Die Biofach in Nürnberg wartete auch 2006 wieder mit Rekorden auf. Auf fast 36.000 Quadratmeter Fläche präsentierten sich 2.078 Aussteller aus 73 Ländern. Zwei Prozent mehr Aussteller und 7 Prozent mehr Ausstellungsfläche als im Vorjahr. Der Bio-Handel in Deutschland legte im vergangenen Jahr sogar um rund 15 Prozent auf vier Milliarden Euro zu. Wachstumsgewinner sind die Supermärkte, Verlierer die Bio-Tante-Emma-Läden. Wie schon im Vorjahr zu sehen geht der Trend hin zu industrialisierten Bioprodukten, die die Convenience Produkte der konventionellen Nahrungsmittelhersteller nachahmen. Und damit dieser Trend weitergeht, forderte in einem Fachvortrag während der Biofach ein so genannter Zukunftsforscher die Biobranche geradezu auf, verstärkt auf diese industriealisierten und standardisierten Fertigprodukte zu setzen. Diese "Fünf-Minuten-Terrinen" in Bio-Qualität seien die große Chance der Öko-Unternehmen auch künftig zu wachsen und neue Käuferschichten zu erschließen. Denn immer mehr Menschen hätten im Alltag immer weniger Zeit und Lust, um in der Küche zu stehen und irgendwelche Speisen zuzubereiten. Aber sind diese vorgefertigten und eine Verpackung benötigenden Lebensmittel wirklich der richtige und einzige Weg hin zu einem gesunden, ökologischen Leben, das so ressourcenschonend und nachhaltig ist, dass auch die kommenden Generationen mindestens dieselben Lebenschancen haben, wie wir? Oder führen solche, von der konventionellen Industrie beeinflusste Zukunftsforscher und die neue Klasse, der nur auf Gewinn ausgerichteten Bio-Manager, die Bio-Bewegung nicht in Wirklichkeit aufs Glatteis, sprich auf eine schiefe Bahn bestimmt durch "schnelles Wachstum" und "schnelles Geld", die schließlich in den Abgrund und zum faktischen Ende der vor rund 30 Jahren gestarteten Biobewegung führt? Convenience Produkte reden nicht nur einem Energie verschwenden Lebensstil ohne Bezug zum echten Wert der Lebensmittel das Wort. Vorgefertigte Lebensmittel sind auch ideale Produkte zur Vermarktung durch große Nahrungsmittelkonzerne und Supermarktketten wie Nestlé, Metro, Rewe, Walmart und Co., die so ihre Wettbewerbsvorteile noch besser nutzen können und kleinere (Bio-)Unternehmen noch stärker unter Druck setzen und zum Aufgeben zwingen können. Globalisierung wird verstärkt Und was bedeutet es für die Öko-Bauern, wenn immer mehr Bio-Gemüse, Bio-Fleisch, Bio-Milch in industrialisierter Form von wenigen, ein Monopol anstrebenden und nur auf Profit ausgerichteten Konzernen vermarktet werden. Haben die Bio-Markt- und Zukunftsforscher auch darüber nachgedacht? Führt nicht die Konzenteration auf Convenience Produkte zu Preisdumping, zu erhöhtem Preisdruck auf die Bio-Bauern und damit zur "Marktbereinigung", sprich zur Aufgabe von bäuerlichen Strukturen bei uns genauso wie in allen anderen Ländern hin zu einer landwirtschaftlichen Produktion, die zwar minimalen Bioanbaukriterien entspricht, aber keinesfalls mehr etwas mit sozialen Arbeitsbedingungen, fairen Löhnen und Ökologie zu tun hat? Schon die vorhandenen Bio-Convenience Produkte sind doch bereits heute globalisierte Produkte, hergestellt aus den Billigstangeboten des Bio-Weltmarkts. Ein Blick über den Zaun und über das romantisierte Bild eines einheimischen Bio-Bauern auf der Alpe oder Lüneburger Heide hinweg verschafft Klarheit über die Auswirkungen dieses Trends. Weil immer größere, finanzstärkere Unternehmen im Bio-Monopoly mitspielen, wird nämlich beispielsweise der konventionelle Wahnsinn der Tropenwaldabholzung und der Vertreibung traditioneller Bevölkerungsgruppen von ihren angestammten Gebieten nun eben für Bio-Palmölplantagen in Südostasien oder Bio-Soja-Monokulturen in Lateinamerika fortgesetzt. Dabei spielt es faktisch nur eine marginale Rolle, ob die Abholzung zunächst für den Aufbau einer konventionellen Plantage erfolgte, die dann teilweise in eine Bioplantage umgewandelt wurde. In den betroffenen Regionen hat jegliche für den Export angelegte Ölpalmplantage oder Soja-Monokultur nichts zu suchen. Das Argument, die Menschen in den so genannten Entwicklungsländern müssten ja irgendetwas exportieren, um zu überleben, zieht nicht, denn es sind gerade diese auf Export und Deviseneinnahmen ausgerichteten Entwicklungsmodelle, die dazu führen, dass immer mehr Gebiete in die Hände oder Abhängigkeit weniger Großgrundbesitzer und Unternehmen gelangt, während immer mehr Menschen in Asien, Afrika oder Lateinamerika nicht mehr ihre Nahrungsmittel selbst anbauen, sondern nur noch im Supermarkt - importiert aus anderen Regionen - kaufen können. Dank solcher Entwicklungsmodelle sind beispielsweise "deutsche" Knorr-Tütensuppen seit Jahren ein globaler Verkaufsschlager. Convenience Produkte sind zwar zunächst einmal eine Frage des persönlichen Geschmacks, der aber in zweiter Linie auch uns alle angeht. Denn ihre zunehmende Verwendung bedroht ebenso traditionelle, für künftige Generationen eines Tages vielleicht bitter notwendige Werte. Es ist eben etwas anderes, frischen Spinat von einem Bio-Bauern am Bauernmarkt zu kaufen, und Zuhause in der Küche zu waschen, zu schneiden und nach einem eigenen oder Familienrezept zuzubereiten, als eine tiefgefrorene Pampe aus Bio-Spinat in der Mikrowelle aufzuwärmen. Kochen ist nämlich nicht nur das notwendige Zubereiten eines den Körper ankurbelnden Treibstoffs, sondern ein Stück Kultur, Identität. Kochen, richtig Kochen ist ein von Generation zu Generation weitergegebenes und weiterentwickeltes, traditionelles Wissen über Lebensmittel - ein Wissen, dass notwendig ist, zur Erhaltung der Biodiversität unserer Landwirtschaft und Landschaft, und das eben durch das Fortschreiten der Convenience Produkte zunehmend verloren geht. Standardisiertes, auf Einheitsgeschmack getrimmtes Fertigessen - und das gilt für bio- wie für konventionelle Produkte - führen im Rückschluss auch zu Einfalt und einem Verlust an Vielfalt in der landwirtschaftlichen Produktion und unserer Kulturlandschaft, weil beispielsweise bestimmte, für die industrielle Verarbeitung ungeeignete aber ansonsten schmackhafte, gesunde Obst- oder Gemüsevarianten einfach zugunsten von Standardsorten nicht mehr angebaut werden. Gute und schlechte Fertigprodukte Mag sein, dass unsere gegenwärtige Gesellschaft Convenience Produkte benötigt, und warum soll nicht auch die Biobranche davon profitieren? Convenience Produkte aus biologischen Zutaten hergestellt sind schließlich ökologischer und in der Regel auch geschmacklich besser und enthalten weniger schädliche Stoffe - wie Konservierungsmittel, künstliche Aromen, Geschmacksverstärker, Farbstoffe - als ihre konventionellen Konkurrenten. Doch die "Bio-Tüten-Suppe", die "Bio-Tiefkühlpizza" oder die "Bio-Gemüsepfanne" für die Mikrowelle erhöhen eben die Gefahr, dass die Biobranche nicht mehr eine Bewegung für ein verantwortungsbewussteres, genussreiches und die Ökologie berücksichtigendes Leben ist, sondern lediglich eine mehr oder weniger große, von wenigen Unternehmen kontrollierte Marktnische zur Abschöpfung der Einkommen bestimmter, gehobener Käuferschichten. Mein Fazit: Wenn es schon Bio-Convenience Produkte sein müssen, dann bitte regional hergestellt aus regionalen und nicht aus aller Welt zusammengekauften Rohstoffen, bei denen nur der Preis zählt. "Der Mensch ist, was er isst!" Ich möchte keine in Alufolie eingeschweißte "Fünf-Minuten-Terrine" sein, egal ob aus biologischen noch aus Pestizid-Karotten hergestellt. Norbert Suchanek "Grundsätzlich sollte Essen mehr als das Stillen von Hunger sein. Essen sollte eine Angelegenheit für alle Sinnesorgane sein, eben ein sinnliches Vergnügen: sehen, sich an den Farben von Speisen erfreuen; hören, wenn Speisen in der Pfanne brutzeln oder im Topf köcheln; riechen, wenn der Duft aus der Komposition von Lebensmitteln, Gewürzen und anderen Zutaten entsteigt,..." Karl Ludwig Schweisfurth "Die entscheidende Voraussetzung für eine Wende zu einer umweltgerechten Agrar- und Lebensmittelproduktion ist eine Veränderung unserer Lebens- und Konsumstile. Hier muss ein Wertewandel stattfinden", sagt der Spitzenkoch und Eurotoques-Chef Ernst-Ulrich Schassberger, der Convenience Produkte konsequent ablehnt. "Denn Lebensmittel haben mit `Leben´ zu tun, sie sind keine beliebig austauschbaren Massenprodukte."
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