NGOs und ihre internationalen Netzwerke vertreten die Interessen von gesellschaftlichen Gruppen oder Anliegen des globalen Gemeinwohls und sind die zentralen Kooperationspartner der UN. Durch die Weltkonferenzen der 90er Jahre hat die zivilgesellschaftliche Integration einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Globalen NGO-Bündnissen ist es wiederholt gelungen, die UN-Politik im Bereich von Normenbildung und Institutionengründung zu beeinflussen. Herausragende Erfolge sind die Antiminenkonvention und der Internationale Strafgerichtshof. Nach dem 11. September haben die Vorbehalte in den UN gegenüber gesellschaftlichen Akteuren jedoch zugenommen. Zahlreiche Regierungen fürchten den Verlust an Souveränität und zwischenstaatlicher Effektivität. Die Staaten des Südens wehren sich gegen öffentliche Kritik und Konditionalitäten, etwa in der Menschenrechts- und Umweltpolitik, für die sie NGOs aus dem Norden verantwortlich machen. Häufig wird unterstellt, dass zivilgesellschaftliche Partizipation dem Norden generell in die Hände spiele, da der Süden in der globalen NGO-Gemeinde unterrepräsentiert sei. Skepsis auf beiden Seiten Zahlreiche NGOs verfolgen die Politik von Generalsekretär Kofi Annan mit zunehmender Skepsis. Ihm wird vorgeworfen, dass er die Tür für die Wirtschaft zu weit geöffnet habe. Während des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg kam es erstmals wegen der als übermächtig empfundenen Unternehmenspräsenz zu einer Demonstration gegen die UN. Einige Stimmen aus dem NGO-Lager lehnen auch grundsätzlich ab, dass privatwirtschaftliche Akteure in der UN mitwirken, weil sie eine Vereinnahmung durch kommerzielle Interessen befürchten. NGOs beklagen außerdem die im Vergleich zu früheren Konferenzen geschrumpften Partizipationsmöglichkeiten, beispielsweise beim anstehenden Millennium+5-Gipfel, und bewerten die vermehrte Berufung hochrangiger Beratergruppen durch Kofi Annan als Teil der Abschottungsstrategie. Rückschritt ist keine Alternative Die Positionen zur künftigen Gestaltung der NGO-Beziehungen durch die UN lassen sich in drei Lager aufteilen. Die skeptische Gruppe, der die meisten Regierungen angehören, ist mit dem Stand der Zusammenarbeit zufrieden oder möchte das Rad der Geschichte gar zurückdrehen. Die visionäre Position, die beispielsweise von einer Beratergruppe unter Leitung des früheren brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso vertreten wird, zeichnet das Wunschbild einer gewandelten UN, die allen Akteuren als transnationales Weltforum zur Bewältigung der globalen Herausforderungen dient. Das pragmatische Lager, darunter Kofi Annan, einzelne Regierungen und zahlreiche NGOs, spricht sich für konkrete Fortschritte in Einzelfragen aus. Der Erhalt des Status quo oder ein Rückschritt ist keine sinnvolle Option. Nur wenn zivilgesellschaftliche Kräfte verstärkt einbezogen werden, kann die Weltorganisation die notwendigen Problemlösungskapazitäten mobilisieren und die Handlungsebenen, von der lokalen bis zur globalen, verknüpfen. Werden den NGOs keine attraktiven Angebote unter dem Dach der UN gemacht, drohen sie in andere internationale Foren abzuwandern. Außerdem untergräbt es die Legitimität der UN, wenn eine parlamentarische Dimension fehlt. Zwischen Vision und Pragmatismus Im Juni 2004 hat die von Kofi Annan eingesetzte Cardoso-Kommission ein visionäres Konzept für das künftige Verhältnis der UN zur Außenwelt vorgelegt. Die Organisation soll sich vom traditionellen Multilateralismus lösen und externe Akteure als unverzichtbare Partner begreifen. Große Hoffnung setzt das Konzept auf UN-geführte Partnerschaftsprojekte zwischen Staaten, internationalen Institutionen, Unternehmen und NGOs. Aus Sorge um den zwischenstaatlichen Charakter der Organisation haben die Regierungen die Empfehlungen des Cardoso-Berichts in großer Übereinstimmung zurückgewiesen. Viele NGOs lehnen die Vorschläge wegen der zugrunde liegenden Partnerschaftsphilosophie und der Gleichstellung zivilgesellschaftlicher Akteure mit der Wirtschaft ab. In Reaktion auf die Cardoso-Kommission hat Kofi Annan im September 2004 ein eigenes Partizipationskonzept vorgestellt, das die Beziehungen zu Wirtschaft und Parlamenten ausspart, um Fortschritte im NGO-Dialog nicht zu gefährden. Die Akkreditierung der NGOs soll vom Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) auf die Generalversammlung übergehen. In regelmäßigen Abständen sollen die Staaten Anhörungen mit gesellschaftlichen Gruppen durchführen. Das bisher selbstständige NGO-Verbindungsbüros NGLS (Non-Governmental Liaison Service) will Annan ins UN-Sekretariat integrieren. Die UN-Länderteams sollen die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Kräften institutionalisieren, beispielsweise durch Verbindungsbüros und Beiräte. Um eine stärkere Repräsentanz von Süd-Organisationen zu fördern, wird die Einrichtung zweier Unterstützungsfonds, für die nationale und die globale Ebene, mit freiwilligen Beiträgen vorgeschlagen. Die Vereinbarkeit der Ziele von NGOs mit denen der UN will Annan durch einen verbindlichen Verhaltenskodex sicherstellen. Ihrerseits sollen die NGOs effiziente Beteiligungsformen erleichtern, indem sie themenorientierte Netzwerke gründen. Stagnation überwinden Die bisherigen Reaktionen auf den Annan-Vorschlag machen wenig Hoffnung auf die baldige Annahme durch die Generalversammlung. Die vom Sekretariat bis Ende 2004 erhoffte Unterstützungsresolution ist ausgeblieben. Ein entsprechender Entwurf von Brasilien stieß selbst bei zivilgesellschaftsfreundlichen Regierungen, etwa der Europäischen Union, auf Vorbehalte und wurde auf Eis gelegt. Die meisten NGOs halten sich in der laufenden Debatte auffällig zurück. Sie sind anscheinend mit dem erreichten Stand zufrieden und fürchten sich eher vor Verschlechterungen. Die Stagnation in den NGO-Beziehungen ist aber keine gute Voraussetzung für die dringend notwendige Erneuerung der UN. Die Mitgliedstaaten sollten die von Kofi Annan vorgeschlagenen Maßnahmen als unverzichtbaren Bestandteil des übergreifenden Reformprozesses verstehen, der im September 2005 auf dem Millennium+5-Gipfel seinen Höhepunkt finden wird. Langfristig sollten strukturwirksame Veränderungen eingeleitet werden, mit denen die Legitimität und Effektivität der UN erhöht werden kann, beispielsweise die Einführung einer beratenden parlamentarischen Versammlung. Unter dem Dach der UN sollte außerdem eine Plattform für pluralistisch zusammengesetzte Politiknetzwerke geschaffen werden, die überprüfbaren und sanktionierbaren Regeln unterliegen. Diese neue Struktur darf aber die primäre Verantwortung der Regierungen für die UN nicht in Frage stellen. Partizipation und bürgerschaftliches Engagement sind zentrale Werte in Deutschland. Bundesregierung und Bundestag sollten sich deshalb für die zügige Umsetzung der Empfehlungen von Kofi Annan einsetzen. Die Ernsthaftigkeit der deutschen Bemühungen würde durch eine frühzeitige Finanzierungszusage für die beiden NGO-Fonds unterstrichen. Im internationalen Vergleich sind die deutschen NGOs wenig an der UN interessiert. Sie verpassen so eine strategische Chance, die Herausbildung der globalen Zivilgesellschaft mitzugestalten. Es liegt in ihrem Eigeninteresse, dass die Position der UN als Leitinstitution für Global Governance gefestigt wird und unter diesem Dach alle relevanten Akteure zur Bewältigung der existenziellen Menschheitsfragen zusammenkommen. Autor: Dr. Thomas Fues ist Diplom-Volkswirt und forscht am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn zu den Vereinten Nationen und Global Governance. Kontakt: E-Mail Thomas.Fues@die-gdi.de, www.die-gdi.de erschienen in punkt.um 2/05 www.oekom.de/punktum weitere Top-Themen: - Nachhaltigkeitsforschung: Starthilfe für eine junge Disziplin 160 Millionen Euro will Deutschland in Zukunft jährlich in ein neues Forschungsprogramm investieren - Lkw-Maut: Tolle Kollekte! Die Lkw-Abgabe finanziert neue Straßen. Für die Umwelt bringt sie nichts
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