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Politik & Gesellschaft   
Interview mit Dr. Franz Alt:
"Kilowattstunden statt Menschen entlassen"

"Umweltschutz wird der Arbeitsplatz-Knüller des 21. Jahrhunderts sein": Über ein ökologisches Wirtschaftswunder sowie die Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze sprach Raphael Mankau mit dem bekannten Ökologen und Bestseller-Autor Dr. Franz Alt.

Mankau: Sie propagieren seit vielen Jahren ein "ökologisches Wirtschaftswunder". Welche Vision verbinden Sie damit?

Dr. Alt: Ein ökologisches Wirtschaftswunder ist die humanste Vision für das 21. Jahrhundert. Ordnungspolitisch heißt das: So wie vor 60 Jahren Ludwig Erhard das erfolgreiche Modell der Sozialen Marktwirtschaft realisierte, können wir heute eine Öko-Soziale Marktwirtschaft aufbauen. Das heißt: eine Marktwirtschaft mit sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen - wie zum Beispiel einer Ökosteuer einschließlich einer Steuer auf Flugbenzin und Schiffssprit.

Warum brauchen wir eine Öko- oder besser eine Energiesteuer? Die Energie hat uns in den letzten 150 Jahren viele Arbeitsplätze ersetzt. Energie wurde immer billiger - Arbeit immer teurer. Deshalb verbrauchen Unternehmen immer mehr Energie und entlassen Menschen. Die Lohnnebenkosten sind heute in Deutschland so hoch, dass es sich für Unternehmen nicht rechnet, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und Energie ist so billig, dass sie menschliche Arbeitskraft immer mehr ersetzt.


Dieses System müssen wir wieder vermenschlichen: Arbeit muss billiger und Energie teurer werden. Dann - und nur dann - sind wir wieder auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Ein einfaches Beispiel: Wenn Sie mit einem Mittelklassewagen 100 Kilometer in einer Stunde fahren, zahlen Sie etwa 7 Euro für den Sprit. Wenn Sie aber Ihr Auto von vier Hilfsarbeitern 100 Kilometer schieben lassen und Sie fünf Tage unterwegs sind, zahlen Sie mindestens 700 Euro Lohnkosten. Natürlich zahlen Sie lieber 7 Euro für eine Stunde Fahrt als 700 Euro dafür, dass Sie fünf Tage geschoben werden.

Die logische Folge: Wenn Energie Arbeitsplätze ersetzt, dann sind immer mehr Menschen ohne Arbeit. Und entsprechend verhält sich jeder Unternehmer - er kann gar nicht anders. Nur mit höheren Energiesteuern und weniger Arbeitskosten lässt sich dieses System wieder umkehren: In Richtung zu mehr Arbeitskräften und weniger Energieverbrauch. Das wäre gut für die Umwelt und für viele neue Arbeitsplätze.

Natürlich soll und wird niemand sein Auto schieben lassen. Aber es kommt auf eine andere "Dosierung" der Steuerlast an. Höhere Energiepreise machen für jeden Unternehmer Arbeit wieder interessanter, wenn zugleich Lohnnebenkosten billiger werden. Und Deutschland hat die höchsten Lohnnebenkosten der Welt. Das ist ein wesentlicher Teil unseres Problems.

Der Staat bezieht 65 % seines Einkommens über Arbeit - das muss zu Massenarbeitslosigkeit führen, weil die Arbeit zu teuer wird, aber er bezieht nur 5 % seines Einkommens aus Energiesteuern. Ein absolutes Missverhältnis - das zu Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung führen muss. Arbeits- und Energiesteuern müssen in eine neue Balance.

Die heutige Steuerpolitik führt zu einer massenhaften Vertreibung der Menschen aus Arbeitsplätzen. Mit dem heutigen Steuersystem bekommen wir schon mittelfristig eher 10 Millionen Arbeitslose als je wieder Vollbeschäftigung.


Mankau: Müssen wir uns mit Massen-Arbeitslosigkeit als Konsequenz aus Technisierung und Automatisierung begnügen oder sehen Sie die Chance für eine wie auch immer geartete Vollbeschäftigung?

Dr. Alt: Die oft gehörte Behauptung "Vollbeschäftigung ist in Zeiten von Computern und Rationalisierung nie mehr möglich" ist eine politische, moralische und soziale Bankrotterklärung. Die alten Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit reichen nicht mehr aus.

- Am Beginn der 1970-er Jahre hatten wir in Deutschland eine Arbeitslosenquote von etwa 1 %.
- Anfang der achtziger Jahre stieg diese Zahl auf circa 3 %;
- 1990 gab es 5,5 % Arbeitslose,
- 1998 10 % und
- 2005 11 %.

Diese dramatische Entwicklung zeigt, dass die herrschende Ökonomie und die Politik keine Instrumente mehr haben, um die Massenarbeitslosigkeit dauerhaft zu verringern. Im Frühjahr 1996 hatten die Bundesregierung und die Tarifparteien verkündet, sie wollten die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 halbieren. Doch schon wenige Monate danach gab Kanzler Kohl dieses schöne Ziel wieder auf. Ein Offenbarungseid!

Als Gerhard Schröder 1998 Bundeskanzler wurde, verkündete er leichtsinnigerweise: Messt mich bei der nächsten Wahl am Abbau der Arbeitslosigkeit! Das Ergebnis ist bekannt!

Die Soziale Marktwirtschaft war in den ersten vier Jahrzehnten der Bundesrepublik die ordnungspolitische Voraussetzung für das "deutsche Wirtschaftswunder". Jetzt aber - in den Zeiten des Verfalls sozialer und ethischer Bindungen mit dramatisch zunehmender Armut im immer reicher werdenden Deutschland -, jetzt aber gleiten wir in einen Kapitalismus ohne Arbeit. Das offensichtlichste Symptom dieser Entwicklung: Die Aktien steigen, und die Zahl der Arbeitslosen steigt auch. Die Zahl der Millionäre steigt und die Zahl der Armen auch. Die Zahl der Sonntagsreden zum Thema Umweltschutz steigt und das Ausmaß der Umweltverschmutzung und Klimazerstörung auch.

Das Fehlen von Perspektiven und Visionen innerhalb der großen Parteien gefährdet allmählich auch die Demokratie in Deutschland.

Wir müssen pro Kopf weniger arbeiten und ökologisch produzieren lernen, dann entstehen Millionen neue Arbeitsplätze.


Mankau: In welchen Branchen werden im Rahmen eines "ökologischen Wirtschaftswunders" zukunftsfähige Arbeitsplätze neu entstehen?

Dr. Alt: Als Beispiele nenne ich:

- Durch die solare Energiewende könnten in Deutschland langfristig mehr als eine Million zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, hat die Europäische Union in einem Energie-Szenario von fünf wissenschaftlichen Instituten errechnen lassen.

- Durch eine ökologische Verkehrswende, die diesen Namen wirklich verdient - das heißt etwa eine Vervierfachung des öffentlichen Verkehrs in den nächsten 20 Jahren -, könnten eine weitere Million Arbeitsplätze geschaffen werden. Hauptsächlich im Baugewerbe und im Verkehrs-Service-Bereich. Die Autokonzerne könnten Schienen, Busse, Straßenbahnen, U- und S-Bahnen, Regionalverkehrssysteme und moderne Züge produzieren, hat Professor Heiner Monheim von der Universität Trier vorgeschlagen. Der Mann hat in mehreren Bundesländern über 25 Jahre Erfahrung als Verkehrsplaner und Berater von Regierungen.

- Wenn wir lernen, unsere Altbauten besser zu dämmen und weniger Energie zu verbrauchen, könnten nach einer Berechnung des Berliner Bauministeriums bis zu einer halben Million neue Arbeitsplätze geschaffen werden, wir hätten riesige Umweltvorteile und würden durch weniger Energieverbräuche viel Geld einsparen.

- Eine konsequente ökologische Agrarwende bis 2030 könnte zu 200.000 neuen Arbeitsplätzen in einer zukunftsfähigen Landwirtschaft führen. Landwirtschaft der Zukunft heißt: weniger Chemie und Pestizide, aber mehr Handarbeit. Das wäre gut für die Umwelt und Wasserqualität, gut für unsere Gesundheit und hätte positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum.

- Professor Bernd Meyer hat an der Universität Osnabrück errechnet, dass durch eine ökologische Steuerreform (Lohnnebenkosten senken, Energiepreise erhöhen) über eineinhalb Millionen neue Arbeitsplätze in etwa 15 Jahren entstehen könnten. Schweden, Japan, Dänemark und zum Teil auch England gehen diesen Weg. Sie haben alle weit weniger Arbeitslose als Deutschland.

In meinen Büchern "Das ökologische Wirtschaftswunder - Arbeit und Wohlstand für alle" und "Eine bessere Welt ist möglich - Ein Marshallplan für Arbeit, Entwicklung und Freiheit" habe ich viele weitere Beispiele aufgezeigt. Unternehmer können lernen, Kilowattstunden zu entlassen statt Menschen.

Mankau: Sehen Sie bereits heute ernsthafte und wegweisende Anzeichen für einen "Jobmotor Ökologie"?

Dr. Alt: Wie erfolgreich die Ökologisierung der Wirtschaft sein kann, zeigt schon der bisherige Weg der Bundesrepublik: 2005 arbeiten im Bereich der Umwelttechnologien bereits doppelt so viele Menschen wie bei der Produktion von Autos und weit mehr als im Maschinenbau oder in der herkömmlichen Bauwirtschaft. Die ersten Schritte zu einer Ökosteuer unter Rot-Grün haben bereits zu 250.000 Arbeitsplätzen geführt. Der Beweis, dass Umweltschutz kein Arbeitsplatz-Killer, sondern der Arbeitsplatz-Knüller des 21. Jahrhunderts sein wird, ist längst erbracht. Bei erneuerbaren Energien sind in den letzten Jahren insgesamt 150.000 neue Jobs entstanden. Das ist erst der Anfang.

Mankau: Nennen Sie bitte zwei oder drei ganz konkrete Beispiele, die für Sie eine gelungene Versöhnung von Ökologie und Ökonomie darstellen.

Dr. Alt: Der Solar-Architekt Rolf Disch baut in Freiburg die ersten Solarenergie-Plus-Häuser. Die Häuser produzieren dreimal so viel Strom, wie in ihnen verbraucht wird. Auf der Basis des erneuerbaren Energiengesetzes bekommen die Bewohner jeden Monat einen Scheck zwischen 150 und 400 Euro.

Oder: Japanische Baufirmen verkaufen Jahr für Jahr Zehntausende von Null-Energie-Kosten-Häusern. Das sind Häuser, die sich energetisch zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen. Da Sonne und Wind bekanntlich keine Rechnung schicken und die alte Energie immer teurer wird, sparen diese Häuser ihren Bewohnern viel Geld und schonen die Umwelt.

Oder: Wer öffentliche Verkehrsmittel benutzt, spart im Vergleich zum Auto 75 Prozent der Energie ein und zahlt für seine Mobilität etwa 50 Prozent weniger.

Oder: Wer mit Pellets heizt statt mit Öl, schützt die Umwelt und spart schon heute die Hälfte der Heizkosten.

Mankau: Wie ödp und Familien-Partei plädieren auch Sie für eine Aufwertung der Familienarbeit. Warum?

Dr. Alt: Familienarbeit wird immer wichtiger. Sie hilft hauptsächlich den Kindern. Kinder sind heute in Deutschland das Armutsrisiko Nummer eins - ähnlich wie zum Beispiel auch in Japan. Arbeit für Kinder und Familien wird in den beiden genannten Ländern auf Grund überholter Vorstellungen von Familien-Arbeit nicht anerkannt, sondern bestraft.
Ein Erziehungsgehalt könnte zu einem gerechten Ausgleich für Kindererziehung führen. Das ödp-Modell für ein Erziehungsgeld halte ich für richtig und finanzierbar. Erziehungsarbeit sollte der Erwerbsarbeit gleichgestellt werden. Kinderarmut ist der deutlichste Hinweis auf Hoffnungslosigkeit in einer reichen Gesellschaft. Ein Familiengehalt führt natürlich zu reduzierten Arbeitslosenzahlen.

Mankau: Welche prioritären Aufgaben möchten Sie - mit Blick auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung - der neuen Bundesregierung ins Stammbuch schreiben?

Dr. Alt: Nachhaltigkeit hat ökologische, ökonomische, soziale und ethische Dimensionen. Deshalb:

* Staatsverschuldung stark reduzieren durch Streichen der Pendlerpauschale, Eigenheimzulage und Kohlesubventionen;
* Wirtschaft ökologisieren wie oben aufgezeigt. Prioritäten: Energiewende, Verkehrswende, Bauwende, Ökolandwirtschaft, Lohnnebenkosten senken, Energie verteuern. Das geht aufkommensneutral - also ohne zusätzliche steuerliche Belastungen;
* Schritte zu einer öko-sozialen Marktwirtschaft mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Ökologie ist kein Job-Killer, sondern der Job-Knüller des 21. Jahrhunderts.

Die Ökologie wird die intelligentere Ökonomie werden. Die Vorteile sind heute schon sichtbar. Die Ewiggestrigen wollen sie nur nicht sehen. Deshalb brauchen wir in unserem Parteiensystem Pioniere einer besseren Welt wie die ödp und die Grünen.

Copyright: Franz Alt
Fotos: Bigi Alt (3), Axel Thomae (1)

Empfehlungen:
- Sonnenseite von Franz Alt
- Buch "Wodurch sind wir in die ökologische Bedrohung gekommen?"
- Buch "Konjunktur durch Natur"
- Buch "Nachhaltige Lebensfreude"
 
Quelle: Redaktions- und Verlagsbüro R. Mankau, D-82413 Murnau a. Staffelsee
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