Im Jahre 1991 hat das Forschungsministerium des Bundes beschlossen, es genau wissen zu wollen: Was bedeutet der kommende Klimawandel für exponierte Küstenlagen in Deutschland? Schon zu diesem Zeitpunkt konnte einem klar sein, dass die Ergebnisse des Programms "Klimaschutz und Küste" delikat sein würden. Erstmals hatten nicht die örtlichen Stakeholder die Fragestellungen definiert, vielmehr warfen Wissenschaftler ungefragt einen Blick in die Zukunft der Region und ihrer Vermögenswerte. Damit verloren die Stakeholder die Macht, über erwartbare Zustände, die zu konfliktträchtig erschienen, gnädig hinwegsehen zu lassen. Studie mit Konfliktpotenzial Mit Sylt als erstem Studienobjekt, zeigte sich schon im Jahre 1997, welchen Sprengstoff Klimafolgestudien bergen. Wissenschaftler hatten bekannt gegeben, dass sie das Risiko für die Insel genauer unter die Lupe nehmen wollten - das hatte zu einem Sturm der Entrüstung geführt. Es bedurfte eines Ministerbesuchs, um auf der Insel wieder Ruhe einkehren zu lassen. Erst dann konnten die Forscher - um eine wichtige Erfahrung zum Charakter ihrer Forschung reicher - ihre Studien zum Abschluss bringen. Nun liegt eine zweite Studie zu einer Küstensituation vor: "KLIMU" - das U steht für Unterweser. Statt um eine kleine Insel geht es nun um eine ganze Region, niedrig gelegen und überschwemmungsgefährdet und deshalb durch Deiche geschützt. Die dortigen immobilen Vermögenswerte hängen von der Verlässlichkeit der Deiche ab. Wird diese Verlässlichkeit anders eingeschätzt, ändert sich von heute auf morgen der Wert der Immobilien. In KLIMU wurde unter anderem untersucht, wie verlässlich die Deiche unter den zu erwarteten Bedingungen des Klimawandels sein werden. Die Verhältnisse des Unterweserraumes sind im Übrigen typisch für die Deutsche Bucht und die Ergebnisse der Studie damit übertragbar auf weite Teile der deutschen Nordseeküste. Halten die Deiche? Der kommende Klimawandel folgt der Ursache, dem Anstieg der Treibhausgaskonzentration, mit einer Verzögerung um Jahrzehnte. Die Temperatur wird noch lange weiter ansteigen, auch wenn die Emissionen längst sinken. Abgeleitet daraus kann der Anstieg des Meeresspiegels an der Unterweser bis zum Jahre 2050 bestimmt werden: um 40 Zentimeter. Hinzu kommen zwei Faktoren: 15 Zentimeter Zuschlag, weil die Tidewelle bei dem insgesamt höheren Wasserstand des Meeres weniger Reibungsverluste erfährt, was zu einem größeren Tidenhub führt. Und weitere 15 Zentimeter durch die so genannte säkulare Senkung: Die gesamte deutsche Nordseeküste senkt sich pro Jahrhundert um 15 bis 20 Zentimeter im Verhältnis zum Meer ab. Zusammengenommen kann damit ein Anstieg des Bemessungshochwasserstandes, also dem höchsten anzunehmenden Sturmflutwasserstand, um 0,7 Meter nicht ausgeschlossen werden - allein bis zum Jahre 2050. Danach aber geht es immer weiter mit dem Anstieg, selbst wenn die anthropogene Emission von Klimagasen übermorgen gestoppt würde. Eine zentrale Leistung der KLIMU-Forscher besteht in Unscheinbarem: Sie haben zunächst den Ist-Zustand diagnostiziert und ihn erstmals auf eine einheitliche Basis gestellt. Damit wird das Schutzniveau, welches die bestehenden Deiche bieten, vergleichbar. Unter der Annahme, dass der derzeitige Meeresspiegel konstant bleibt, weisen die Deiche des rechten Weserufers zurzeit ein recht hohes Schutzniveau auf. Nur alle 3.000 Jahre ist mit einer Überschwemmung zu rechnen. Am linken Weserufer beträgt das Schutzniveau 1.000 Jahre. Mit einer Ausnahme allerdings: Ein Abschnitt bietet lediglich ein Schutzniveau von weniger als 40 Jahren. Zum Vergleich: An der gering besiedelten Nordseeküste von Dänemark beträgt das Schutzniveau 200 Jahre, in den Niederlanden 4.000 bis 10.000 Jahre. Kommt nun der Klimawandel, so drückt er das Schutzniveau um den Faktor fünf bis zehn. Aus dem Trauma von Sylt haben die Forscher gelernt, vorsichtig zu formulieren. Das spannendste Ergebnis der breit angelegten Untersuchung ist deshalb etwas versteckt: Die AnwohnerInnen und Immobilienbesitzer der Nordseeküste, einschließlich deren Kreditgeber und Versicherungen, müssen laut KLIMU-Bericht alle 130 Jahre mit einer Überschwemmung rechnen. Das gilt allerdings nur, sofern nichts zum Ausgleich getan wird - und sofern sie nicht hinter dem "Loch im Deich" beim Braker Siel sitzen. Wer zahlt den Küstenschutz? Für anstehende Maßnahmen, die das Niveau der Deiche erhöhen und damit ein Absinken des Schutzniveaus verhindern sollen, sind an der Unterweser die Deichverbände und diverse staatliche Behörden zuständig. Sie werden die Deicherhöhungen ausführen und finanziell schultern müssen. Für die betrachteten 40 Flusskilometer kommen die Forscher auf Kosten von knappen 45 Millionen Euro, den Schutz von Bremen und Bremerhafen nicht gerechnet. Das erscheint wenig angesichts der 500 Millionen Euro, welche die Bezirksregierung Weser-Ems bei statisch gedachtem Küstenschutz selbst als Nachholbedarf ausweist. Wer sich allerdings die Verhältnisse im Detail ansieht, wird feststellen, dass die KLIMU-Ergebnisse eine Verdoppelung des Finanzbedarfs vohersagen. Diese ergibt sich, wenn nicht nur der anstehende Nachholbedarf angesetzt wird, sondern das Schutzniveau trotz Klimawandel erhalten bleiben soll. Kriterium dafür, dass der Bund seinen Anteil zahlt, ist, dass die Maßnahmen einer "Verbesserung des Küstenschutzes" dienen. Es geht absehbar um viel Geld - das bislang in keiner mittelfristigen Finanzplanung eingestellt ist, weder des Bundes noch der betroffenen Bundesländer. Bisher trägt der Bund über die Gemeinschaftsaufgabe 70 Prozent der Kosten für den Küstenschutz, den Rest finanzieren die Länder Bremen und Niedersachsen. Für eine Optimierungsplanung unter den Aussichten des kommenden Klimawandels fehlten bisher die Daten wie die Institutionen. Mit den Ergebnissen der KLIMU-Studie ist wenigstens das erstgenannte Manko beseitigt. Mit der KLIMU-Studie steht die Frage an, ob die Küstenschutzlinie an der Nordsee nicht radikal gemäß niederländischem Vorbild verkürzt, also zum Beispiel die Weser komplett abgesperrt werden sollte. Möglicherweise wäre dies die 'kostenminimale' Lösung. Die Deiche ohne langfristige Perspektive immer nur peu à peu zu erhöhen, könnte dagegen ein Milliardengrab sein. Eine neue Solidaraufgabe? Für die Klärung solcher Fragen gibt es bislang keine Zuständigkeiten. Heimlich rechnen die Nordstaaten wohl damit, dass die große Schatulle des Bundes erhalten bleibt. Die Bund-Länder-kofinanzierte "Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) steht aber gegenwärtig auf dem Prüfstand der Föderalismuskommission. Ergebnis könnte sein, dass der Solidarausgleich unter allen Ländern zum Küstenschutz gestrichen wird. Im Zweifelsfall werden es die Küstenländer sein, die auf der Aufgabe "Anpassung an den Klimawandel" sitzenbleiben; es sei denn, sie kommen rechtzeitig auf die Idee, die gesamte Adaptationsnotwendigkeit zur Solidaraufgabe aller Bundesländer zu machen. Und "zur Aufgabe machen" heisst nicht allein, Geld zu verteilen, es heisst vor allem, die Kapazitäten zur Planung und Optimierung der anstehenden Aufgaben zu schaffen. Dass es um Aufgaben mit großer Kapazitätswirkung für die Bauwirtschaft geht, die jene aus dem Straßenbau abzuziehenden Kapazitäten ersetzen könnten, ist offensichtlich. Autoren: Dr. Hans-Jochen Luhmann, Wuppertal Institut, E-Mail jochen.luhmann@wupperinst.org, www.wupperinst.org Dr. Michael Schirmer, Universität Bremen, Institut für Ökologie und Evolutionsbiologie, Abt. Aquatische Ökologie, E-Mail schi@uni-bremen.de, www.ifoe.uni-bremen.de Die Studie: Schuchardt, B. und Schirmer, M. (Hrsg.): Klimawandel und Küste. Die Zukunft der Unterweserregion. Reihe: Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften, Springer, Heidelberg 2005, 342 S., 79,95 €, ISBN 3-540-43310-4 erschienen in punkt.um 11/2004
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