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Presse-Stelle:  ECO-News Deutschland, D-81371 München
Rubrik:Essen & Trinken    Datum: 03.05.2004
Kennzeichnungspflicht:
"Gegen die schleichende Dominanz der Gentechnik"
19. April 2004

Frau Ministerin, wenn Sie künftig beim Einkauf auf den Satz "aus gentechnisch verändertem Mais hergestellt" stoßen, werden Sie das Lebensmittel dann links liegenlassen?

Das ist die Lieblingsfrage aller Journalisten. Aber meine generelle Präferenz für Bio- und regionale Produkte dürfte inzwischen ja bekannt sein.

Ganz praktisch: Woran erkennt der Verbraucher von heute, wo Gentechnik drinsteckt? Gibt es da ein Siegel, oder wird der Hinweis im Kleingedruckten versteckt?

Es geht nicht um klein oder groß gedruckt. Sondern es geht um Zutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) hergestellt wurden. Bei denen gehört die Kennzeichnung nun auf die Zutatenliste. Das ist europaweit geregelt. Wenn Sie diese Zutatenliste lesen, was man beim Einkauf schon mal tun sollte, dann entdecken Sie zum Beispiel bei bestimmten Maisstärken künftig vielleicht ein Sternchen. Unter der Zutatenliste steht dann "aus genetisch verändertem Mais hergestellt".

Und im Restaurant steht der Stern dann auf der Speisekarte?

Der Betreiber muß es auf der Speisekarte bekanntmachen oder in einem gut sichtbaren Aushang.

Wird es denn Ihrer Kenntnis nach in absehbarer Zeit überhaupt gekennzeichnete Produkte geben?

Der Handel und die Hersteller wissen seit einem halben Jahr, daß diese Regelung in Kraft tritt. Das bedeutet konkret, daß Produkte, die von heute an hergestellt werden, korrekt zu kennzeichnen sind. Was aber schon vor Wochen hergestellt wurde, kann noch nach altem Recht verkauft werden. Wir registrieren, daß viele Unternehmen die Vorbereitungszeit dazu genutzt haben, die Zusammensetzung ihrer Lebensmittel zu ändern. Daran sehen Sie, welche Macht Verbraucher haben können. Die Sorge der Verbraucher führt dazu, daß am Ende in vielen Produkten keine Gentechnik mehr drin ist, wo sie bisher unbemerkt drinsteckte. Zum Beispiel bei Lecithinen oder Maisstärken.

Die Lebensmittelverbände sagen, sie erwartet vorerst keine Produkte mit Kennzeichnungspflicht. Andererseits werden jedes Jahr dreißig Millionen Tonnen Soja in die EU importiert, die zum großen Teil von Gensoja-Feldern stammen. Sojamehl wird gerne als Futtermittel eingesetzt.

Bei den Futtermitteln muß man davon ausgehen, daß der Prozentsatz an gentechnisch verändertem Futtersoja heute in der EU sehr hoch ist. Hier wird es nun entscheidend davon abhängen, wie das Kaufverhalten der Landwirte ist.

Wovon der Verbraucher wenig mitbekommt ...

Doch. Der Verbraucher kann jederzeit in "Gentechnikfreien Zonen" einkaufen, in Geschäften, die Markenprodukte oder Biofleisch anbieten und Garantien abgeben, daß diese ohne gentechnisch verändertes Futtermittel hergestellt worden sind. Jeder Verbraucher kann also dokumentieren, daß er sich Gedanken darüber macht, wie die Tiere gefüttert wurden.

Richtig klar sind die Regeln der Kennzeichnung für den Verbraucher trotzdem nicht. Lecithin aus Gensoja in Keksen etwa muß gekennzeichnet werden, obwohl die gentechnische Veränderung der Sojapflanze im Endprodukt nicht mehr nachweisbar ist. Nicht gekennzeichnet werden müssen dagegen Enzyme wie Chymosin, weil hier gilt, daß sie nur "mit Hilfe" von GVO hergestellt wurden. Muß der Verbraucher jetzt einen Gentechnikkurs absolvieren?

Nein, die Kennzeichnung bringt eine Menge Klarheit. Es muß etwas aus GVO hergestellt werden und nicht irgendwo im Prozeß mal mit Gentechnik in Berührung gekommen sein. Das heißt, daß sie etwa beim Rapsöl zwar im Endprodukt nichts mehr feststellen können, daß aber das Öl ursprünglich aus GVO-Raps gepreßt wurde. Dann muß das Produkt gekennzeichnet werden, und das ist auch logisch so. Der Verbraucher soll im Grunde schlicht wissen dürfen, woher sein Lebensmittel stammt.

Genau das aber erfährt er bei Lebensmittelenzymen, die aus GVO hergestellt sind, nicht. Denn die müssen auch nach den neuen Regeln weiterhin nicht gekennzeichnet werden ...

Lassen Sie uns die Kennzeichnungsregeln nicht kleinreden. Wir sind in der Europäischen Union nach langen Kämpfen und Verhandlungen - und trotz eines WTO-Verfahrens gegen die EU - vor eineinhalb Jahren zu einem Ergebnis gekommen, das sich weltweit sehen lassen kann. Viele Länder, auch in Afrika, schauen auf das Vorbild der EU im Hinblick auf Transparenz.

Im Fernsehen hat die Sendung Plusminus diese Woche eine kleine Kostprobe veranstaltet. Man vertrieb angebliches Genbrot und Gen-Pommes-frites korrekt gekennzeichnet, warb dazu mit dem Spruch "Gen ist geil" und verkaufte die Tüte zum Preis von 1 Euro. Fast alle Verbraucher griffen beherzt zu. Überrascht Sie das?

Mein Leitbild ist der informierte Verbraucher. Wie der sich dann am Ende entscheidet, ist seine Sache. Entscheidend ist: Die Käufer müssen wissen dürfen, was drin ist, damit sie Entscheidungen treffen können. Die Verbraucher beeinflussen damit auch die Politik. Sie stimmen beim Kauf über einen möglichen Anbau von GVO ebenso ab, wie sie beim Kauf billiger Milch über Arbeitsplätze in der Landwirtschaft mitentscheiden.

Wer prüft eigentlich, ob überall eine Kennzeichnung draufsteht, wo Gentechnik drin ist?

Gute Frage. Die Kennzeichnung ist verbunden mit umfassenden Rückverfolgbarkeitsregeln. Die Hersteller von Lebensmitteln müssen in einzelnen Stufen angeben, ob sie bei der Produktion von Müsliriegeln oder Brot Zutaten verwendet haben, die gentechnisch hergestellt wurden. Die Hersteller kontrollieren also zunächst im eigenen Interesse selbst. Zum anderen ist die Überwachung eingebunden in die allgemeine Lebensmittelkontrolle, und die obliegt den Ländern. Die Kontrolleure nehmen Stichproben, was in die verkauften Lebensmittel reingegeben wurde.

Da werden die wenigen Lebensmittelkontrolleure aber viel zu tun bekommen.

Bei der Lebensmittelkontrolle sage ich immer mit Blick auf die Bundesländer: Das darf keine Spardose sein.

Welche Strafen gibt es denn für Kennzeichnungssünder?

Die EU hat die Mitgliedsstaaten verpflichtet, im nationalen Recht Strafregelungen und Sanktionen vorzusehen. Es wird in Deutschland hohe Geldbußen bis zu 50000 Euro für falsche Kennzeichnungen geben und Haftstrafen für das Inverkehrbringen von nichtgenehmigten Produkten. Dieses Gentechnik-Durchführungsgesetz wird von der Union im Bundesrat verzögert. Die Länder haben sich damit keinen Gefallen getan, weil sie vor Ort die Kontrollen machen müssen, nun aber keine Sanktionsmöglichkeiten haben. Das werden wir aber ändern. Weil es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, kommen die Sanktionsregeln in zwei bis drei Monaten.

Auch das umstrittene Gentechnikgesetz, das den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen regeln soll, hat die Union Anfang April im Bundesrat blockiert. Der Künast-Entwurf verhindere grüne Gentechnik in Deutschland, lautet die Kritik. Soll die grüne Gentechnik lieber draußen bleiben, wenn es nach Ihnen geht?

Ich arbeite gegen eine schleichende Dominanz der Gentechnik und möchte sicherstellen, daß in Deutschland auch künftig gentechnikfreier Anbau möglich ist. Rapspollen zum Beispiel kreuzt pro Jahr zu rund dreißig Prozent auf den Nachbaracker aus. Da können sie sich vorstellen, daß der Nachbarbauer schon im ersten Jahr sein Produkt nicht mehr unter dem Siegel "ohne Gentechnik" oder "Ökolandbau" vermarkten kann. Zwei, drei Jahre später ist der Ökobauer zwangsweise zum Gentechnik-Bauern geworden. Das darf nicht sein und entspricht auch nicht den üblichen wirtschaftsrechtlichen Gepflogenheiten dieser Republik.

Anders als beim Raps bestünde aber beim Genmais diese Gefahr nicht, denn Maispollen fliegt nicht weit.

Deshalb soll es ja auch für alle Produkte unterschiedliche Regeln geben. Es soll im Gesetz eine Verordnung zur "guten fachlichen Praxis" geben, in der Details für jede Pflanze festgelegt werden. Nehmen Sie Kartoffeln: Die vermehren sich über Knollen und sind eigentlich keine Gefahr für den Nachbaracker, außer jemand trägt die Knollen rüber. Beim Raps und seinen Pollen müssen die Koexistenzregeln dagegen sehr viel schärfer sein. Ich verstehe nicht, wieso sich einige im Bundesrat vehement gegen klare Haftungsregeln wenden. Was soll denn mit all den real existierenden Landwirten geschehen, die keine Gentechnik anbauen wollen? Sollen die bald alle Insolvenz anmelden?

Andererseits kann die Aussaat von Genweizen in Sachsen-Anhalt nur unter Polizeischutz erfolgen, weil die Felder von Greenpeace-Aktivisten widerrechtlich mit Ökoweizen bepflanzt werden.

Das hat doch nichts mit unserem Gesetz zu tun.

Aber im Gentechnikgesetz stand mal drin, daß es zur Aufgabe des Staates gehört, die Gentechnik zu fördern, also etwa in Freilandversuchen herauszufinden, ob ein dank Gentechnik pilzresistenter Weizen nach der Ernte weniger toxische Substanzen enthält, was ja gut für den Verbraucher wäre.

Freilandversuche sind auch nach unserem Gesetz keinesfalls ausgeschlossen. Es sagt nur, daß Genpflanzen nur mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen eines Nachbarn angebaut werden dürfen. Und genau das halte ich mit Blick auf das Grundgesetz für selbstverständlich.

Es geht bei der derzeitigen Koexistenz-Debatte vor allem um wirtschaftliche Schäden. Ein Vorschlag für deren Regelung wäre, einen Ausgleichsfonds einzurichten, der unvermeidliche Verunreinigungen und deren Folgen bei unerwünschtem Pollenflug bezahlt. Warum haben Sie etwas gegen diesen Fonds?

Weil erwartet wird, daß der Staat dafür Steuergeld einsetzt. Es kann doch aber nicht selbstverständlich sein, daß der Steuerzahler für unvermeidliche Gefährdungen zahlen soll, wenn jemand eine neue Technologie einführt. Zudem: Was der Bundesrat nicht sagt, ist, wieviel Geld denn von wem für den Ausgleichsfonds gezahlt werden soll? Die Saatgut-Unternehmen sollten sich angemessen beteiligen und der Bund - sagen die Länder. Und dann endet die Weisheit. Und das Landesportemonnaie soll verschlossen bleiben.

Nach mehr als hundert Änderungsvorschlägen im Bundesrat - wie geht es weiter mit dem Gentechnikgesetz?

Das werden sehr schwierige Verhandlungen. Vor der Sommerpause kommen wir mit dem Gentechnikgesetz nicht durch den Bundesrat. Eines aber weiß ich: In der Landwirtschaft wartet man sehnsüchtig auf Klarheit.

Die Fragen stellte Volker Stollorz
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.04.2004




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