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Menschen und Visionen: P.K. Raveendran
Portrait-Serie: Träger des alternativen Nobelpreises
P.K. Raveendran

begründete mit anderen Wissenschaftlern den 'Wissenschaftlichen Autoren-Verband von Kerala' oder 'Kerala Sastra Sahitya Parishad (KSSP), der sich zu einer Massenbewegung für Alphabetisierung und Bildung, regionale Entwicklung und Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge und nachhaltige Energieformen, sowie kulturelles Selbstbewusstsein entwickelte. Mit Hilfe des KSSP wurde der Bundesstaat Kerala zum globalen Modell für erfolgreiche nachhaltige Entwicklung. Er erhielt den Alternativen Nobelpreis 1996.

Das Kerala-Modell
Die KSSP war 1962 angetreten, um in dem traditionell links regierten - und deshalb von den internationalen Konzernen auch 'links liegengelassenen' - Kerala moderne wissenschaftliche Erkenntnisse und nützliche Technologien mit einer einfachen Sprache und in den lokalen Dialekten zu vermitteln. Dahinter stand der bewusste Versuch, wissenschaftliche Erkenntnis, die bislang primär als Machtinstrument einer gut ausgebildeten Minderheit missbraucht worden war, vom hierarchischen Wissenschaftsbetrieb abzukoppeln und der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Dabei hatte es die KSSP geschafft, in dem nach konventionellen Gesichtspunkten extrem unterentwickelten Bundesstaat nicht nur den Analphabetismus fast abzuschaffen, sondern auch die Kindersterblichkeit auf ein Minimum zu reduzieren, die durchschnittliche Lebenserwartung um 10 Jahre zu erhöhen und die Geburtenrate um ein Drittel zu verringern.

Dieses erstaunliche Ergebnis, mit dem Kerala die Werte von Staaten wie Spanien oder Singapur erreicht und weit besser dasteht als alle anderen Länder mit einem vergleichbar geringen Einkommen , ist auf ein einzigartiges Bildungsprogramm zurückzuführen. Am Anfang stand eine breit angelegte und von vielen engagierten Freiwilligen getragene Alphabetisierungskampagne. Dabei wurden mit Liedern, Schauspiel, Tanz und Kabarett ganz neue Vermittlungsformen gewählt. Auf diese Basis und einen neuen künstlerischen Spaß am Lehren und Lernen folgten unzählige Workshops und Bildungsprogramme über Gesundheit, Ernährung, Energiegewinnung, Umweltschutz, Entwicklungsmodelle, Frauenrechte, Ökonomie, Selbstverwaltung und kommunales Management. Die Vision war so umfassend wie faszinierend: Wissenschaft sollte nicht länger den Konzernen dienen, sondern der sozialen Revolution, Wissen nicht länger Machtmittel bleiben, sondern zum Werkzeug einer menschlichen Revolution werden und einer "Welt ohne Regierungen, ohne Grenzen, ohne sinnlose Bedürfnisse und Kriege" dienen.

Von den 60.000 Mitgliedern der KSSP, die in 2.100 Einheiten organisiert sind, sind allein 10.000 Lehrer, die ihre eigenen Curricula und Lehrbücher entwickeln und veröffentlichen und sich kontinuierlich weiterbilden. 90 Prozent ihrer Finanzmittel erwirtschaftet die KSSP mit mehr als 500 Büchern aus ihren eigenen Verlag. Die 30 bis 40 neue Titel, die pro Jahr erscheinen, werden in einer Art Fundraising-Pädagogik von fliegenden Händlern verkauft. Zudem gibt sie drei populärwissenschaftliche Zeitschriften mit Auflagen von bis zu 70.000 Exemplaren für Grundschulkinder, Besucher der Highschools und die allgemeine Öffentlichkeit heraus.

Intensive menschliche Entwicklung trotz niedrigem Einkommen
Das 'Kerala-Modell' steht unter dem programmatischen Titel "Intensive menschliche Entwicklung trotz niedrigem Einkommen" und baut ganz bewusst auf dezentralisierte Initiativen, lokale basisdemokratische Strukturen, Gleichberechtigung der Geschlechter, zahlreiche verschiedene lokale Experimente und die Förderung von Eigeninitiative jeder Art. Der erstaunliche Erfolg hat dazu geführt, dass die KSSP heute in Kerala den gesamten Bildungssektor mitgestaltet und dabei voll von der Regierung des Bundesstaates unterstützt wird. Das Verhältnis zur Regierung charakterisiert der KSSP-Aktivist T.P. Kuhnikannan als eine Art Hassliebe. Während die NGO die Regierungspolitik im Umweltbereich scharf kritisiert, gibt es gleichzeitig enge Kooperation bei der Erziehung und Dezentralisierung.

"In den letzten Jahren wurde eine Bewegung gestartet, die sich 'Volkskampagne für dezentralisierte Planung' nennt. Dabei geben wir den lokalen Verwaltungen mehr und mehr administrative und ökonomische Macht. Die Regierung des Bundesstaates hat entschieden, 40 Prozent ihres Budgets an lokale Körperschaften weiterzugeben. Sie werden aufgefordert ihre eigenen Projekte zu planen und zu gestalten. Dafür wurden Nachbarschaftgruppen geschaffen, die aus jeweils 100 Familien bestehen. Sie setzen sich zusammen, diskutieren die lokalen Probleme, die Art der notwendigen Projekte und wie sie mit Regierungsmitteln, lokalen Spenden und freiwilliger Arbeit umgesetzt werden können. All das funktioniert in Kerala wirklich gut."

Mikroökonomische Initiativen bekommen makroökonomische Dimensionen
Auf diese Weise wurden zahlreiche mikroökonomische Initiativen gestartet, die durch die enorme Verbreitung makroökonomische Dimensionen bekamen: So entwickelte man unter anderem energieeffiziente Holzöfen, mit dem 50 Prozent des Brennstoffes, verkaufte sie an 500.000 Haushalte und konnte damit landesweit Finanzmittel von 20 bis 30 Millionen Dollar einsparen. Ein weitere Initiative besteht darin, einen wesentlichen Teil der normalen 60 Watt-Birnen durch Energiesparlampen zu ersetzen und einfache Solaranlagen in die Dörfer zu bringen, die ohne technische Spezialausbildung installiert und betrieben werden können.

Die Tatsache, dass all diese Initiativen trotz eines durchschnittlichen Jahreseinkommens von rund 350 US-Dollar verwirklicht werden konnten, machen das 'Kerala-Modell' zu einem erstaunlichen - wenn auch noch weitgehend unbekannten - Vorbild für zahlreiche andere unterentwickelte Staaten. Denn hier wurde erstmals bewiesen, dass kleine dezentrale Ansätze die Lebensqualität einer ansonsten recht- und chancenlosen Mehrheit der Bevölkerung deutlich verbessern können, wenn sie flächendeckend und mit staatlicher Unterstützung umgesetzt werden. Entwicklung, so zeigt Kerala, ist weit mehr als ein Ergebnis von wirtschaftlichen Einnahmen und Ausgaben, sondern muss im Kontext sozialer und menschlicher Entwicklung begriffen werden. Zudem wird der - durchaus begründeten - Technikkritik westlicher Initiativen hier eine fast technikbegeisterte Haltung entgegengesetzt, die zeigt, dass Modernismus und Nachhaltigkeit durchaus eine gesunde Synthese eingehen können.


Quelle: Goethe Institut 2005


 
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