die "Rote Liste des gefährdeten Welterbes" aufzunehmen, kam es prompt zu einer Reaktion. Beide Länder verpflichteten sich Ende Januar dazu, im Sommer eine gemeinsam geplante grenzüberschreitende UVP durchzuführen. Die russische Reaktion ist allein auf diese angedrohte Umbenennung zurückzuführen.

Was beunruhigte Russland so an dieser Ankündigung?
Wir gehen davon aus, dass Russland einen Imageverlust fürchtete. Die Neuklassifizierung hätte bedeutet: Das Gebiet ist jetzt weniger wertvoll. Die zweite treibende Kraft war möglicherweise die Angst vor negativen Auswirkungen auf den Tourismus und damit einhergehende Einkommensverluste.

Wenn Sie zurückblicken, was waren die Erfolgsgaranten Ihrer Kampagne?
Wichtig war, vernetzt zu denken und vernetzt zu handeln. Hätten wir als litauische NGO einen Alleingang versucht - wir würden noch heute auf eine Reaktion aus Russland warten. Die überregionale Vernetzung in Osteuropa war genauso entscheidend wie die Zusammenarbeit mit NGOs aus der EU. Ein großer Dank gilt vor allem urgewald für die Organisation. Außerdem wäre unser zehntägiger Besuch in Deutschland ohne die finanzielle Unterstützung durch die Heinrich Böll Stiftung, die Marion Dönhoff Stiftung und urgewald nicht möglich gewesen. Das alles entscheidende aber ist: Die andere Seite reagiert nur, wenn sie Stellung beziehen muss und/oder Sanktionen drohen - sei es durch eine vertragliche Bindung oder eine Mitgliedschaft. [Interview: Philipp Karch]

erschienen in punkt.um Mai 05


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