![]() Schwedische Forscher warnten schon Ende April vor Acrylamid in Kartoffelchips und Pommes frites. Nun ist die Substanz auch in Deutschland und der Schweiz zudem in Cornflakes und Knäckebrot nachgewiesen worden. Grenzwerte für Acrylamid weit überschritten Die zulässigen Höchstwerte für Acrylamid sind in Kartoffel- und Getreideerzeugnissen zum Teil um das Hundertfache überschritten worden. Das ergaben die Analysen des Naturwissenschaftlichen Forschungs- und Untersuchungslaboratoriums (NAFU) in Berlin, das für das ARD-Magazin "Plusminus" Pommes frites, Kartoffelchips, Brot und andere Backwaren untersuchte. Auch das Bundesamt für Gesundheit in Bern wies Acrylamid in Lebensmitteln nach und bemerkte, dass es sich nicht um ein neues, sondern ein neuentdecktes Risiko handelt. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz (BgVV) veröffentlichte die in Schweden gefundenen Acrylamidwerte: Am höchsten war der Gehalt in Kartoffelchips mit 2300 Mikrogramm pro Kilogramm Ware, gefolgt von Knäckebrot mit 1900. Pommes frites enthielten 1100 Mikrogramm pro kg. In Bisquits und Kräckern fand die schwedische Forschergruppe 650, in Korn Crisps 180 Mikrogramm pro kg. Im Brot liegt die nachgewiesene Menge an Acrylamid bei 60 Mikrogramm pro kg. Zum Vergleich: Im Trinkwasser darf laut BgVV nur 0,1 Mikrogramm Acrylamid pro Liter vorhanden sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat für Acrylamid einen Höchstwert von einem Mikrogramm pro Kilo Körpergewicht festgelegt. Entscheidend für die Einschätzung der aktuellen Belastung durch Acrylamid sind natürlich die tatsächlich verzehrten Mengen, die individuell sehr unterschiedlich sein können. Pommes frites, Chips, Bisquits und Kräcker sowie Brot werden gewöhnlich in 200g-Portionen verzehrt, während es bei Knäckebrot und Cornflakes ca. 20 g sind. So ist die Aufnahme durch Knäckebrot im Durchschnitt geringer als durch Pommes frites, wenn auch höhere Mengen Acrylamid pro kg gemessen wurden. Was ist Acrylamid? Acrylamid ist ein kristallines Pulver, das üblicherweise als Kunststoffvorprodukt in der chemischen Industrie verwendet wird. Bei nicht sorgfältigem Umgang mit dieser Chemikalie kann sie durch Einatmen der Stäube oder durch Hautkontakt aufgenommen werden. Dabei wurden Symptome, wie Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit, beobachtet. Acrylamid wirkt im Tierversuch kanzerogen. Daher ist der Stoff im Chemikalienrecht der Europäischen Union als Mutagen und Kanzerogen eingestuft, auch wird es in der Liste der maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK-Liste) als krebserzeugender und erbgutschädigender Arbeitsstoff aufgeführt. Diese chemische Substanz entsteht nach den aktuellen Forschungsergebnissen auch bei der Verarbeitung von Lebensmitteln. Wie das geschieht, ist noch unbekannt, ebenso wie es zu den hohen Konzentrationen kommt und wie sie verhindert oder zumindest deutlich reduziert werden könnten. Die Experten überlegen nun auch, ob Acrylamid eine der Hauptursachen für Krebs sein könnte. Hierzu findet Ende Juni eine Tagung der WHO in Genf statt. Weniger ist gut, Verzicht ist besser! Bisher haben wir bei Pommes und Chips zunächst an die Figur gedacht. Natürlich sind die darin enthaltenen Fettmengen nicht gesund. Pommes frites und Chips passen nun mal nicht zu einer gesunden Ernährung. Doch die Acrylamidfunde verderben nun gründlich den Appetit. Sollte man jetzt beim Frühstück die Cornflakes und das Knäckebrot verschmähen, mittags um die Pommesbude einen großen Bogen machen und abends beim Fußball keine Chips mehr knabbern? Erst einmal warten, ob die Wissenschaft wieder grünes Licht für den Genuß dieser Produkte gibt? Bevor die Fragen, wie der riskante Stoff entsteht und wie man die Entstehung vermeiden kann, eindeutig geklärt sind, kann jeder Verbraucher sein Risiko selbst vermindern. Acrylamid wurde in gebratenen, gebackenen und fritierten Lebensmitteln gefunden, nicht jedoch in gekochten oder der Rohware. Die logische Schlussfolgerung: weitgehender Verzicht auf Kartoffelchips, Pommes frites, Cracker und Co, weniger Bratkartoffeln und Kochen als Zubereitungsart dem Backen, Braten, Grillen und Fritieren vorziehen. Was empfehlen die Behörden? Die schweizerische Behörde rät davon ab, die Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Sagt aber gleich im Anschluß: "Einmal mehr bestätigt sich, dass eine vielseitige, ausgewogene Ernährung mit genügend Früchten und Gemüse die beste Voraussetzung für eine gute Gesundheit ist." Das BgVV rät trotzdem, den Konsum deutlich zu reduzieren, denn proportional damit sinkt auch das Risiko. Das gilt insbesondere für Kinder. Bundesverbraucherministerin Renate Künast sieht keine akute Gesundheitsgefährdung durch den Stoff Acrylamid in gebackenen, frittierten oder gerösteten Lebensmitteln. Fakt sei, dass das Problem des Essens hocherhitzter Lebensmittel in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten diskutiert werde. Seit Jahren sei klar, dass von solchen Speisen wie etwa Chips oder Pommes frites nicht zuviel gegessen werden sollte. Genau besehen Fakt ist aber auch, dass einige Personen solche Produkte durchaus in größeren Mengen konsummieren. Da nutzt es wenig, wenn die Bundesforschungsanstalt für Getreide,- Kartoffel- und Fettforschung einen täglichen Verbrauch von 3 g Kartoffelchips und 9 g Pommes frites pro Tag und Person errechnet. Dieser Durchschnittswert verschleiert den Blick auf die aktuelle Belastung Einzelner, denn die tatsächlich verzehrte Portion liegt wesentlich höher: ca. 240 Gramm für 1 Portion Pommes Frites. Bei Chips gibt es Tüten mit 100 und 200 g, die manch einer auch an einem Tag auffuttert. Fazit Auch wenn Acrylamid nicht der einzige schädliche Stoff in der Nahrung ist, und viele Fragen noch ungeklärt sind, sagt mir der gesunde Menschenverstand: Erst einmal keine Chips und Pommes! Denn diese Produkte sind am stärksten belastet. Brot enthält wesentlich weniger Acrylamid (60 Mikrogramm pro kg). Bei einer Verzehrsmenge von 205 g pro Tag nimmt man mit dem Brot 12 Mikrogramm auf. Entscheidend für genauere Empfehlungen ist, was die weiteren Untersuchungen ergeben und auch welche Unterschiede bei den Brotsorten bestehen. Bei Broten mit Ölsaaten auf der Oberfläche könnte beim Backen mehr Acrylamid entstehen als ohne Ölsaaten. Ich hoffe allerdings, dass dieser Skandal beim Verbraucher nicht dauerhaft zu Frust und Ängsten oder sogar Ignoranz führt, sondern nachhaltig motiviert, sich mehr mit einer bewussten und gesunden Ernährung theoretisch und praktisch auseinanderzusetzen. Dr. Cornelia Voß Der Srtikel ist erstmalig erschienen im Informationsdienst Arbeitsmarkt Umweltschutz Heft 25/2002.
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