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Presse-Stelle:  Berlin-Brandenburger Naturmagazin, D-15834 Rangsdorf
Rubrik:Naturschutz    Datum: 15.09.2000
Oglala
Eine Reportage
von Kay-Uwe Hartleb

Obwohl Pine Ridge im US-Bundesstaat South Dakota ein eigenes College, einen eigenen Radiosender und eine unabhängige Klinik hat und deshalb zu den fortschrittlichen Indianer-Reservationen gehört, bedeutet das Leben darin noch heute Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Krankheit. Pine Ridge ist ein Teil der Dritten Welt - inmitten der USA. Die Reservation besteht aus großen, weiten Steppen und unfruchtbaren Regionen, den Badlands. Seitdem ihre Jäger-und-Sammler-Kultur zerstört worden ist, leben die Oglala von zugeteilten Nahrungsmitteln.

Eines der größten Übel in der Reservation ist die chronische Fehlernährung der Indianer. Denn bis heute bestehen die Lebensmittellieferungen der Regierung vor allem aus Konserven. Frischwaren und Vitamine sind kaum zu bekommen, stattdessen gibt es Cola und Chips. Mit dem Lebensmittelmarken-Programm schlug Präsident Nixon in den Sechzigern den letzten Nagel in den Sarg der indianischen Selbstständigkeit. Diabetes, Übergewichtigkeit, Bluthochdruck und Zahnerkrankungen grassieren unter den Reservationsbewohnern. Doch viel schlimmer noch ist der lähmende Verdruss, der die indianische Kultur mehr und mehr verfallen lässt.

An einem Morgen im Mai 1988 erwachte Leonard Little Finger mit einem leichten Schmerz in seiner Brust. Der Verwaltungsangestellte vom Stamm der Oglala-Lakota ging dennoch wie gewohnt zur Arbeit im Krankenhaus der Reservation. Den Schmerz in der Brust erwähnte er beiläufig, als er einem der Ärzte begegnete. Eilig leitete man daraufhin sein EKG ab und diagnostizierte dem 50-jährigen, schwergewichtigen Diabetiker einen bevorstehenden Herzanfall. So ließ Little Finger die therapeutische Gefäßerweiterung über sich ergehen, hörte auf zu trinken und fing an, sich zu ertüchtigen. Doch er ging noch weiter. Er begann nach dem zu suchen, was ihm im Leben verloren gegangen war.

Als einer der Ersten in der Reservation brach er aus der Lethargie aus und - pflanzte einen Garten. Einen organischen Garten, in dem er den verschollen gegangenen Pfad wiederfinden wollte. Was sich so unscheinbar anließ, hatte einen großen spirituellen Wert. Little Finger verstand es als seine Handreichung an die Geister. Vier Jahre später gehörte er zu denjenigen, die am Oglala Lakota College in Kyle das organic gardening program initiierten.

Einige dachten, Little Finger tue das alles nur für die Gesundheit. Was allein unerhört wäre, denn die Hälfte der Erwachsenen in der Reservation leidet an Diabetes. Doch diejenigen, die weiter sehen konnten, wussten, dass Little Finger die Unabhängigkeit wollte. Für sich und seine Stammesgenossen. Unabhängigkeit von der Regierung, von ihren Lebensmittellieferungen, von ihren Vertragsauslegungen. Frei wollte er wieder sein. Frei von seinem Land leben wie seine bisonjagenden Vorfahren. Mit den Geistern und den Kreaturen in Frieden. Frei von all dem Alkohol und all dem Verdruss. Die Reservation würde freilich nicht wieder so groß werden wie die alten Jagdgründe es waren.

Deshalb würde Little Finger das Wildbeuterleben seiner Ahnen nicht wieder aufnehmen können, vermutlich auch nicht wollen. Leonard Little Finger würde mit seinem Garten einen neuen Weg gehen. Zwar sind die Oglala weniger als Gärtner, denn als unerschrockene Bisonjäger und - nach den grandiosen Siegen über Captain William J. Fetterman 1866 in Wyoming und über Lieutenant Colonel George A. Custer am Little Big Horn River in Montana - als die federbehaubten und beilschwingenden Krieger schlechthin in die Geschichte der Vereinigten Staaten eingegangen. Doch das war, bevor die Prärien der Great Plains zum Brotkorb der Nation gemacht wurden.

Zu Beginn der Neunziger standen die Zeichen für Veränderung und Aufbruch günstig. Die Vision von Black Elk, den schon im zarten Alter von neun Jahren 1875 "das große Gesicht" überkam, ließ die Indianer rührig werden. Häuptling Black Elk hatte weisgesagt, dass es mit dem Roten Mann sieben Generationen lang abwärts gehen würde. Dann aber würde es einen neuen Aufschwung geben. Die sieben Generationen veranschlagten die Indianer auf gut hundert Jahre und als sie verstrichen waren, kamen einige Initiativen aus ihren Reihen.
Eine dieser Initiativen war ein Anruf in Deutschland. Als Heinrich Weltzien, Landwirtschafts-Professor an der Universität Bonn, damals, vor zehn Jahren, den Hörer wieder auflegte, wusste er, dass er den Oglala helfen würde. Mit seiner Frau verbrachte er kurz darauf den Urlaub in South Dakota, um die Indianer der Pine Ridge Reservation zu besuchen.

Er erfuhr, dass die Oglala sich bereits in den Achtzigern am ökologischen Gartenbau versucht hatten. Denn das natürliche Wirtschaften in Kreisläufen kam ihrer spirituellen Perspektive gleich. Wie sollte sie ihnen auch fremd sein? Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als sie weiter östlich, an den Großen Seen gelebt hatten, waren die Oglala halbsesshafte Bauern, die ihre Felder mit Bohnen und Mais bestellten. Bis der ewige Konflikt mit den Ojibwa sie nach Westen in die Prärien trieb. Dort gaben sie den Ackerbau auf und lebten fortan von Bisons, Antilopen und Wapitis. Um 1750 gab es 30.000 Dakota, die sich fest im Gebiet der nördlichen Plains etabliert hatten. Sie wurden für das nächste Jahrhundert die beherrschende Macht der Region.

Der erste Versuch in den Achtzigern, die Landwirtschaft von einigen Öko-Farmern wiederzuerlernen, scheiterte. Zu tief war die Kluft zwischen weißen Amerikanern und dem Roten Mann. Dem Deutschen Heinrich Weltzien brachten die Indianer mehr Vertrauen entgegen, denn Deutschland hatte mit ihrer Unterwerfungsgeschichte nichts zu tun. Seit zehn Jahren arbeitet Weltzien nun, angeregt durch die Wiederentdeckung alter Nutz- und Heilpflanzen, mit den Oglala-Lakota zusammen. Er veranstaltete Sommerkurse im Reservat, brachte seine Studenten mit, legte gemeinschaftliche Lehrgärten an und half den Indianern, ihre eigenen Gärten auf den zugewiesenen Flächen zu pflanzen. Er lehrte sie Theorie und Praxis des organischen Gartenbaus und gab ihnen vorsichtig etwas Zuversicht wieder.

Die Regeln ihres Stammesglaubens, wie etwa das strikte Gebot, keine Chemie auf ihre Erde zu bringen, und die noch nicht agrarisch beeinflussten Böden machen die organisch-biologische Bewirtschaftung zu einer für die Oglala interessanten Landnutzungsform.
Doch die Bedingungen in der Reservation sind extrem schwierig. Nicht nur, dass Pine Ridge ohnehin in den Badlands liegt, bewirtschaften vor allem weiße Farmer die guten Stücke des schlechten Kuchens. Ganz dem amerikanischen Way of Life verpflichtet, kümmern die Farmer sich herzlich wenig um die Indianer und die Natur. Und so fegen noch immer künstliche Staubstürme den dünnen Mutterboden von den Riesenäckern der Weißen und waschen die Schlammfluten, die den Wolkenbrüchen folgen, den letzten Humus von den dicken Lehmschichten der Badlands. Den massiven menschengemachten Bodenverlust sieht Heinrich Weltzien in der gewaltigen, bizarr geformten Landschaft mit sorgengefurchter Stirn. Zu sehr hängen seine Gedanken der Bodenverbesserung und der Fruchtbarkeitssteigerung nach, als dass er sich mit dem Verlust des so wertvollen Substrates abfinden könnte.

Um die Bodenfruchtbarkeit zu potenzieren, will Heinrich Weltzien vor allem die Kompostwirtschaft einführen, die richtigen Anbautechniken bei Bodenbearbeitung, Saat, Bewässerung und Pflanzenschutz entwickeln und nicht zuletzt traditionelle Heil- und Nutzpflanzen, deren Gebrauch in Vergessenheit geraten ist, wieder etablieren.

Mit einer Studienreise durch Deutschland wurde das Lehrprogramm nun abgeschlossen. Sechs Tage lang besuchte eine indianische Delegation wissenschaftliche Institutionen, ökologisch wirtschaftende Einzelhöfe und Agrargenossenschaften vor allem im Rheinland und in Brandenburg. Was ihn am meisten von all dem beeindruckt hat, frage ich den indianischen Waldorf-Lehrer Reginald Little Killer. "Der Besuch bei Graf Hundsbruich in Thürnich (Rheinland)", antwortet mir Little Killer, Sprecher der Gruppe. "Was mich tief ergriffen hat, ist seine spirituelle Beziehung zu den Pflanzen.

Jeden Morgen betet er auf seinen Feldern. Eine ähnliche Beziehung ist auch Teil unserer spirituellen Welt."
Die Unterschiede zwischen den Deutschen und den Oglala sieht Reginald Little Killer darin, dass man in Deutschland alles für Geld und Profit tut. Zumindest muss es immer eine Gegenleistung geben. Es genügt nicht, dass man sich einfach bedankt. Die Oglala teilen miteinander. Besitz spielt keine Rolle in ihrer Welt. Jetzt im Sommer gibt es viele Zeremonien. Man kommt zusammen und beschenkt sich. Auch die Früchte der Gartenwirtschaft werden sich gut verschenken lassen, ist sich Reginald Little Killer sicher. Vor allem an die Älteren und die Kranken und die, die ihre Motivation verloren haben. "Wir hoffen sehr auf die gute Energie aus den organischen Produkten."
Doch in der Reservation sei es ein langsamer Anfang, sagt Reginald, weil es so viel großflächigen Ackerbau durch weiße Farmer in der Reservation gäbe. Die waren auf dem Plan erschienen, als die Regierung einst versuchte, die Indianer durch das Bureau of Indian Affairs zur Eingliederung in die weiße Welt zu zwingen. Sie teilte die Reservation in einzelne Grundstücke auf, die jeweils einem Indianer überschrieben wurden. Weil die Oglala weder die Landwirtschaft beherrschten, noch mit individuellem Landbesitz etwas anfangen konnten, ließen sie sich auf Pacht- und Kaufverträge mit den Weißen ein.

So verfügten sie 1934 nur noch über rund 25% der Ländereien, die ihnen um 1880 gehört hatten. Erst später waren die Oglala in der modernen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung aktiv. Sie forderten die Rückgabe ihres früheren Landes und eine angepassten Form ihrer traditionellen Lebensweise.
"Für die vielen von uns, die heute zu den gräsernen Wurzeln zurückkehren, ist es vor allem wichtig, aus den Clustern rauszukommen. Diese Wohnsiedlungen, in denen wir geboren wurden und in denen vier bis fünf Familien zusammen wohnen, haben mit unserer Lebensweise nichts zu tun. Wir wollen wieder ins Land hinausgehen. Nur dort können wir unser Leben führen, nur dort berührt uns wieder die Natur und nur dort werden wir wieder zu kultureller Blüte zurückkommen", resümiert Little Killer.

Grundelement in der sozialen Struktur der Oglala-Lakota war die tiyospe, die Großfamilie, die dem jagdbaren Wild hinterher zog.
"Ich begann erst im letzten Sommer mit dem organischen Gartenbau", erzählt Reginald weiter. "Soweit ich weiß, gedeiht mein Garten sehr gut und ich bin sehr glücklich darüber. Doch leider bin ich viel unterwegs und nicht oft zu Hause. Denn das Wichtigste ist Bildung. Ich werde das Wissen, das ich über den Gartenbau habe und die Erfahrungen, die ich aus Europa mitbringe, in der Schule lehren und sie an all meine Bekannten weitergeben."

Heinrich Weltzien indes ist, ohne sich irgendwelcher Illusionen hinzugeben, guter Hoffnung, dass sein Programm in der Reservation weiterleben wird. "Mit etwas Glück wird es Früchte tragen", sagt er verschmitzt. Natürlich wird er den Oglala und ihren neuen Gärten als Freund auch in Zukunft zur Seite stehen.


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