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Umweltschutz   
Giftige Fundamente: Besteht der Autobahn-Unterbau der A 20 aus Atommüll und Müllverbrennungsschlacke?
Siek, 2004 - Pressemitteilung

Ist einer der Gründe für ihren Bau nicht verkehrstechnischer, sondern entsorgungswirtschaftlicher Natur?

Die Verwendung von Müllverbrennungsschlacken im Straßenbau ist gängige Praxis. Soll nun auch - mit den Erleichterungen durch die Änderungen der Strahlenschutz-Verordnung von 2001 im Rahmen des Atomausstiegs- "freigemessener" Atomschrott in den Unterbau?


I. Für ein solches Vorgehen gibt es leider einige Hinweise.
Unter dem Titel "Atomkraftwerke zu Autobahnen" berichtet Nora Luttmer in der Netzeitung vom 4. Feb. 02 über den schon laufenden Abriss deutscher Kernkraftwerke und deren schwierige Entsorgung. Abgesehen von der ungelösten Problematik des Verbleibs des hochaktiven Atommülls sind auch Tonnen geringer verstrahlten Materials zu entsorgen:

- "Rund 90 Prozent des anfallenden Mülls werden die Strahlenexperten wohl als unbedenklich einstufen und freigeben. Dieser "jungfräuliche Schrott", sagt Petra Uhlmann, Sprecherin des Energiekonzerns E.ON, soll in den üblichen wirtschaftlichen Kreislauf wandern: Stahl auf den Schrottplatz, Schutt in den Straßenbau. So hinterlassen alleine die fünf Meiler in Greifswald nicht weit von der polnischen Grenze 1,8 Millionen Tonnen Müll. 1,2 Millionen Tonnen davon sind Gebäudestrukturen. Ohne den strahlenden Kern hätte die Anlage an der Ostsee "auch einfach eine Marmeladenfabrik sein können", erklärt Werkssprecher Meurer, der sich für Mecklenburg-Vorpommern "eine riesige Autobahn" wünscht: "Dann könnten wir den sauberen Abfall ins Fundament schütten." (1)

Könnte der Wunsch von Herrn Meurer in Erfüllung gegangen sein? Die A 20 - von Greifswald nach Stade oder aus den AKWs Greifswald und Stade? Und das Mittelstück Müllverbrennungsschlacke und Hafenschlick u.a. aus Hamburg?

Der Spiegel berichtete 1999 ebenfalls ausführlich über die Demontage des stillgelegten AKW Greifswald. Unter dem Titel "Strahlende Kathedrale" schrieb Gerd Rosenkranz detailliert über diese komplexe Operation. Ein Bild trägt den Untertitel: "...Schrottplatz am AKW Greifswald: Füllstoff für den Autobahnbau." Weiter im Text heißt es:
"1,8 Millionen Tonnen Stahl, Beton und sonstige Abfälle werden am Atomstandort an der Ostsee anfallen. Zwei Drittel des Abriss-Materials gelten als gewöhnlicher Müll, der nie mit Strahlung in Berührung gekommen ist. Beton beispielsweise wird zerkleinert und anschließend wiederverwendet - etwa als Fundament -Füllstoff beim Autobahnbau." Das wäre ja noch eventuell akzeptabel, aber der Artikel fährt fort:

- "Rund 580 000 Tonnen sind entweder radioaktiv belastet oder müssen auf Strahlung untersucht werden ("Verdachtsmaterial"). Auch von diesen immer noch gigantischen Massen hoffen die EWN-Manager am Ende den Löwenanteil (470 000 Tonnen) "freimessen" und in den normalen Stoffkreislauf zurückführen zu können. Im Atomendlager, so haben Rittscher und seine Leute errechnet, sollen schließlich nur 16 500 Tonnen Strahlenmüll ihre letzte Ruhestätte finden - kaum ein Prozent der Gesamttonnage." Je mehr Schrott unter die Grenzwerte gedrückt werden kann, desto billiger natürlich die Entsorgung. Deshalb ist Putzen angesagt:

-"Gegen Kontamination hilft vor allem eins: putzen, putzen und nochmals putzen. Denn je mehr Bauteile die Reinigungsbrigaden unter die radioaktiven Freigrenzen drücken, umso weniger muss zwischen- und später endgelagert werden - das hilft, beträchtliche Kosten zu sparen.
Also wienern Wischtrupps, mit Lappen und Eimern bewaffnet, belastete Oberflächen blank. Rohrleitungen, Pumpen und andere Bauteile des Kühlkreislaufs werden mit chemischen Reinigungscocktails abgelaugt, mit Hochdruckdüsen abgespritzt, in Säurebädern gebeizt oder elektrolytisch poliert." .(2)

Seit wann darf Atommüll - sei er noch so niedrig strahlend und unter den "Grenzwerten" - überhaupt einfach so in der Landschaft verteilt werden? Antwort darauf gibt der Artikel "Atommüll darf in die Umwelt freigesetzt werden" von Thomas Deersee. Er beleuchtet die neue Strahlenschutzverordnung von 2001 sehr kritisch. Erstmalig sei die Freigabe von radioaktiven Abfällen zur Freisetzung und freien Weiterverwertung im großen Stil bundesweit möglich. Dafür wurden zwar Grenzwerte festgelegt, aber:

- "Zwar besteht formal ein Verbot, die Voraussetzungen für die Freigabe "zielgerichtet durch Vermischen und Verdünnen" herbeizuführen, grundsätzlich dürfen jetzt jedoch beliebige Radioaktivitätsmengen in die Umwelt und den Wirtschaftskreislauf freigesetzt und weiterverwertet werden, wenn nur die vorgegebenen Konzentrationswerte in Becquerel pro Gramm und Oberflächenkontaminationen in Becquerel pro Quadratzentimeter eingehalten werden. Dies ist die wirtschaftlich liberalste und gesundheitlich gefährlichste Möglichkeit. Die Alternative hätte in Übereinstimmung mit dem EU-Recht darin bestanden, die Beseitigung oder Wiederverwertung einer Behörde zu unterstellen, die für eine mengenmäßige Begrenzung gesorgt hätte." (3)

Laut Thomas Deersee ist auch die zulässige Strahlenbelastung für die Bürger nebenher erhöht worden . Diese komplexen Regulationen der neuen Strahlenschutzverordnung seien kaum zu durchschauen und werden in seinem Artikel eingehend erläutert.

All diese Hinweise und Vorwürfe - die wir als Umweltverband hier weder bestätigen noch widerlegen können, sollten weiter öffentlich recherchiert sowie dringend unter Hinzuziehung von Fachleuten diskutiert werden. Strahlenschäden summieren sich im Körper und sind kaum reparabel; somit kann auch aus vielen kleinen, "untergrenzwertigen" Dosen durchaus ein Problem werden! Dabei sehen wir nicht eine direkte Gefährdung der Bevölkerung, sofern die Grenzwerte eingehalten werden, sondern eher eine langfristige Gefährdung durch Desintegration der Bausubstanz, Auslaugung und Permeation in Boden, Oberflächen- und Grundwasser. Die Frage - was hält länger- die Autobahn oder die Strahlenbelastung - ist hier entscheidend.
Kommende Generationen dürften unserer Meinung nach mit dieser und weiteren Altlasten dieser Art noch lange ihre Freude haben! Und vor allem- so schön fein verteilt und kaum rückholbar!

II. Atomschrott hin oder her - in jedem Falle ist mit einer Verwendung von Müllverbrennungsschlacken zu rechnen. Dies ist im Straßenbau gängige Praxis und wird als "Liniendeponie" bezeichnet. Liniendeponien gelten für viele Fachleute als problematisch. Auch der Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, Klaus Müller, sieht die Liniendeponie in seiner Rede "Perspektiven einer zukunftsfähigen Abfallwirtschaft in Schleswig-Holstein" zum 16. WZV-Abfallforum kritisch:

- "(1) Da ist die Schlacke aus den Müllverbrennungsanlagen. Ich weiß wohl, Verwerten geht vor Beseitigung und Schlacke hat heute seinen Absatzmarkt. Dazu bin ich aber der Meinung, dass die konzentrierte Ablagerung von Müllverbrennungsschlacke minderer Qualität auf einer überwachten Deponie letztendlich zukunftsfähiger ist, als dieses Material im Straßenbau zu verwenden (Liniendeponie). Zwar gilt ein solches Vorgehen als Ressourcenschonung - ich sagte es eben schon. Aber das langfristige Auslaugverhalten unter schadhaften Straßenbelägen und die Überwachung der neuerlichen Aufbereitung bei späteren Straßenbauarbeiten führen schnell zu einer nicht kontrollierten und nicht kontrollierbaren Verteilung belasteter Abfälle in unserer Landschaft. " (4)

Um hier nur eine kritische Studie von vielen zu erwähnen, "Müllverbrennung und Gesundheit" von Michelle Allsopp, Pat Costner und Paul Johnston :

- "Die Verwertung der Schlacke als Baumaterial reduziert die Entsorgungskosten. Die Tatsache, dass die in den Schlacken enthaltenen Schadstoffe wie persistente Chemikalien und Schwermetalle mit der Zeit ausgelaugt und in die Umwelt freigesetzt werden, lässt diese Form der Wiederverwertung jedoch höchst problematisch erscheinen." (5) Diese Studie sei zu einer ersten Orientierung und weiterer Recherche empfohlen, da sie viele weitere Quellen enthält.

Zusammenfassung Liniendeponie
- problematische Kontrolle / Überwachung des Stoffeintrags
- Problematik der langfristigen Auslaugung von Schwermetallen und anderen Schadstoffen, mögliche Beeinträchtigung des Bodens und des Oberflächen- und Grundwassers
- diese Probleme noch verstärkt im Falle späterer Umbaumaßnahmen
- bei eingetretener Belastung der Umwelt schwierigere Überwachung als bei einer Deponie durch die große Ausdehnung
- spätere Rückholung giftigen Materials kaum möglich
- weite Verteilung von Schadstoffen in der Landschaft hindert epidemiologische Studien - keine "lästigen" auffälligen Häufungen von Krebsfällen o.ä., alles gleichmäßig belastet

Unser Fazit:
Im Falle der A 20 ist dringend zu klären, ob hier eine langgestreckte Mülldeponie vorgesehen ist! Falls dem so ist, ist dies in der Umweltverträglichkeitsprüfung u.ä. besonders gründlich zu berücksichtigen, da der Schleswig-Holsteinische Teil der A 20 in weiten Bereichen durch Gegenden mit moorigem, feuchtem Charakter und sogar Marschland führt. Zweitens gilt es, die entsorgungswirtschaftlichen Belange zu diskutieren. Werden hier Entsorgungskosten auf den Steuerzahler abgewälzt?

Eine weitere wichtige Frage bleibt zu beantworten: warum wird dieser Verkehrstechnisch eher unbedeutende Abschnitt der A 20 politisch so "gepuscht"? Warum wurde der schon aufgegebene A 20-Abschnitt Plötzlich zum vordringlichen Bedarf erklärt? - Wer will die A 20 wirklich?

Quellen:
1. Nora Luttmer, "Von Atomkraftwerken zu Autobahnen", Netzeitung, 4.2. 02
www.netzeitung.de/deutschland/176642.html

2. Gerd Rosenkranz, "Strahlende Kathedrale", Der Spiegel 46/1999, S.280-285
www.spiegel.de , Artikel im Archiv suchen (dort gelistet unter "Atomenergie: Der Abriss in Greifswald"), über Firstgate online

3. Thomas Deersee, "Atommüll darf in die Umwelt freigesetzt werden", Strahlentelex Nr. 342-343, 5.4. 01 sowie IPPNW-Forum 69-70 - www.ippnw.de/atom/strahlennovelle.htm

4. Klaus Müller, "Perspektiven einer zukunftsfähigen Abfallwirtschaft in Schleswig-Holstein", Eröffnungsreferat des Ministers für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein, 16. WZV- Abfallforum, Bad Segeberg, 4.5. 00 www.mueller.sh/rede-abfall-00.05.html (Zitat unter "Perspektive 3", vorletzter Absatz)

5. Michelle Allsopp, Pat Costner, Paul Johnston, "Müllverbrennung und Gesundheit", Greenpeace Forschungslabors, Universität Exeter, England 2001
www.greenpeace.at/umweltwissen/chemie/pdf_files/muellverbrennung_lang.pdf

Zu allen Quellen: eigene Recherchen

VISDP: Klaus Koch / Pressesprecher
Öffentlichkeitsarbeit
für den Umweltverband
DAS BESSERE MÜLLKONZEPT
Bundesverband Deutschland e.V.

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Quelle: ECO-News Deutschland, D-81371 München
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