![]() Fricke: Nein. Bei den ganzen Diskussionen um die Gefährdung unserer Sicherheit vermisse ich vor allem eines: Es wird überhaupt nicht mehr nach den Ursachen des Terrors gefragt. Wie entsteht Terror? Wie entsteht Gewalt an den Schulen? Wie entsteht Gewalt im Elternhaus? Die entsteht dadurch, dass bestimmte Werte nicht mehr respektiert werden. Die entsteht dadurch, dass sich eine Ordnung, wie Johannes Galtung es einmal gesagt hat, in Form von struktureller Gewalt manifestiert. Was wir im Moment haben, ist eigentlich eine Ordnung der Unordnung. Unsere Welt ist strukturell derart ungerecht, dass auf der einen Seite der Welt jede Stunde 4000 bis 6000 Kinder verhungern, auf der anderen Seite 4000 Kinder an Überfettung sterben. Eine Welt, in der 990 Billionen Dollar für Waffen ausgegeben werden und für Entwicklungshilfe, für den Kampf gegen Hunger und Armut noch nicht mal 10 Prozent davon. Frage: Der Schwerpunkt der Waffenproduktion ist noch immer das so genannte christliche Abendland. Die reichsten und mächtigsten Länder der westlichen Welt sind kapitalistische, christliche Länder. Das heißt diese Welt, diese wunderschöne Erde, wird von Führern beherrscht, die sich selber als Christen bezeichnen. Eine Welt, die derartige Ungerechtigkeiten hervorbringt, steht aber im Gegensatz zum Schöpfungsgedanken. Ein Gott, der über allen Religionen steht, kann nur darüber weinen, wenn in seinem Namen die Anhänger eines anderen Gottes totgeschlagen werden. Der Gott, an den ich glaube, hat uns durch den Propheten Jesaja eine Friedensvision gegeben: Dort legen sich die Wölfe zu den Lämmern, die Böcke zu den Panthern. Es ist eine Welt des Ausgleichs, des Miteinanders, der Geschwisterlichkeit, der Achtung voreinander, vor den Tieren und vor den Pflanzen. Und vor der Natur, die wie eine Mutter als ein achtenswertes, lebendiges Wesen angesehen wird. Frage: Müssten wir uns nicht wieder auf urchristliche Elemente besinnen, etwa auf die Forderung, zunächst den "Balken in unserem eigenen Auge" zu entfernen? Fricke: Mit Sicherheit. Den Menschen, die sich in Deutschland von Gewalt bedroht fühlen, sage ich: Seht euch doch mal in der anderen Seite! Was würdet ihr denn machen in Palästina, wo euch jegliche Lebensperspektive abgeschnitten wird? Was würdet ihr denn machen in Afghanistan, in einem Land, das zerbombt ist, das zerrissen ist, wo kriminelle Clans ihr Unwesen treiben? Ich verwende gern folgendes Beispiel: An einem Tisch sitzen sechs Personen, und es wird aufgetischt. Von diesen sechs Personen füllen sich drei ihren Teller bis zum Rand. Dann gibt es noch 2 Personen, die ein bisschen was kriegen, und der letzte kriegt überhaupt nichts davon. Einer fällt hungrig vom Stuhl, weil er gar nichts gegessen hat, der zweite hat keinen Mut und keine Kraft mehr, sich zu wehren, und der Dritte nimmt sich einfach etwas vom Teller derer, die genug haben. Diesen zuletzt Genannten würden die Satten dann als Terroristen, als Gewalttäter betrachten. Ich würde eher diejenigen als die Schuldigen betrachten, die im Gegensatz zu Gottes Gebot den anderen nichts von dem, was sie im Überfluss haben, abgeben. Frage: Stattdessen bewaffnen sich die Satten, um den Armen auch ganz sicher nichts von ihrem Teller abgeben zu müssen. Fricke: Darum geht es. Es scheint mir dringend notwendig, bei dieser hysterisch geführten Sicherheitsdiskussion auf die Ursachen hinzuweisen und vor allem darauf hinzuwirken, diese Welt gerechter zu machen. Deutschland ist heute wieder der dritt- oder viertgrößte Waffenexporteur. Gleichzeitig haben wir es nicht mal geschafft, unsere vor 40 Jahren eingegangene Verpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben, einzuhalten. Hier besteht eine beschämende Diskrepanz zwischen dem, was wir als richtig erkannt haben und dem, was wir getan haben. Militärischen Missionen gehören ja heute in unserem Land wieder zur völligen Normalität, obwohl die Bundeswehr laut unserem Grundgesetz eigentlich eine Verteidigungsarmee ist. Wenn man den finanziellen Aufwand einer solchen Aktion wie am Hindukusch einmal objektiv mit den selbst gesteckten Zielen vergleichen würde, käme man zu einem vernichtenden Ergebnis. Die Idee, dass wir Gewalt durch Gewalt begegnen können, sei es nun im Kosovo, in Afghanistan, im Irak, im Sudan oder in Kolumbien, ist gescheitert. Die Welt ist durch den Einsatz von Gewalt nicht gerechter geworden. Frage: Hier kommen wir wieder zu christlichen Werten. Könnte das Gebot der Feindesliebe helfen, um die aktuellen Probleme anzugehen? Fricke: Man hat die Gestalt des Jesus in unglaublicher Weise deformiert. Er spielt keine Rolle mehr für die aktuelle Politik, oder man richtet ihn sich so zu wie man ihn braucht. Es wäre ehrlicher, zu sagen: Dieser Jesus war verrückt, man kann ihn sowieso nicht ernst nehmen. Stattdessen hält man nach außen hin weiterhin ein süßliches Jesusbild hoch und kümmert sich im Übrigen nicht um ihn. Die Kernaussage der Evangelien ist sehr konkret: Das Himmelreich Gottes ist jetzt, das heißt, es ist mitten unter uns. Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit sind die zentralen Werte. Eine besondere Herausforderung stellt das Gebot der Feindesliebe dar. Kann man z.B. den Taliban absprechen, dass sie Gottes Geschöpfe sind? Schon immer haben Menschen versucht, anderen ihr Menschsein abzusprechen. Warum versucht man nicht statt dessen, die Kräfte des Vertrauens, des Miteinander zu stärken? Frage: Vielleicht, weil Feindbilder manchen Politikern ins Konzept passen!? Fricke: Solche Feindbilder werden heute leider wieder geschürt. Früher war es der Kommunist, heute ist es vor allem der Islamist. Man glaubt, indem man eine solche Bedrohung an die Wand malt, könne man die inneren Widersprüche dieser Gesellschaft, die wachsende Ungleichheiten vertuschen. Das ist auch eine Anfrage an uns als Christen, z.B. an Frau Merkel, die ja aus einem Pfarrhaus kommt. Glaubst du wirklich, du kannst dich durch Waffeneinsatz gegenüber anderen Waffen schützen? Das führt doch nur zu einer Eskalation und erneutem Wettrüsten. Eine Welt durch Waffen sicherer machen zu wollen, ist der größte Irrglaube, den man sich überhaupt ausdenken kann. Eine bessere Welt kann man nur durch Vertrauen schaffen, so schwer das ist, aber dieses Wagnis einzugehen, sehe ich als unsere einzige Chance an.
Artikel drucken Fenster schließen |