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 ECO-News - die grüne Presseagentur
Presse-Stelle:  Der Spatz - Alternativer Anzeiger für Bayern, D-80999 München
Rubrik:Essen & Trinken    Datum: 17.03.2010
Schlecht gemanagte Meere
"Konsumverzicht ist kein Mittel gegen Überfischung"
"Überfischung", "sterbende Meere", "aussterbende Fischarten". Seit Jahren stellen Umweltschutzorganisationen die Fischerei an den Pranger und warnen vor dem "Untergang" der Meere. Wenn das Artsterben so weitergehe, werde es bis Mitte des 21. Jahrhunderts keinen Fisch mehr geben. Doch was ist dran an diesen Sensationsmeldungen? Norbert Suchanek sprach mit Christopher Zimmermann, Meeresbiologe und stellvertretender Direktor des Instituts für Ostseefischerei des Johann Heinrich von Thünen-Instituts.

Norbert Suchanek: Stimmt es, dass die Meere überfischt sind und am Sterben sind?

Christopher Zimmermann:
Tatsächlich sind viel zu viele Fischbestände übernutzt, das heißt sie werden so intensiv befischt, dass sie deutlich weniger produktiv sind, als sie bei vernünftiger Bewirtschaftung sein könnten - und damit liefern sie vor allem viel weniger Ertrag als möglich wäre. Der Nordsee-Kabeljaubestand liefert zur Zeit knapp 70 Kilotonnen (kt) Ertrag, davon nur 40 kt legale Anlandungen. Wenn der Bestand gesund wäre, könnte er leicht über 150 kt Ertrag liefern. Mit "sterbenden Meeren" hat dies allerdings nichts zu tun, hier geht es nicht um ein Artenschutz- oder Biodiversitätsproblem, sondern um ein ökonomisches Problem: Wir verschwenden durch schlechtes Management unerhörte Mengen wertvoller Nahrung.

Suchanek: Von aussterbenden Meeresfischen kann also - noch - keine Rede sein?

Zimmermann:
Vom Aussterben ist - bis auf ganz wenige Ausnahmen, siehe Europäischer Aal - keine europäische Massenfischart bedroht. Diese Aussage von sterbenden Meeren oder auch nur von leergefischten Meeren liest sich einfach besser als Aufmacher als eine sachliche Analyse. Und selbst der Europäische Aal, um dessen Existenz wir inzwischen fürchten, ist nicht in erster Linie durch zu intensive Fischerei bedroht, sondern durch die Verbauung der Fließgewässer mit Kraftwerken und die Verschmutzung der Flüsse, die auf den Ernährungszustand und den Hormonhaushalt der erwachsenen Tiere erheblichen Einfluss haben können.

Suchanek: In der Nordsee leidet der Kabeljau an Überfischung. Wie sieht die Situation in der Ostsee aus?

Zimmermann:
Auch in der Ostsee gibt es natürlich überfischte Bestände, der Dorsch der östlichen Ostsee war jahrelang ein Paradebeispiel. Für diesen Bestand haben wir Wissenschaftler jahrelang eine Schließung der Fischerei gefordert, wenn er sich - unserem Auftrag entsprechend, schnell und sicher wieder erholen können sollte. In den letzten Jahren, maßgeblich gefördert durch den Regierungswechsel in Polen und den damit einhergehenden Stopp der erheblichen illegalen Fischerei, ist der fischereiliche Druck auf diesen Bestand stark gesunken auf weniger als ein Viertel des Wertes von vor vier Jahren. Gleichzeitig haben wir durch reines Glück drei stärkere Nachwuchs-Jahrgänge in fünf Jahren verzeichnen können, was von den Umweltbedingungen, insbesondere vom Einstrom salzhaltigen Wassers aus der Nordsee in die zentrale Ostsee abhing. Und schließlich wurde ein Langfrist-Managementplan erlassen, der nun die Zunahme der Fangmenge dämpft. In der Summe führt all dies dazu, dass sich der östliche Dorschbestand innerhalb weniger Jahre vervielfacht, was auch zeigt, welches Erholungspotential selbst stark überfischte Bestände haben, wenn man sie nur lässt...

Suchanek: Kann der Verbraucher also heute Ostseefische unbedenklich essen?

Zimmermann:
Aus unserer Sicht kann man alle Lebewesen aus der Ostsee essen, wenn sie aus legalen Quellen stammen, wenn die Art nicht aus Artenschutzsicht bedroht ist, wenn das Produkt nicht mit Schadstoffen kontaminiert ist und wenn keine ethischen Gründe gegen einen Verzehr sprechen. Und diese Kriterien erfüllen heute die wichtigsten Fischarten aus der Ostsee wie Dorsch, Flunder, Sprotte, Lachs und Meerforelle, andere Plattfische wie Scholle und Süßwasserfische wie der Zander. Bedenklich ist lediglich der Verzehr von Europäischem Aal, der auch in der Ostsee gefangen wird, weil er im Bestand bedroht ist, und der Verzehr von Hering aus der nördlichen Ostsee, weil er mit Schadstoffen belastetet sein kann. Noch mal: Überfischung ist vor allem ein ökonomisches Problem, das man durch besseres Management, aber kaum durch Konsumverzicht lösen kann.

Suchanek: Fische der Ostsee sind also nicht generell stärker mit Schadstoffen belastet als Nordsee- oder Atlantikfische?

Zimmermann:
Einige wenige Arten, wie der bereits erwähnte Hering als Fettfisch, kann in Teilen der Ostsee stärker kontaminiert sein als im "offenen Ozean". Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens ist die Ostsee ein Binnenmeer, eingeleitete Schadstoffe werden nicht schnell verteilt, und lagern sich sogar in den tiefen Becken der Ostsee ab, können also auch noch "recycelt" werden. Zweitens hat insbesondere die skandinavische Papier- und Schwerindustrie in der nördlichen Ostsee, im Bottnischen Meerbusen, über Jahre erhebliche Schwermetall- und PCB-Mengen eingeleitet. Drittens sind insbesondere die Heringsbestände in diesem Gebiet aus fischereilicher Sicht "unternutzt", das heißt die gefangenen Tiere weisen ein hohes durchschnittliches Alter von bis zu zehn Jahren auf und hatten damit bis zum Fang viel Zeit, toxische Substanzen anzureichern. Für Dorsch beispielsweise trifft all dies nicht zu. Er ist kein Fettfisch, der solche Stoffe stark anreichern würde, das mittlere Alter bei Anlandung liegt zwischen 3 und 6 Jahren, und ganz im Norden gibt es ohnehin keinen Dorsch, weil diese Art weniger tolerant gegen den abnehmenden Salzgehalt ist. Auch Hering der westlichen und zentralen Ostsee kann bedenkenlos verspeist werden, der Hering der westlichen Ostsee frisst ohnehin zu einem erheblichen Teil in der Nordsee oder im Kattegatt/Skagerrak, das gut durchströmt ist.

Suchanek: Ist die Ostseefischerei umweltverträglich?

Zimmermann:
Die Beantwortung der Frage bedarf zuerst einer Definition von "umweltverträglich" oder "nachhaltig". Einige Fischereien haben aus unserer Sicht zu hohe Beifangraten - dieses Problem wird in sehr absehbarer Zeit durch ein Rückwurfverbot und größere Maschenweiten gelöst werden. Leider gibt es Hinweise, dass einige der - auf die Zielart bezogen - selektivsten Fischereien, wie die Stellnetzfischerei, in ausgewählten Gebieten besonders hohe unerwünschte Beifänge von Seevögeln und Seesäugern haben können. Die Daten hierzu sind jedoch alles andere als belastbar und werden von jeder Seite nach Belieben hoch- oder runtergerechnet. Wir bemühen uns derzeit, durch bessere Beifangdaten aus diesen Fischereien die Diskussion zu versachlichen. In der Summe ist, auch durch die vergleichsweise einfache Struktur der Fischerei und des Ökosystems in der Ostsee, hier besonders leicht ein nachhaltiges Management umsetzbar. Viele Fanggeräte mit hohen Beifangraten sind in der Ostsee ohnehin nicht zugelassen.

Suchanek: Die Zahl der hauptberuflichen Ostseefischer hat sich über die Jahre hinweg auf wenige hundert verringert. Ist die Ostseefischerei ein aussterbender Berufszweig?

Zimmermann:
Aus unserer Sicht klar nein, Fisch ist eine sehr wertvolle Ressource, die auch in Zukunft geerntet werden kann und wird, und die Fangmengen werden mit dem sich deutlich zeigenden, aber oft quälend langsamen Managementwechsel erheblich steigen, einfach weil die Bestände dann wieder in besserem Zustand sind. Der Strukturwandel wird sich aber natürlich nicht aufhalten lassen. Der Technisierungsgrad wird weiter zunehmen, die Fischereifahrzeuge werden größer aber deutlich weniger, und damit auch der Personalbedarf geringer. Kleine Betriebe werden vermutlich ihre Nische finden, ähnlich wie in der Landwirtschaft geht dies aber auf Kosten der individuellen Erträge - viele Fischer haben schon heute einen Stundenlohn von unter fünf Euro. Dieser Berufszweig ist offenbar wie die bayerische Milchviehhaltung nur ausübbar, wenn man die Familie einbindet und an den Rand der Selbstausbeutung geht oder sogar darüber hinaus.

Suchanek: Danke für das Gespräch!




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