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Umwelt & Naturschutz   
Artenvielfalt im freien Fall
Flächendeckender Rückgang von Schmetterlingen in Baden-Württemberg
In Scientific Reports stellen die Wissenschaftler Jan Christian Habel, Robert Trusch, Thomas Schmitt, Michael Ochse und Werner Ulrich ihre aktuellen Forschungsergebnisse zum Bestand von Schmetterlingen vor.

In Scientific Reports werden aktuelle Forschungsergebnisse zum Bestand von Schmetterlingen vorgestellt. Foto: uschel, pixabay.com
Dabei handelt es sich um die erste flächendeckende Langzeitstudie, die Daten über die tagaktiven Schmetterlinge in Südwestdeutschland bis zurück in das 18. Jahrhundert nutzt. Ihr Ergebnis verfestigt das Bild, das bereits die "Krefeld-Studie" von 2017 zeichnete: Die Wahrscheinlichkeit, viele Individuen von vielen unterschiedlichen Schmetterlingsarten auf einem Spaziergang zu sehen, hat besonders in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen. Ökologische Systeme können bei der Überschreitung eines Grenzwertes leicht kippen. Dies könnte in Baden-Württemberg bereits vor etwa 20 Jahren passiert sein. Die Artenvielfalt befindet sich seitdem in freiem Fall.

Die aktuelle Studie belegt eine flächendeckende Reduktion der Häufigkeit der meisten Arten - ein Trend, der auch vor Naturschutzgebieten und extensiv genutzten Flächen nicht Halt macht, unabhängig von Nutzungsgrad und Nutzungsänderung. Dies sollte äußerst nachdenklich und besorgt stimmen, da sich offensichtlich die Landschaft in einer so schlechten allgemeinen Verfassung befindet, dass überregional Populationen verschwinden. Hier könnte ein Messprogramm für Insektizide, wie es von Wissenschaftlern längst gefordert wurde, helfen, die Vermutungen zum Insektensterben in Gebieten fernab intensiver Landnutzung auf eine sichere Datenbasis zu stellen.

Der hohe Wert historischer Beobachtungen
Die "Krefeld-Studie" hat mit ihrem erschreckenden Befund den Stein endgültig ins Rollen gebracht: Sie stellte 75 % Biomasseverlust von flugfähigen Wirbellosen innerhalb von weniger als 30 Jahren fest. In der Folge wurde die Studie intensiv diskutiert und teilweise auch (mit mehr oder weniger stichhaltigen Argumenten) kritisiert. Jetzt wurden für das südwestdeutsche Bundesland Baden-Württemberg (mit einer Fläche von 35.751 km²) in einer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit Beobachtungen tagaktiver Schmetterlinge über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren zusammengetragen und ausgewertet. Trends der Artenzahlen, der relativen Häufigkeiten der Arten sowie der Artenzusammensetzung wurden landesweit analysiert. Hierfür wurde jede Schmetterlingsart entsprechend ihren ökologischen Ansprüchen eingestuft.

Schmetterlinge in freiem Fall
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass von den 163 untersuchten Arten bislang nur wenige vollständig aus dem südwestdeutschen Flächenland verschwunden sind. Diese sechs Arten werden schon in der letzten Roten Liste (2005) als verschollen geführt: Rotbindiger Samtfalter Arethusana arethusa seit 1976, Kleiner Alpenbläuling Cupido osiris seit 1929, Braunscheckauge Lasiommata petropolitana seit 1896, zwei Würfel-Dickkopffalterarten, Pyrgus carthami seit 1995 und Pyrgus onopordi seit 1928 sowie das Haarstrang-Widderchen Zygaena cynarae seit 1957.

Diese vergleichsweise geringen Aussterberaten und die somit relative Konstanz hinsichtlich der Artenzahl liegt jedoch daran, dass mit dem gesamten Bundesland eine große Fläche bearbeitet wurde, über die verteilt eine Vielzahl von geschützten und intensiv gepflegten Schutzgebieten existiert. Nur deshalb sind bisher relativ wenige Arten verschwunden. Viele anspruchsvollere Arten überlebten jedoch lediglich in wenigen und dazu sehr kleinen und isolierten Populationen - noch!

Die Häufigkeit der meisten Arten ist stark zurückgegangen. In anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, viele Individuen von unterschiedlichen Arten zu sehen, hat besonders seit Mitte der 1950er Jahre stark abgenommen. Dieser negative Trend hat sich im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte nochmals drastisch beschleunigt, und das, obwohl in dieser Zeit (bedingt durch die Einführung des Natura 2000 Netzwerks) die Naturschutzanstrengungen der öffentlichen Hand sogar zugenommen haben.

Dieser beobachtete Rückgang kann kein Artefakt sein, das auf mangelnder Kartierung beruht, da das Monitoring über diesen Zeitraum hinweg sogar verstärkt durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der neuen Studie, dass zahlreiche lokale Populationen vieler Arten verschwunden oder nur noch mit wenigen Individuen anzutreffen sind, untermauern somit das Bild, das die Krefeld-Studie schon angedeutet hatte. Und mit diesem Rückgang reduziert sich parallel auch die gesamte Biomasse, was dramatisch negative Auswirkungen auf die Nahrungsnetze und somit auf höhere trophische Ebenen wie Vogel- und Fledermausbestände hat.

Verlust von Lebensraum und Lebensraumqualität
Die Ursachen, die zu diesen Trends geführt haben, sind vielfältig und beeinflussen sich oftmals gegenseitig. Da jede Art entsprechend ihren ökologischen Ansprüchen und ihrem Verhalten unterschiedlich reagiert, sind die Zusammenhänge komplex und die Wirkungsweisen multikausal. Über eine ökologische Kategorisierung der untersuchten Arten war es jedoch in der aktuellen Arbeit möglich, Zusammenhänge zwischen Umweltveränderung und Artenrückgang nachzuweisen.

So sind besonders jene Arten von Populationsverlusten betroffen, die ganz spezifische Lebensraumansprüche haben und somit über eine geringe Umweltplastizität verfügen, also nicht flexibel auf Umweltveränderungen reagieren können. Beispiel hierfür sind die Arten der Magerrasen, Feuchtwiesen und Moore. Diese Lebensräume finden sich in unseren intensiv genutzten Landschaften kaum noch. Darüber hinaus hat sich auch die Qualität der verbleibenden Resthabitate in den meisten Fällen verschlechtert, vor allem durch atmosphärische Düngung (Ammoniak, Stickoxide) sowie durch den Eintrag schädlicher Stoffe (Pestizide) aus angrenzenden Flächen.

Arten, die nur in stickstoffarmen Ökosystemen leben, sind besonders stark von den atmosphärischen Stickstoffeinträgen und den damit einhergehenden Veränderungen der Pflanzengesellschaften und Habitatstrukturen betroffen. Auch standorttreue Arten, also solche mit geringem Ausbreitungsverhalten, leiden vorrangig unter der immer weiter voranschreitenden Habitatverinselung und den immer stärker werdenden Barrieren zwischen ihren Lebensstätten. Diese werden in erster Linie durch immer intensiver genutzte landwirtschaftliche Flächen, aber auch durch Straßen, Siedlungen oder Industriegebiete, verursacht. Ebenfalls problematisch sind durch Monokulturen geprägte Wälder, die dunkel und dadurch lebensfeindlich für fast alle Tagfalter sind und deshalb zu ihrem Schwund beitragen.

Präzisionslandwirtschaft und Energielandschaften
Die neuen landwirtschaftlichen Methoden und die Energiewende stellen den Natur- und Artenschutz ebenfalls vor neue Herausforderungen. Präzisionslandwirtschaft optimiert die operationalen Prozesse und kann zu einer Reduktion von Pestizidapplikationen führen. Aber gleichzeitig wird die Fläche noch "akkurater" bewirtschaftet. Dadurch verschwinden letzte Kleinstlebensräume aus der Landschaft. Ebenfalls steigt der Bedarf an Energiepflanzen stetig. Auch deshalb werden Felder zusammengelegt, auf denen dann auf riesigen Flächen Raps und Mais angebaut werden. Das führt zu einem weiteren Verlust von Landschaftsheterogenität und damit zu einer Verringerung der Artenvielfalt.
 
Quelle: ECO-News Deutschland, D-81371 München
http://www.naturkundemuseum-karlsruhe.de
presse@naturkundeka-bw.de
    

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