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Umwelt & Naturschutz   
Armutsbekämpfung: Halbe Rechnungen gehen nicht auf
Ohne eine aktive Umweltpolitik können die Millenniumsziele nicht erreicht werden
Ressourcenausbeutung, verunreinigtes Trinkwasser und die Verschlechterung der Böden sind globale Umweltprobleme, die sich direkt auf das (Über-)Leben von Milliarden Menschen in Entwicklungsländern auswirken. Wer die Armut bekämpfen will, muss die Umwelt schützen und umgekehrt. Entwicklungs- und Umweltpolitik sind untrennbar miteinander verknüpft. Diese Einsicht taucht in der Strategie des Sachs-Berichts zur Umsetzung der Millenniumsziele aber kaum auf.

Armutsbekämpfung und Umweltschutz zählen zu den größten Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Ein herausragendes Ziel muss sein, die gewaltigen Ungleichheiten bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen und bei der Verteilung von Wohlstand zu verringern. Mit den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) stellt sich die internationale Gemeinschaft dieser Herkulesaufgabe. Im Zentrum stehen das Versprechen und die Herausforderung, die absolute Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren.

Perspektiven schaffen

Wie würde die Welt im Jahr 2015 aussehen, wenn alle MDGs tatsächlich erreicht würden? Mehr als 500 Millionen Menschen hätten das Stadium der extremen Armut überwunden, das durch Hunger, unwürdige Lebensbedingungen, eine Lebenserwartung von oft unter 50 Jahren und völlige Perspektivlosigkeit gekennzeichnet ist. 350 Millionen Menschen wären erstmals mit sauberem Trinkwasser und 650 Millionen Menschen mit Basisgesundheits- und Sanitäreinrichtungen versorgt. Die Ausrichtung der internationalen Entwicklungspolitik an den MDGs erfordert außerordentliche Anstrengungen zur Verbesserung menschlicher Entwicklung und Sicherheit in den ärmsten Ländern der Welt.

Umweltpolitik integrieren

Im September 2005 werden Staats- und Regierungschefs zu Beginn der 60. UN-Generalversammlung in New York überprüfen, ob und in welchen Ländern und Regionen dieser Welt die MDGs erreicht werden. Zur Diskussion steht auch, ob die Entwicklungsländer und die internationale Entwicklungspolitik geeignete Strategien zur Umsetzung der MDGs verfolgen. Die Neuausrichtung der internationalen Entwicklungspolitik an den MDGs ist ein bemerkenswerter Fortschritt gegenüber der Dominanz der Strukturanpassungsprogramme der 1980er und 1990er Jahre, die zwar in einigen Entwicklungsländern zu einer Stärkung der Marktkräfte und dem Abbau entwicklungsblockierender staatlicher Strukturen beitrugen, die Armut aber meist nicht nachhaltig reduzieren konnten. Zu Recht stehen nun jene Wirtschafts- und Entwicklungspolitiken im Zentrum, die nicht nur Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch eine deutliche Armutsminderung anstreben (Pro-poor-growth-Strategien). Das UN-Millenniumsprojekt, geleitet von Jeffrey Sachs, hat im Februar 2005 den Bericht "Investing in Development. A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals" vorgelegt, in dem wichtige Anregungen in diese Richtung formuliert werden. Dieser Bericht wird das entwicklungspolitische Grundsatzdokument des Millennium+5-Gipfels darstellen. Der WBGU teilt viele Empfehlungen des Reports, weist aber darauf hin, dass in der Sachs-Strategie zur Erreichung der MDGs die systemischen Wechselwirkungen zwischen Armutsbekämpfung und Umweltveränderungen zu wenig berücksichtigt werden. Ausgehend vom "Primat der Armutsbekämpfung" wird Umweltpolitik zu einem Problemfeld an der Peripherie der MDG-Strategie.

Entwicklungsländer besonders betroffen

Der WBGU betont, dass globale Umweltpolitik kein Randthema der MDG-Strategie sein darf, sondern in deren Zentrum gehört. Wenn den globalen Umweltveränderungen nicht entgegengesteuert wird, werden sie in Zukunft in noch größerem Umfang existenzbedrohende Auswirkungen haben. Während die Verursacher globaler Umweltprobleme, beispielsweise des Klimawandels, vor allem in den Industrieländern zu finden sind, leben die Betroffenen überwiegend in den Entwicklungsländern. Bereits heute ist Umweltdegradation ein signifikantes Hindernis für das Erreichen der MDGs. Deshalb gilt es, sich im Rahmen des Millennium+5-Gipfels auf die Einsicht des Erdgipfels von Rio zu besinnen: Umwelt- und Entwicklungspolitik gehören untrennbar zusammen (Rio-Vision). Globale anthropogene Umweltveränderungen können den Charakter des Systems Erde erheblich und zum Teil irreversibel verändern. Sie beeinflussen die natürlichen Lebensgrundlagen eines Großteils der Menschheit und verschärfen weltweite Armut. Von den Folgen dieses Umweltwandels sind Entwicklungsländer bereits heute besonders betroffen:

Klimawandel: Die Landwirtschaft, die große wirtschaftliche Bedeutung für Entwicklungsländer hat, ist gegenüber klimatischen Änderungen besonders anfällig. Die landwirtschaftlichen Erträge werden in Entwicklungsländern früher abnehmen als in Industrieländern, was die Ernährungssicherheit weiter gefährdet und zu größerer Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten führt. Auch die Ausbreitung bestimmter Infektionskrankheiten kann vom Klimawandel begünstigt werden.

Wassermangel und -verschmutzung: Schon heute steht mehr als einer Milliarde Menschen, meist in Entwicklungsländern, nicht genügend Trinkwasser zur Verfügung. Bis 2050 wird bereits jeder Vierte in einem Land leben, in dem chronische Wasserknappheit herrscht. Ausreichender Zugang zu Wasser ist eine Grundvoraussetzung zur Sicherung der Lebensgrundlagen. Wassermangel kann für Subsistenzbauern drastische Ernteeinbußen bedeuten, was ihre Ernährungsgrundlagen gefährdet. Zudem ist verunreinigtes Trinkwasser in armen Ländern eine Hauptursache für Krankheiten und Todesfälle.

Bodendegradation: Die Bodendegradation bedroht in Entwicklungsländern unmittelbar die Nahrungsproduktion. Die verfügbaren Kulturflächen schrumpfen, Mangel- und Fehlernährung und damit auch Erkrankungsrisiken nehmen zu. Besonders Trockengebiete sind betroffen. Über 250 Millionen Menschen haben heute schon direkt unter der Desertifikation zu leiden und zusätzlich gelten etwa eine Milliarde Menschen in über 100 Ländern als gefährdet. Durch das Bevölkerungswachstum wird sich die Lage weiter verschärfen, weil die verfügbare Pro-Kopf-Agrarfläche abnimmt.

Verlust biologischer Vielfalt und Ressourcen: Für ländliche Lebensgemeinschaften in Entwicklungsländern sind Ökosysteme Supermarkt, Baumarkt, Drogerie und Apotheke in einem. Zum Beispiel sind dort 80 Prozent der Bevölkerung auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel angewiesen. Die menschlichen Eingriffe in die Biosphäre führen zum Rückgang der biologischen Vielfalt. Durch Aufgabe traditioneller Wirtschaftsweisen und Intensivierung der Landwirtschaft gehen zudem viele traditionelle Nutzpflanzen verloren, was die genetische Basis für die Weiterzüchtung von Pflanzensorten schmälert und somit mittelbare Risiken für die Ernährungssicherheit birgt. Außerdem führt dieser Wandel häufig zur Übernutzung biologischer Ressourcen, was wiederum Armut verstärken und weitere Umweltzerstörung auslösen kann.

Menschen in absoluter Armut besonders verwundbar: Menschen in absoluter Armut sind in ihrem täglichen Überlebenskampf unmittelbar auf natürliche Ressourcen und funktionierende Ökosysteme angewiesen. Arme sind gegenüber Umweltveränderungen besonders empfindlich, weil sie existenziellen Risiken stärker ausgesetzt sind, häufig von Landwirtschaft leben und kaum über ausreichende Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeiten verfügen. So können zum Beispiel Starkniederschläge, Starkwinde oder Dürren nicht nur die Ernte zerstören, sondern auch zu Obdachlosigkeit oder Tod führen. Menschen in Entwicklungsländern sind gegenüber zunehmenden Wetterextremen besonders verwundbar. Beispielsweise kamen 1998 in Mittelamerika durch den Hurrikan "Mitch" mehr als 9 000 Menschen ums Leben, während 1992 in den USA der Hurrikan "Andrew" bei vergleichbarer Stärke 62 Todesopfer forderte.

Primärökosysteme schützen

Ohne aktive Umweltpolitik sind also die Erreichung der MDGs und eine nachhaltige Entwicklung nicht möglich. Ohne Entwicklungspolitik kann die globale Umwelt nicht geschützt werden. Umgekehrt kommt ohne wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer auch der Umweltschutz zu kurz. Die Mehrheit der Armen in den Entwicklungsländern lebt oft direkt von der natürlichen Umwelt, zum Beispiel durch Ackerbau und Viehzucht, und ist für die Sicherung des Überlebens in vielen Fällen zur Übernutzung natürlicher Ressourcen gezwungen. Raubbau führt vor allem in den Tropen schneller als in Mitteleuropa zur irreversiblen Zerstörung der natürlichen Umwelt. Viele der noch verbliebenen intakten Primärökosysteme befinden sich in Entwicklungsländern und ein Teil dieser Länder durchlebt eine dynamische Wachstumsphase, verbunden mit einer starken Zunahme des Ressourcenverbrauchs. Dies erhöht den Druck auf die letzten Urwälder und die biologische Vielfalt und bedeutet auch eine starke Zunahme von Treibhausgasemissionen.

Weltweit kooperieren

Um unter diesen Bedingungen globale Umweltziele erreichen zu können, sind die Industrieländer im eigenen Interesse auf eine enge Kooperation mit den Entwicklungsländern angewiesen. Diese kämpfen mit großen ökonomischen und sozialen Problemen und können nur als Partner im globalen Umweltschutz gewonnen werden, wenn dies durch die Entwicklungspolitik unterstützt wird. Der WBGU empfiehlt daher der Bundesregierung, sich auf dem Millennium +5-Gipfel dafür zu einzusetzen, Armutsbekämpfung systematisch mit Umweltschutz zu verknüpfen.

Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und seit 2004 Mitglied des WBGU.

Download der WBGU-Studie "Keine Entwicklung ohne Umweltschutz: Empfehlungen zum Millenium+Gipfel" unter www.wbgu.de/wbgu_pp2005.html
Kontakt: Dirk Messner, DIE, Fon +49 / 228 / 9 49 27-1 10, E-Mail dirk.messner@die-gdi.de, www.die-gdi.de


Erschienen in punkt.um Juli 2005




 
Quelle: oekom verlag, D-80337 München
www.oekom.de
tiefenthaler@oekom.de
    

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