Begriffsklärung: Biomasse ist sämtliches durch Fotosynthese direkt oder indirekt erzeugtes organisches Material, das nicht über geologische Prozesse verändert und in fossile Energieträger, wie Erdöl, Kohle und Erdgas umgewandelt wurde. Biomasse gilt als regenerative Energie, weil sie in der Theorie dieselbe Menge am Treibhausgas Kohlendioxid freisetzt, die es während seiner Bildung der Atmosphäre entzogen hat. Biomasse kann Holz oder Stroh sein, Mais, Weizen, Zucker, Abfälle der Tierkörperverwertung, Schlachtabfälle, Gülle und Kot, Altfette von Restaurants sowie die aus organischem Material hergestellten Energieträger Biogas, Biodiesel oder Bioethanol. Gegen die Nutzung von landwirtschaftlichen Reststoffen, die bei der Nahrungsmittelproduktion anfallen wie zum Beispiel Stroh; gegen die Nutzung von Schlachtabfällen, oder städtischen und landwirtschaftlichen Abwässern zur Biogas-Erzeugung gibt es aus ökologischer und sozialer Sicht seit Jahrzehnten faktisch keine Einwände. Hier liegt auch das mit größte energetisch und ökologisch sinnvollste Potential der Biomasse. Gleiches gilt für die regionale Nutzung von Holz aus naturnah bewirtschafteten heimischen Wäldern in waldreichen Regionen wie zum Beispiel in Österreich. Treibstoff statt Nahrung Doch diese Form von Biomasse und Biomassenutzung entspricht nicht der Biomasse, für die Bush, Lula oder Fell oder die Konzern- und Weltbankchefs derzeit massiv Stimmung machen und Milliarden von Steuergeldern investieren oder investieren wollen. Sie setzen auf eigens zur Treibstoffherstellung angebaute Pflanzen - vor allem Mais, Zuckerrohr, Soja, Ölpalmen und Rizinus - in vor allem südlichen Regionen, wo nach ihrer Meinung noch viel Platz sei. Einziger Unterschied zwischen grünen Energie-Politikern wie Hans-Josef Fell und George W. Bush oder Lula. Die deutschen Grünen träumen von einem kontrollierten nachhaltigen Anbau in den Tropen, um die Welt mit Bioalkohol oder Biodiesel zu versorgen, während Bush und Lula klar auf Monokulturen und Großgrundbesitz setzen und zudem bereits den Weg zum großflächigen Anbau von Gen-Mais oder anderen genetisch manipulierten Pflanzen zur Ethanol-, Pflanzenöl- und Biodiesel-Erzeugung geebnet haben. Warum diese Form von Biomasse-Nutzung eine Katastrophe für die Menschen und Länder in Lateinamerika, Afrika, Asien oder Melanesien, eine Katastrophe für Bauern, Umwelt, Biodiversität und vor allem für die Bevölkerungen mit geringen Einkommen sind, erklärt - stellvertretend für viele unabhängige Ökologen, Soziologen und Agrarforscher - der Agrarökologe der University of California in Berkeley, Miguel A. Altieri: Mit der gesamten heutigen Mais- und Soja-Ernte der USA könnte lediglich 12 Prozent des Benzin und lediglich 6 Prozent des Dieselverbrauchs gedeckt werden. Allein um den nationalen Erdölverbrauch zu decken, bräuchten die USA eine Mais-Anbaufläche von 1,4 Millionen Quadratmeilen plus 8,8 Millionen Quadratmeilen Soja-Monokulturen - Flächen, die Nordamerika nicht hat und weshalb Bush jüngst in Südamerika auf "Einkaufstour" war. Für den Berkeley-Professor steht es außer Frage, dass die USA ihren "Energie-Hunger" vor allem in den so genannten Entwicklungsländern stillen wollen - was auch die EU vor hat und aktuell geschieht! In den Tropen würden deshalb noch mehr großflächige Monokulturen von Zuckerrohr, Ölpalmen und Sojabohnen die noch bestehenden Primär-Wälder und nachwachsenden Sekundär-Wälder und natürliche Grassteppen in Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Malaysia und anderen Ländern ersetzen, befürchtet Miguel A. Altieri. Bereits heute habe der Soja-Anbau in Südamerika zur großflächigen Zerstörung von Wäldern und Grassteppen geführt: 21 Millionen Hektar in Brasilien, 14 Millionen Hektar in Argentinien, zwei Millionen Hektar in Paraguay und fast eine Million Hektar in Bolivien. Für den Professor liegt es auf der Hand: Die Biotreibstoff-Front bedroht die Nahrungsmittelsouveränität der Entwicklungsländer, da mehr und mehr Fläche zur Treibstoffproduktion für den Norden genutzt werde. Mythos: Biodiesel oder Ethanol sparen Energie und retten das Klima Miguel A. Altieri: Hunderttausende von Kleinbauern wurden bereits durch die Soja-Expansion vertrieben. "Noch viel mehr werden ihr Land unter der 'Biotreibstoff-Stampede' verlieren." Dabei hätten Ökobilanzstudien kaum oder gar keinen Vorteil dieser Biotreibstoffe für das globale Klima gezeigt. Die Herstellung von Mais-Alkohol, so der Professor, benötige bis zu 29 Prozent mehr fossile Treibstoffe und die Produktion von Soja-Biodiesel benötige bis zu 27 Prozent mehr fossile Treibstoffe, als durch ihren Einsatz eingespart werden. Die Gesamtökobilanz von Bioalkohol aus Mais beispielsweise zum Autofahren ist nach Berechnungen des streitbaren kalifornischen Forschers Tadeusz W. Patzek sogar noch schlimmer: 50 Prozent mehr Treibhauseffekt als wenn man Benzin aus Erdöl verwende. So ganz nebenbei haben die industriellen Monokulturen weitere negative "Nebeneffekte" wie im Falle von Mais Verseuchung von Gewässern mit Atrazin und im Falle von Soja Umweltbelastung mit dem Herbizid Roundup, massive Bodenerosion und bei Expansion des Anbaus in Trockenzonen ein hoher Bedarf an knappem Wasser zur Bewässerung, was genauso für Zuckerrohr gilt. Lulas beschlossene über zwei Milliarden Euro verschlingende Teilumleitung von Brasiliens größtem im Land entspringenden Fluss, dem Rio São Francisco, auf die Brasiliens Großgrundbesitzer und Ethanolbarone seit Jahren drängen, findet hier seine reelle Begründung. Die globalen, ökologischen Folgen von genmanipulierten Pflanzen zur Treibstoffherstellung könnten, nach Meinung Miguel A. Altieris, noch erheblich gravierender sein, als bei genetisch manipulierten Pflanzen zur Nahrungsmittelherstellung, weil in diesem Falle die strengeren Gesetzgebungen für das in Verkehr bringen von "neuen" Nahrungsmitteln nicht greifen. Fazit des Agrarökologen: "Die Biotreibstoff-Monokulturen werden aufgrund ihres Ge- und Verbrauchs von Land, Agrochemikalien und landwirtschaftlichen Fahrzeugen die CO2-Emission noch erhöhen und nicht verringern." Der einzige Weg, die Globale Erwärmung zu stoppen, sei die Förderung der kleinräumigen ökologischen Landwirtschaft (zur Nahrungsmittelproduktion) bei gleichzeitiger Verringerung des Verbrauchs aller Treibstoffe und dem Ausbau der Öffentlichen Verkehrsmittel. Während eines jüngsten Seminars für Agroökologie in Argentinien, in La Ciudad de La Plata, sagte der aus Chile stammende Berkeley-Forscher in einem Interview deutlich: "Die Biotreibstoffe sind eine ökologische und soziale Tragödie" und eine neue Form des Kolonialismus, sind "ökologischer Imperialismus". Weitere Informationen: Tadeusz W. Patzek, Departement of Civil and Environmental Engineering 425 Davis Hall, Berkeley, CA 94720 Email: patzek@patzek.berkeley.edu petroleum.berkeley.edu/patzek/BiofuelQA/Materials/QAarchive2007.htm Professor Miguel A. Altieri Division of Organisms & Environment 215 Mulford Hall 642-9802 Email: agroeco3@nature.berkeley.edu www.agroeco.org www.agroeco.org/brasil Rettet den Regenwald: www.regenwald.org GRR Argentina: www.grr.org.ar Biofuelwatch: www.biofuelwatch.org.uk Offener Brief an die EU, die Zielvorgaben für Biokraftstoffe in Europa fallen zu lassen! Diese Maßnahme durchzuführen hieße, dass die EU ihre internationalen Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und zum Schutz von Biodiversität und Menschenrechten verletzte. Denn wie unten ausgeführt werden die vorgeschlagenen Zielvorgaben unter anderem den Anbau von Pflanzen mit schlechter Treibhausgasbilanz fördern und Entwaldung sowie Verlust von Biodiversität anheizen und lokale Landnutzungskonflikte verschärfen. Biokraftstoff-Zielvorgaben ohne eine deutlich stärkere Verpflichtung, den Verbrauch zu reduzieren, sind kontraproduktiv. Jedes Ziel hinsichtlich Energie muss, so denken wir, daher zuallererst auf eine Reduzierung des gesamten Energieverbrauchs und auf eine Verbesserung der Effizienz bei der Energienutzung gerichtet sein... Die Tatsache, dass das "Energie-Paket" der EU-Kommission nur Zielvorgaben für Biokraftstoffe im Transportsektor, nicht aber für andere alternative Energien vorschlägt, ist ein Hinweis auf einen sehr fehlerhaften Politikansatz, die Emissionen von Treibhausgasen anzugehen. Die EU schlägt vor, dass ein Großteil der Biokraftstoffpflanzen in den Ländern des Südens produziert werden muss und nach Europa exportiert wird. Obwohl dies als eine Gelegenheit für die Ökonomien des Südens dargestellt wird, legen Fakten nahe, dass Monokulturpflanzen für Biokraftstoffe wie Ölpalmen, Soja, Zuckerrohr und Mais zu einer zunehmenden Zerstörung von Biodiversität und ländlichen Lebensgrundlagen sowie zu einer weiteren Unterminierung der Nahrungssicherheit führen werden, mit weitreichenden Auswirkungen auf Wasser, Boden, und regionale Klimastrukturen. Biokraftstoff ist wohl die am wenigsten wünschenswerte alternative Energieform.. Schwere Menschenrechtsverletzungen sind von Zuckerrohr-, Palmöl- und Sojaplantagen in Brasilien, Paraguay, Kolumbien, und Südostasien berichtet worden. Diese umfassen Sklaverei, sehr schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne, gewaltsame Landkonflikte, Tod und Gesundheitskrisen bedingt durch den Gebrauch von Agrochemikalien sowie durch Entwaldung... Dieser Brief wurde bereits von über 200 Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen aus Lateinamerika, Europa und Asien unterschrieben. www.biofuelwatch.org.uk www.biofuelwatch.org.uk/2007Jan31-openletterbiofuels-german.pdf
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