Ein Beitrag aus dem ECO-News Presseverteiler, der Ihnen von ECO-World.de zur Verfügung gestellt wird.
In der Rubrik:   
Umweltschutz   
Für die Tiefenökologin Joanna Macy kann »soziale Mystik« die Erde heilen
Die Erde heilt

Welt als Geliebte
"Für die Tiefenökologin Joanna Macy kann »soziale Mystik« die Erde heilen"

Ökologie gehört zwar heute zum guten Ton, und wir nicken ihr als Teil politisch »korrekten« Denkens halbherzig zu. So richtig ergreifen lassen wir uns aber nur selten vom Zustand unserer Wälder, unserer Meere, unserer Luft und von der akuten Bedrohung, die daraus auch für uns Menschen resultiert. Joanna Macy, die »Mutter« der spirituellen Ökologie, glaubt, dass wir uns der Verzweiflung stellen müssen, um Tatkraft und Hoffnung wieder zu gewinnen. Der Erkenntnis, dass »alles eins ist« werden wir nicht durch Rückzug und Weltverleugnung gerecht, sondern indem wir begreifen, dass wir keinen Baum fällen, kein Tier quälen können, ohne zugleich uns selbst zu verletzen. Nur eine Mischung aus emotionaler Empfänglichkeit, engagierter Spiritualität und gezielten politischen Aktionen kann die Wende herbeiführen

Vorbilder sind knapp geworden zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es sind jene Leute, die leben, was sie sagen, deren Biographie überzeugt und die das Engagement nicht nur in den Fingern, sondern auch in den Augen haben. Joanna Macy gehört zu dieser Spezies.
Die Ökophilosophin und Professorin für Religionswissenschaften und Allgemeine Systemtheorie im kalifornischen Berkeley, hat ihren Platz immer dort gesehen, wo Blockaden gebaut werden gegen Raketenstationierungen, Atomkraftwerke oder den Kahlschlag von Regenwäldern. International ist ihr Engagement als Ökoaktivistin ebenso gefragt wie als Mitbegründerin der modernen Tiefenökologie oder als weltweit aktive Seminarleiterin. Die ungebrochene Antriebskraft der heute 73-jährigen praktizierenden Buddhistin wird getragen von einer tiefen Liebe zur Welt, zu ihren gegenwärtigen und künftigen Bewohnern.
»Stell dir vor, du lebst 500 Jahre von heute, und der Atommüll beginnt, aus den unterirdischen Lagern ins Grundwasser und die Flüsse auszutreten, was zu Missbildungen und Krankheiten bei deinen Kinder führt. Wenn du dann herausfinden würdest, dass das die Schuld deiner Vorfahren ist, wäre es die ganze Generation, die die Verantwortung trägt. Deine Frage an mich wäre: Was habt ihr, was hat diese Generation gemacht?«

Die Zeit des großen Wandels

Joanna Macy gehört nicht zur großen Mehrheit jener, die gebannt wie das Kaninchen vor der Schlange auf eine düstere Zukunft starren. Die Großmutter, Aktivistin und Autorin weiß, dass sie die Früchte ihres ökologischen Engagements nicht mehr selbst ernten wird. Sie denkt in größeren Zeiträumen und zieht die Kraft für ihre Arbeit immer wieder daraus, sich in Gedanken mit zukünftigen Generationen zu verbinden um - stellvertretend für sie - heute zu handeln. »Jetzt, in dieser Zeit, müssen wir den Wandel von einer industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer Gesellschaft schaffen, die das Leben langfristig erhält. Wenn künftige Wesen also zurückblicken, werden sie es mit Respekt tun, mit Mitgefühl und Dankbarkeit, für das, was wir in der 'Zeit des großen Wandels' getan haben«. Nie, sagt Joanna Macy, war die Gelegenheit größer, grundsätzlich etwas zu verändern. Denn wenn alte Werte wertlos werden und die Menschen ratlos in eine ungewisse Zukunft gehen, ist der Boden für das Neue schon bereitet. Deshalb sieht sie in jeder Umweltkrise mehr den Vorboten einer Wende als ein Zeichen des Untergangs.

Bewusstseinswandel: Für Joanna Macy heißt das weder Ökoerziehung mit dem moralischen Zeigefinger noch das Warten auf Erleuchtung oder Rückzug in die Innerlichkeit. Bewusstseinswandel geschieht, sagt sie, wenn wir unsere Beziehung zur Mitwelt, zu den Menschen und zu uns selbst verändern. Bewusstseinswandel geschieht, wenn wir wach und mit allen Sinnen in der Welt sind. Wenn wir uns erinnern, dass wir selbst Natur sind und nicht die Augen vor dem verschließen, was in der Welt geschieht. »Ich glaube, dass von allen Gefahren, die uns drohen - sei es der Militarismus, die Umweltverschmutzung, die Übervölkerung oder das Artensterben - keine Gefahr so groß ist wie die Verdrängung.«

Die Welt als Ort der Transformation

Die Ökoaktivistin weiß, dass sie hier einen wunden Punkt berührt. Denn längst wissen wir mehr als jemals zuvor über den Zustand der Umwelt auf dem Planeten und die Gefahren, die uns drohen. Doch wir lassen uns nicht mehr berühren von dem Wissen. Es ist, als schauten wir teilnahmslos unserer Hand auf einer heißen Herdplatte zu ohne die Finger wegzuziehen, obwohl schon der Rauch aufsteigt.
Einsicht und Mitgefühl sind die beiden zentralen Werkzeuge, mit denen wir die Welt verändern können, so Joanna Macy. Den alten Gegensatz zwischen geistigem Wachstum und politischer Aktion sieht sie nur als zwei Seiten einer Medaille: Die Welt selber soll zur Arena unserer Transformation werden. Statt die Welt als Schlachtfeld zu begreifen oder als Ort der Versuchung, sucht sie einen Weg, in der die Welt zur Geliebten wird oder - bestenfalls - zum größeren Selbst. Bestimmen wir unsere Rolle in dieser Welt, von der wir ein Teil sind, neu, dann entdecken wir uns selbst als die sinnliche Erde.
Auf ihrer Suche nach den Wurzeln des kollektiven Desasters ist die Autorin beim einzelnen Menschen gelandet und bei der Geschichte jenes Missverständnisses, das unsere Welt zerstört: unserem hartnäckigen Glauben, wir seien getrennt und unabhängig von der Natur und könnten mit ihr umgehen, wie wir wollen. »Wir sehen uns als Krone der Schöpfung, als Mittelpunkt der Welt und alles, was unserer Bequemlichkeit und unseren eingebildeten Bedürfnissen dient, scheint gerechtfertigt. Egal, was wir damit anderen Gattungen antun, dem Boden, der Atmosphäre und anderen Wesenheiten.« Dabei liegt die Alternative längst auf der Hand, sagt sie. Sie ist ein wenig verborgen unter der Oberfläche unserer religiösen Traditionen, kommt nun aber in der modernen systemischen Sicht des Lebens und in den Naturwissenschaften deutlich zum Vorschein: »Es ist die Anerkennung der Tatsache, dass alle Lebensformen voneinander abhängig sind und das der Mensch in diesem Netz des Lebens nur ein Faden ist.«

Die Ethik des Nondualen

In allen großen religiösen Traditionen wird zurzeit die nicht-dualistische Spiritualität wieder entdeckt, wo die Grenzlinie zwischen Meditation und Aktion sowie zwischen dem Selbst und der Welt verschwimmen. Das ist Bestandteil der buddhistischen Lehren, das gab es immer in der Sufitradition, und auch im Christentum gibt es jetzt wieder Stimmen, die sich dafür aussprechen. Alle diese Traditionen betonen das Beziehungsgeflecht unserer Welt und ihre Heiligkeit. Der spirituelle Pfad wird dort nicht mehr als Flucht aus der schlimmen Welt in einen separaten Himmel verstanden. Vielmehr ist dort die Welt selbst unser Gotteshaus, die Welt selbst die Arena für unsere Transformation.
Das griechische Wort »Apatheia« bedeutet wörtlich »Nicht-Leiden«. Apathie ist demnach die Unfähigkeit oder Weigerung, Schmerzen zu spüren. Anstatt so zu leben, als sei nichts geschehen und mit diesem Selbstbetrug eine Menge dringend benötigter Handlungsenergie zu verschwenden, empfiehlt die Joanna Macy als ersten Schritt, sich der Verzweiflung, die wir in uns tragen, zu stelllen. »Wir haben Angst. Wir glauben, so zerbrechlich und klein zu sein, dass es uns in Stücke reißt, wenn wir es uns erlauben, unsere Gefühle über den Zustand der Welt anzuschauen. Wir fürchten eine tiefe Depression oder Lähmung. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir es aussprechen, merken wir, dass wir nicht isoliert sind, sondern das dieser Schmerz weit hinausgeht über das kleine Ego und Konsequenzen hat, die jenseits unserer individuellen Bedürfnisse und Wünsche liegen. Wir erfahren dann nämlich eine Art größerer Identität. Dieser Schmerz befreit auch unsere Hilfsbereitschaft. Ich bin in dieser Arbeit zu der Erkenntnis gekommen, dass unser Schmerz um den Zustand der Welt und unsere Liebe für die Welt untrennbar miteinander verbunden sind.«

Aus Schmerz wird Hoffnung

In den Seminaren, die Joanna Macy rund um den Globus anbietet (in Deutschland findet das nächste im August in Freiburg statt), wird keine schöne neue Welt vorgegaukelt. Da wird aus Verzweiflung geheult, aus Wut geschrieen, aus Resignation und Angst gejammert. Da werden Teile einer selbstmörderischen Gesellschaft einer Therapie unterzogen. Denn Neues kann nur entstehen, wenn wir die Dynamik des Alten verstanden haben. Neue Energie und Mut zum Handeln stellt sich nur ein, wenn wir Dampf abgelassen haben. Engagement bildet sich erst, wenn wir uns erlauben, mitzufühlen.
Heute vertritt sie als Ökophilosophin einen Ansatz, der darauf abzielt, die kritisch-alternativen Strömungen in aller Welt miteinander zu verbinden. Statt sich auf der Suche nach dem Stein der Weisen gegenseitig zu behindern, plädiert sie dafür aus der Vielfalt der Ideen einen neuen Stein zu formen. Gemeinsam mit Öko-Aktivisten aus aller Welt versucht Joanna Macy eine Synthese aus den Erfahrungen persönlichen Wachstums und dem Engagement in Frauen-, Friedens und Anti-Atombewegung.

Das ökologische Selbst

Tiefenökologie unterscheidet sich von der traditionellen Ökologie dadurch, dass sie über den Anthropozentrismus hinausgeht, der alle ökologischen Probleme immer nur zum Nutzen, zum Vorteil oder zum Profit der Menschen reparieren will. Tiefe Ökologie konzentriert sich stattdessen auf die essentiellen Kreisläufe und Systeme der Natur selbst, um uns selbst dann zum Diener der Gesundheit des größeren Ganzen zu machen. Mit einer Vielzahl von Methoden versucht dieser Ansatz, jeden einzelnen Menschen darin zu unterstützen, das beschränkte und egozentrische Selbstbild zu überspringen und so etwas wie ein »ökologisches Selbst« zu entwickeln. Sie spricht von sozialer Mystik. »Es ist eine Mystik, die in der Aktion deutlich wird, durch zivilen Ungehorsam, Sitzblockaden vor Bulldozern oder durch die Gründung neuer Initiativen.«
Joanna Macy macht deutlich, dass ein engagiertes Eintreten für das Leben nicht nur hilft, eine kranke Zivilisation zu heilen, sondern auch ein Schlüssel sein kann für geistiges Wachstum. Sie ermutigt uns, »dankbar dafür zu sein, in einer Zeit zu leben, die so sehr zur Veränderung herausfordert und diesen sinnlichen, fast erotischen Instinkt in uns weckt, das Leben zu erhalten. (...) Hab' keine Angst vor der Zukunft, die in der Dunkelheit liegt. Alles Neue reift zuerst im Dunkeln.« Wer die Welt ändern will, muss bei sich selbst anfangen, hat sie gelernt. »Wir müssen einerseits 'Sterbebegleiter' für die alte Kultur und andererseits 'Hebammen' für die neue Kultur sein.«

»Im Netz des Lebens sind wir unschlagbar«
connection-Interview mit Joanna Macy über die aktuelle Weltlage

connection: Es scheint zwei Amerikas zu geben: Die USA als imperialen Weltpolizisten einerseits und als Geburtsort alternativer Ansätze wie der Tiefenökologie andererseits. Wie ist die Situation seit dem 11. September?
Joanna Macy: Die Reaktion war ein enormer Schock und Angst. Doch was man in Deutschland über Amerika nach den Anschlägen gehört hat, war nur die halbe Wahrheit. Das ‚andere Amerika', von dem du sprichst, reagierte ganz anders als die Bush-Regierung. Es rief zur Zurückhaltung auf und war gegen den Afghanistan-Krieg. Vielmehr begann eine tiefe Selbsterforschung der amerikanischen Politik. Die Leute fragten sich, wie hat es zu diesem Hass auf uns kommen können? Und sie entdeckten, dass es mehr als genug Gründe dafür gibt. Aber über die Demonstrationen der amerikanischen Friedensbewegung, über all die Resolutionen und Aufrufe haben die Medien kein Wort berichtet.

connection: Welche Rolle spielen den aus der Sicht dieser Friedensbewegung die USA bei dem Ausbruch terroristischer Gewalt?
Joanna Macy: Die Kritiker sind gar nicht nur irgendwelche linken Alternativen. Der Pfarrer in der Kirche meiner Gemeinde in Berkeley ist ein schönes Beispiel dafür. Nach dem 11. September stellte er seine Predigt unter den Titel »Asche über Amerika« und erinnerte seine Gemeinde an die Geschichte des Staatsterrorismus: Den Holocaust an den Indianern, 200 Jahre Sklaverei und den fortgesetzten Missbrauch der schwarzen Bevölkerung, die Ausbeutung Süd- und Mittelamerikas, die Unterstützung von Diktatoren in aller Welt, unsere riesigen Waffenexporte, die Ausbeutung der Ressourcen auf dem ganzen Globus. Er fragte wortwörtlich: Haben die Terroristen angegriffen oder sind wir selbst die Terroristen? Für ihn war der 11. September eine Chance für Amerika, endlich aufzuwachen und zu erkennen, dass wir nicht schuldlos sind. Es ist schrecklich was da passiert ist! Aber es ist schön, wenn ein Volk in der Lage ist, in den Spiegel zu schauen und auf so eine wunderbare Art seinen Schatten zu erkennen. Darin liegt unsere Hoffnung!

connection: Aber hat durch die Anschläge nicht gerade der militärisch-industrielle Komplex in den den USA enormen Aufwind bekommen?
Joanna Macy: Ja, bestimmt. Was meine Freunde sehr enttäuscht hat, war die Unterstützung die G. W. Bush gerade auch aus England und Deutschland erhalten hat, die herbei gesprungen sind, um den Krieg zu unterstützen. Die Medien sind alles andere als neutral und berichten nur, was der Regierung dient. Die Bilder vom Anschlag sind längst ein Mittel, um das Trauma immer wieder wach zu rufen. Die Medien werden benutzt, um ein Klima der Angst zu erzeugen, gegenüber einem Feind, der ständig präsent ist, jedoch unsichtbar. Dieser unsichtbare Feind hinterlässt ein Gefühl von tiefer Unsicherheit und versetzt uns ständig in Unruhe. Das Zusammenspiel von Lähmung und Panik führt zu einem Zustand der Erstarrung. Dies erzeugt ein Klima von Gehorsam und Unterordnung. In dieser psychologischen Situation sind Gesetze verabschiedet worden, mit denen die demokratischen Rechte eingeschränkt werden wie nie zuvor und die Geheimdienste fast uneingeschränkte Rechte bekommen. Man kann sagen, dass die Polizei militarisiert wird, das Militär dagegen immer mehr Polizeifunktion übernimmt. Wir erfahren und erleben heute, dass die Gewalt welche in unserem Namen in der ganzen Welt ausgeübt worden ist, sich jetzt immer mehr gegen uns selbst richtet.

connection: Wie kann man aus der Perspektive der Tiefenökologie diese Entwicklung verstehen und nutzen?
Joanna Macy: Wir sind lebende Wesen im lebendigen Körper der Erde, völlig wechselseitig und tief verbunden mit all den anderen Lebensformen. Wenn wir uns das klarmachen, kann das helfen. Aus dieser Perspektive lautet die Botschaft: Sei mit deinem Schmerz, verstehe diesen Schmerz und schaue auf die Ursachen. Öffne dich der Kraft, der Verbundenheit und der Gemeinschaft, die daraus hervor geht. Die Trauer um den Zustand der Welt ist in Ordnung, denn dein Herz kann nicht brechen, und wenn es doch brechen sollte, sagt man: »Ein Herz das bricht, kann das ganze Universum aufnehmen.« Dieser Schmerz sagt dir, dass du nicht allein bist. Jeder von uns hat das Recht, mit der Autorität der Erde aufzustehen und sich dieser Entwicklung in den Weg zu stellen. Nur wer sich isoliert fühlt, ist schwach. Im Netz des Lebens sind wir langfristig unschlagbar. Das müssen wir begreifen.


 
Quelle: Connection Medien GmbH, D-84494 Niedertaufkirchen
http://www.connection-medien.de
silvia@connection-medien.de
    

Artikel drucken   Fenster schließen