![]() die Peinlichkeit des Expo-Fernsehen. Nur ueber die Ideologie, die die Expo-Macher transportieren wollen, wurde wenig berichtet. Warum auch? Wird doch die Weltausstellung eher als verlaengerte Touristikmesse denn als Vermittler von Botschaften in der Oeffentlichkeit wahrgenommen. Doch ausgerechnet vehemente Expo-KritikerInnen haben kuerzlich unter dem Titel "Gegenbilder zur Expo 2000" ein Buch veroeffentlicht, in dem sie die vorgeblichen Inhalte der Weltausstellung ernst nehmen. Heisst es doch im Vorwort: "Die Expo-Strategie ist geschickt - so lange sie aufgeht. Wird die Expo aber als Vorschlag fuer eine ganz bestimmte Zukunftsvariante unter vielen moeglichen wahrgenommen, koennte sie sich in ihr Gegenteil verkehren. Dann naemlich boete die Expo die Moeglichkeit, diese Variante zu kritisieren und andere Zukunftsszenarien vorzuschlagen." Weil aber die Expo-Botschaften in der Oeffentlichkeit so gar nicht wahrgenommen werden, leiden auch die Gegenbilder' bisher unter Desinteresse. Eigentlich schade; haben doch die drei AutorInnen wahrlich eine Fleissarbeit abgeliefert. Vom Oekologiebegriff ueber eine Wissenschaftskritik bis zur Geschichte der Produktivkraftentwicklung wird kein Problemfeld ausgelassen. Marx, Bloch, Holtzkamp, Bookchin gehoeren zu der Primaerliteratur, die in dem Buch aufgearbeitet wird. Trotzdem haben sich die VerfasserInnen erkennbar bemueht, komplizierte Zusammenhaenge allgemeinverstaendlich darzustellen. Neben einem umfangreichen Glossar, in dem viele Begriff ausfuehrlich erklaert werden, gibt es am Rande der jeweiligen Artikel kurze Textzusammenfassungen. Weiterhin muss lobend erwaehnt werden, dass die AutorInnen ihr Buch als OpenTheory-Projekt begreifen. "Dieses Buch erscheint unter einer freien Lizenz (Copyleft), die das Kopieren, das Veraendern und das Weitergeben des modifizierten Textes erlaubt und die dafuer sorgt, das sich niemand den Text privat unter den Nagel reissen und z.B. mit einem Copyright belegen kann. Nur der Hinweis auf die Quelle, die AutorInnengruppe und die Bezugsmoeglichkeiten muessen erhalten bleiben". Damit setzen die Gegenbild-AutorInnen eine ihrer im Buch formulierten Zukunftsutopien in die Praxis um. Abschaffung aller Patente, freier Tausch von Informationen, Dienstleistungen und auch Waren gehoert zu ihren Forderungen. Das Projekt der freien Software aber auch Linux wird als nachahmenswertes Beispiel herangezogen. Die AutorInnen sind also beileibe keine Technikfeinde. Anders als der New-Work-Guru Frithjof Bergmann, der in dem Buch mehrere positive Randnotizen erhaelt, spricht die Gruppe Gegenbilder dem Computer und dem Internet keine per se emanzipatorische Wirkung zu. Den Texten ist anzumerken, dass ihre AutorInnen laengere Zeit in Kommunen und Projektwerkstaetten mitgearbeitet. So gibt es laengere Textpassagen, mit denen kommune- und projektresistente LeserInnen wahrscheinlich wenig anfangen koennen. Die Kritik an der Agenda 21, dem Nachhaltigkeitsdiskurs und der Politik der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stuetzt sich wesentlich auf die Arbeiten des Mitherausgebers und Radikaloekologen Joerg Bergstedt. So praegnant seine Einwaende sind, so kritisch muss auch das Gegenkonzept einer "Bewegung von unten" hinterfragt werden, das sich durch das gesamte Buch zieht und stellenweise schon den Charakter eines Mythos bekommen hat. Dabei wird nicht hinterfragt, ob Bewegungen von unten per se progressiver als beispielsweise linke Nichtregierungsorganisationen wie medico International sein muessen. Auf der Pressekonferenz der Bundeskongress Entwicklungspolitischer Gruppen (BUKO) Anfang Oktober in Berlin wurde diese Frage mit plausiblen Argumenten verneint. Schliesslich haben wir oft genug erlebt, dass auch "Bewegungen von unten" autoritaere, rassistische, protektionistische Theorie- und Praxisformen hervorbringen. Wie soll sich auch ein autoritaer strukturiertes Subjekt ploetzlich seiner gesamten Sozialisation entledigen und emanzipatorische Eigenverantwortung uebernehmen? Schliesslich gibt es da selbst in der linken Bewegung grosse Probleme, wie die Gruppe Gegenbilder in ihrer Kritik an der Anti-Expo-Bewegung ueberzeugend nachweist. "Nicht nur die verbandlich oder gar betriebswirtschaftlich organisierten NGOs und die bewusst zentralisiert arbeitenden kaderlinken Gruppierungen weissen krasse Hierarchien auf, sondern auch in den Gruppen, die den Herrschaftsabbau eigentlich als ihr Ziel proklamieren, finden sich Dominanzverhaeltnisse alltaeglich." Angesichts dieses Zustandes der Linken ist der Versuch der AutorInnen, ein Gegenkonzept zu formulieren, nicht gering zu schaetzen. Es waere zu wuenschen, dass es die kritische Debatte ausloest, die sich die Gruppe Gegenbilder wuenscht. Beim aktuellen Zustand der Anti-Expo-Bewegung und des Utopietabus der Restlinken fast ein vermessener Wunsch. 16.10.00 Freie Menschen in freien Vereinbarungen Gegenbilder zur Expo 2000 Hg.: Gruppe Gegenbilder, 2000, 19,80 DM Bestellungen an: Projektwerkstatt Ludwigstr. 11 35447 Reiskirchen-Saasen Download: www.projektwerkstatt.de/download/ Debatte: www.opentheory.org/proj/gegenbilder
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