Die Wirtschaft in der Lausitz entwickelte sich auf Kosten von Umwelt und Bevölkerung. Das funktionierte laut den Sozialwissenschaftlern Jeremias Herberg, Konrad Gürtler und David Löw Beer, weil der Region und den Beteiligten an der Kohleproduktion ein gewisser Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung zuteilwurden. Dieses Modell zerbreche nun und die Bevölkerung finde sich mit förderpolitischen Zusagen nicht ab. Denn der Kohleausstieg sei nicht allein ein wirtschaftliches Problem, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift "Berliner Debatte Initial". Es gehe auch darum, wer mitentscheiden darf und wie die Kosten der Energiewende verteilt werden sollen. Kohlestreit bietet Chancen für die Demokratie Die Autoren argumentieren, dass die Konflikte in der Lausitz die Möglichkeit bieten, Strukturwandel demokratisch gestalten zu lernen. Dieses Wissen könne bei anderen Transformationsprozessen von Nutzen sein, betont Leitautor Jeremias Herberg: "Wenn man die Verfügungsgewalt über fossile Bodenschätze umorganisiert, dann berührt das die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft. Insofern hält der Kohleausstieg dem deutschen Wirtschafts- und Politikmodell einen Spiegel vor. Spätestens in der Verkehrswende und Agrarwende, wo noch mehr auf dem Spiel steht, wird ein Streit um die materielle Grundlage unseres Wirtschaftsmodells entbrennen, den es demokratisch zu organisieren gilt." Der Analyse zufolge müssen die Entscheidungsträgerinnen und -träger in der Lausitz mit demokratischen Mitteln vier Blockaden lösen:
Erfahrungen der Bevölkerung für Strukturwandel nutzen Der regionale Strukturwandel ist laut den Forschern von enormen Beharrungskräften geprägt. Für besonders problematisch halten sie, dass die Stichworte Nachhaltigkeit, Zivilgesellschaft und Beteiligung in den Gesetzesentwürfen, die die Bundesregierung für den Kohleausstieg vorgelegt hat (Stand September 2019), nicht konkretisiert werden. So wird der Wandel verschleppt und wichtige Anliegen verlieren an Bedeutung und Glaubwürdigkeit. Vielen bleibt nur die Hoffnung auf eine andere Großindustrie, zum Beispiel auf die im Norden der Region geplante Tesla-Fabrik. Es drohen neue Abhängigkeiten und unreflektierte Zielkorridore. Die Chance für eine demokratische Neugestaltung verstreicht. Die Bevölkerung in die Strukturwandelpolitik einzubinden, sei nicht nur notwendig, sondern derzeit auch noch möglich. Dass die Lausitz bereits einen langen Prozess des Strukturumbruchs hinter sich hat, sehen die Forscher dabei auch als Chance: "Die jahrzehntelange Transformationserfahrung der Lausitzerinnen und Lausitzer ist eine wichtige Ressource, um aus Fehlern zu lernen, Frustrationstoleranz zu bewahren und eine strukturschaffende Phantasie zu entwickeln", sagt Herberg. Nur wenn das gelingt, werde aus dem verschleppten Wandel noch ein Modellfall für gesellschaftspolitische Erneuerung. Das IASS forscht mit dem Ziel, Transformationsprozesse zu einer nachhaltigen Gesellschaft aufzuzeigen, zu befördern und zu gestalten - in Deutschland wie global. Der Forschungsansatz des Instituts ist transdisziplinär, transformativ und ko-kreativ: Die Entwicklung des Problemverständnisses und der Lösungsoptionen erfolgen in Kooperationen zwischen den Wissenschaften, der Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein starkes nationales und internationales Partnernetzwerk unterstützt die Arbeit des Instituts. Zentrale Forschungsthemen sind u.a. die Energiewende, aufkommende Technologien, Klimawandel, Luftqualität, systemische Risiken, Governance und Partizipation sowie Kulturen der Transformation. Gefördert wird das Institut von den Forschungsministerien des Bundes und des Landes Brandenburg.
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