Über Legitimation und Wirkung der Letzten Generation Gleich zu Beginn entkräftete PD Dr. Frauke Höntzsch vom Lehrstuhl für Politikwissenschaft/Politische Theorie der Universität Augsburg mit ihrem Vortrag "Shooting the Messenger. Über Legitimation und Wirkung der Letzten Generation" die Kritik an der Letzten Generation, sie sei eine kriminelle, gar terroristische Vereinigung. Vielmehr ordnete die politische Theoretikerin die Letzte Generation auf Grundlage der Definition als einen "ziemlich mustergültigen Fall von zivilem Ungehorsam" ein, vergleichbar mit den Frauenrechtlerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts. Bei ihren Störaktionen "verhält sich die Letzte Generation überraschend zivil und gehorsam". Doch während ihr Anliegen - der drohenden Klimakatastrophe aktiv entgegenzuwirken - vom Gros der Gesellschaft als dringlich erachtet werde, würde die Form der Aktionen auf Ablehnung stoßen. Um dem entgegenzuwirken, rät PD Dr. Frauke Höntzsch der Letzten Generation, sich mehr auf die Kraft positiver Geschichten zu fokussieren. Dadurch könnten die Vorteile, die ein intensiverer Klimaschutz für das gute Leben aller birgt, besser herausgearbeitet werden. Und hier könnte ihrer Meinung nach der Beitrag der Kirche liegen, "als Hoffnungsgeberin [.] im Sinne von Zuversicht, Gemeinschaft und Tatkraft". Rolle der Kirche, Ohnmacht, Protestform Im Laufe der anschließenden Podiumsdiskussion kristallisierte sich eine weitere Rolle heraus, welche die Mitdiskutierenden der Kirche zuschreiben. Neben PD Dr. Frauke Höntzsch war es gerade die Pfarrerin und Koordinatorin der "Arbeitsgemeinschaft Vernetzung mit den Kirchen" der Letzten Generation Augsburg, Andrea Rückert, die von der Kirche mehrfach forderte, "die Politik unüberhörbar zu mahnen, dass die Regeln geändert werden müssen, dass das nachhaltige Leben einfacher, schneller und günstiger ist". Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl der evangelischen Kirche in Württemberg betonte, dass seine Kirche sich mit der Verabschiedung eines Klimagesetzes längst aus der Komfortzone begeben habe. Auch diese Veranstaltung zeige dies. Und Pfarrerin Heike Meder-Matthis der evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-Möhringen ergänzte beispielhafte Projekte aus ihrem Alltag. Gleichfalls appellierte der Landesbischof an die Klimaaktivisten ihrerseits aktiver in den Austausch mit der Politik zu treten, aber vor allem "müssen in einer Demokratie die Menschen für eine Sache gewonnen werden." Dies gelingt nach Meinung des Landesbischofs nicht mit den aktuellen Protestformen der Letzten Generation, da sich die Menschen vielmehr über die Form aufregen würden, statt über die eigentlichen Beweggründe nachzudenken und selbst aktiv zu werden. Jessica Hubbard, Landesvorsitzende von Fridays for Future, Baden-Württemberg, sieht noch einen anderen Grund für die generelle Passivität: die Ohnmacht. "Die Gesellschaft spürt dieselbe Ohnmacht, die uns alle lähmt - den Klimaaktivisten gleichermaßen wie den Klimawandelleugner." Die schwierigste Aufgabe sei es nun, diese Ohnmacht zu überwinden und ins Handeln zu kommen. Auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fridays for Future und Letzte Generation bekräftigte sie, dass der Austausch intensiv und die Solidarität in der Klimabewegung groß sei. Kritik äußerte Jessica Hubbard in Richtung der Medien, die aktiv versuchen würden, die Klimaaktivistenszene gegeneinander auszuspielen. Moritz Riedacher, Pressesprecher der Letzten Generation Stuttgart, schilderte seinen Weg über Fridays for Future zur Letzten Generation mit einem "Zwischenstopp" als Fluthelfer im Aartal. Diese Konfrontation mit den Auswirkungen des Klimawandels löste in ihm das Gefühl aus: "Es braucht mehr Vehemenz. Es braucht einen Protest, der uns allen die Dringlichkeit nochmals vor Augen führt." Dafür nimmt Moritz Riedacher auch eine jüngst gegen ihn verhängte viermonatige Haftstrafe in Kauf. Für diese Opferbereitschaft hatte Landesbischof Gohl viele anerkennende Worte, gleichzeitig sprach er sich auch gegen die unverhältnismäßigen Strafen gegenüber der Klimaaktivistenszene aus. Um den Bogen zum Appell von PD Dr. Frauke Höntzsch für eine positivere Vision der Letzten Generation zu spannen, sei es für Moritz Riedacher sinnvoll, "den Gerechtigkeitsaspekt in den Vordergrund zu stellen. Weil an vielen Stellen systematisch verhindert wird, einen Wandel zugunsten des Klimas und unserer Umwelt zu vollziehen bspw. in der Landwirtschaft." Hier ist die Klimabewegung im Austausch und organisiert gemeinsame friedliche Aktionen, wie jüngst mit Landwirten auf Heuballen sitzend vor dem Brandenburger Tor - eine Aktion, die für eine positivere Wahrnehmung der Initiative sorgen könnte - wenn die Medien aktiver darüber berichten würden. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurde diese für die Gäste geöffnet. Klimabewegung und Kirche bekamen punktuell viel Zuspruch, mussten sich aber auch kritischen Fragen stellen. Akademiepreisträger 2023: "climate stories"
Mathias Schweikert nahm den Preis stellvertretend für das "climate stories"-Team entgegen. In seiner Projektpräsentation erläuterte er die drei Säulen, auf welchen "climate stories" gründet, und formulierte als Fazit: Die Klimagerechtigkeit muss mehr in den Fokus des Klimadiskurses gestellt werden. Der globale Süden braucht eine Stimme in der Debatte. Es geht um die Sorge um die Mitmenschen, kurzum um eine zutiefst christliche Motivation, die Nächstenliebe. Einen musikalischen Kontrapunkt zur Debatte setzten die Jazz-Virtuosen und Preisträger des Landes-Jazz-Preises Baden-Württemberg Alexander "Sandi" Kuhn am Saxofon und Gee Hye Lee am Piano. Wie diskussionsgeladen die Thematik um Klimaschutz, Klimakrise, Klimagerechtigkeit ist, zeigte sich auch abseits der Veranstaltung. Denn sowohl in der Pause als auch im Anschluss an den offiziellen Teil wurde intensiv weiter debattiert.
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