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Presse-Stelle:  ökom Verlag, D-80337 München
Rubrik:Umwelt & Naturschutz    Datum: 10.05.2004
Gentechnikfreie Regionen
Kampf gegen Windmühlen oder Gentech-Bremse?
Ansätze, wie Gentechnik in der europäischen Landwirtschaft verhindert werden kann, sind rar. Das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) untersucht, wie erfolgversprechend gentechnikfreie Regionen (GfR) sind. Das Interesse der Landwirte ist groß. Doch über den Erfolg der GfR werden langfristig auch die Verbraucher, die gesetzliche Regelung der Haftung und unternehmerische Allianzen innerhalb der Region entscheiden. Von Christian Kuhlicke & Guido Nischwitz, INSTITUT FÜR ÖKOLOGISCHE WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

Die EU-Kommission hat ihr De-facto-Moratorium für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) im Sommer 2003 aufgehoben. Sie propagiert stattdessen eine Koexistenz der verschiedenen Anbauformen. Das bedeutet, dass Landwirte, die GVO einsetzen und ihre konventionell oder biologisch wirtschaftenden Berufskollegen nebeneinander anbauen sollen. In der Praxis ist das kaum realisierbar. So hat beispielsweise der Raps einen Auskreuzungsradius von etwa 28 Kilometer. Folglich werden ökologisch und konventionell bewirtschaftete Flächen kontaminiert werden. Vor diesem Hintergrund gründen sich derzeit in Deutschland Gentechnikfreie Regionen (GfR). Die Dynamik dabei ist beträchtlich. Seit Ende des letzten Jahres haben sich 21 Regionen (Stand 19. April 2004) selbst zum Verzicht auf GVO verpflichtet. Die Initiative kam meist von besorgten Landwirten. Sie werden von engagierten VerbraucherInnen, Naturschutzverbänden, Bauernverbänden, Kirchen und Schutzgebietsverwaltungen tatkräftig unterstützt.

Haben GfRs Potenzial?
Welchen Beitrag können nun diese Regionen für eine GVO-freie Flächennutzung leisten? Sind sie ein adäquates Instrument oder nur der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas? Wir beziehen uns dabei auf die vorläufigen Ergebnisse einer Studie des IÖWs zu GfR in Deutschland. In ihr werden konkrete Umsetzungsvorschläge für GfR erarbeitet, die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert und die generellen Erfolgsaussichten von GfR in Deutschland bewertet.
Verbraucher entscheiden mit
GfR sensibilisieren sowohl Landwirte als auch VerbraucherInnen. Unterschreiben in einer Gemeinde zehn LandwirtInnen eine Erklärung über die am nächsten Tag in der regionalen Presse berichtet wird, müssen Landwirte, die noch keine unterschrieben haben, sich zumindest Gedanken machen. Gerade die mediale Präsenz auf regionaler Ebene ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Der Verbraucher wird so auf die Diskussion aufmerksam gemacht. Er ist entscheidend, denn die Erfolgsaussichten von gentechnisch veränderten Produkten werden letztendlich durch die Entscheidung des Käufers an der Ladentheke entschieden.

Haftungsfragen noch ungeklärt
Können Gentechnikfreie Regionen aber auch weitergehende Beiträge für eine GVO-freie Landwirtschaft leisten? Voraussetzung dafür ist sicherlich eine gewisse Größe. In zu kleinen Raumzuschnitten wird es angesichts des Pollenfluges vermutlich zu GVO-Verunreinigungen kommen. Um aber tragfähige Größen zu erreichen, ist gerade in Gebieten mit kleinbetrieblichen Agrarstrukturen, wie etwa in Süddeutschland, ein hoher organisatorischer Aufwand notwendig. Hier gilt es Hunderte von Landwirten und viele Interessen zu vereinen. Ein Blick auf die Situation in Bayern verrät: Mit Unterstützung der landwirtschaftlichen Verbände ist eine Umsetzung von GfR durchaus möglich. Die Situation könnte sich allerdings grundlegend ändern, wenn es wirtschaftlich lukrativ würde, GVO einzusetzen. Die Haftungsfrage ist dabei ent-
scheidend. Sie wird im Entwurf des neuen Gentechnikgesetzes der Bundesregierung nach dem Verursacherprinzip geregelt. In Kombination mit der ablehnenden Haltung der Lebensmittelwirtschaft und der VerbraucherInnen wäre es dann für den einzelnen Landwirt wenig attraktiv GVO einzusetzen. Die finanziellen Risiken sind nicht absehbar. Würde hier aber eine Fondslösung implementiert werden, die sowohl die Prozesskosten als auch die Schadenskosten auf vielfältige Akteure - sprich den Steuerzahler - umlegt, wäre das finanzielle Risiko für den Einzelnen geringer und damit der Anreiz höher. Dann werden die Regionen auf die Belastungsprobe gestellt werden. Schon ein oder zwei Landwirte, die GVO in einer GfR ausbringen, können diese scheitern lassen.

Allianzen in der Region bilden
Um dieses Szenario zu vermeiden, gilt es gemeinsam mit Futtermittel- und Saatgutproduzenten, sowie Lebensmittelwirtschaft ein stabiles Fundament für GVO-freie Regionen zu entwickeln. Je mehr Unternehmen sich für eine GVO-freie Produktion entscheiden, desto besser stehen die Chancen. Um aber als wirtschaftlicher Partner ernst genommen zu werden, bedarf es einer gesicherten Qualitätskontrolle. Nur wenn GVO-Freiheit gegenüber Dritten garantiert werden kann, sind die Erzeugnisse wettbewerbsfähig und können Absatzmärkte gesichert oder neue erschlossen werden. Freiwillige Selbstverpflichtungen können hierzu nur ein erster Schritt sein. Vielmehr können nur zuverlässige regionale Kontrollmechanismen beziehungsweise bundesweite Verfahrenswege weiterhelfen. Das können die Landwirte aber nicht allein leisten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, in den Regionen vermehrt strategische Allianzen mit Unternehmen, regionalen Entwicklungsprozessen und Managementstrukturen (zum Beispiel den LEADER+ oder Region aktiv-Programmen) zu bilden. Ziel muss es sein, den mit Kontrollen verbundenen, organisa-torischen und finanziellen Mehraufwand auf mehrere Schultern zu verteilen. Zweitens gilt es, die bestehenden rechtlichen Potenziale zu nutzen. So ermöglichen es die Freisetzungsrichtlinie (2001/18) und die Verordnung zu gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln der EU (1929/ 2003) kleinräumige, auf konkrete Erzeugnisse bezogene Schutzräume auszuweisen. Es können zum Beispiel Räume ausgewiesen werden, in denen GVO-freies Saatgut erzeugt wird.
Gerade die strategische Einbindung der Initiativen in bestehende regionale Strukturen kann nicht allein durch Landwirte geleistet werden. Die Sicherung einer gentechnikfreien Flächennutzung und Landbewirtschaftung erfordert eine breite gesellschaftliche Basis. Mit der Ausweisung gentechnikfreier Regionen ist hierfür ein wichtiger Schritt unternommen worden, der aufgegriffen und weiterentwickelt werden muss.

Kontakt: IÖW Hannover, Fon +49/511/1 64 03 43,
E-Mail guido.nischwitz@hannover.ioew.de, christian.kuhlicke@ioew.de
Weitere Informationen: www.fairenachbarschaft.de
Tagung "Gentechnikfreie Regionen und Koexistenz", Berlin, 22./23. 06.2004, www.agrarbuendnis.de

erschienen in punkt.um 05/04 - Der Infodienst für Umwelt und Nachhaltigkeit
Bestellen unter www.oekom.de/punktum



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