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Tantra oder die Kunst des Seins
Magazin-Beitrag
Die altindische Lehre des Tantra war bis vor 20 Jahren im Westen weitgehend unbekannt. Eco-World beleuchtet die für viele geheimnisvolle Lehre, für die Sex ein wichtiger, aber eben nicht der einzige Aspekt ist.

Tantra löst bei vielen Menschen Ängste und Sehnsüchte zugleich aus, weil es im Gegensatz zu den meisten anderen spirituellen Bewegungen oder Religionen ohne Umschweife einen zentralen und wunden Punkt unseres Mensch-Seins anspricht: Wir sind leidenschaftliche, sexuelle Wesen und eben nicht nur vom Verstand geleitete "wissende Menschen".

Doch die unserer westlichen Kultur innewohnende Betonung der Technik und des Verstandes sowie die durch zwei Jahrtausende christlicher Religion zementierte Tabuisierung alles Sexuellen hat zu einer tiefgreifenden Trennung von Körper und Seele geführt. "Ich denke, also bin ich " postulierte Descartes am Beginn des Zeitalters des modernen Rationalismus - das Fühlen blieb bezeichnender Weise auf der Strecke. Bis heute ist der Umgang mit Gefühlen, vor allem sexuellen Gefühlen, blockiert. Daran ändert auch die scheinbare Lockerheit unserer Gesellschaft, in der in Talkshows intimste Dinge ausgebreitet werden und nackte Körper in Filmen, Werbespots und Hochglanzmagazinen allgegenwärtig sind, nichts. Sex wird oberflächlich als Ware angeboten, zur Quoten-und Auflagensteigerung genutzt oder als Werbemittel eingesetzt. Mit Gefühl und Liebe, die in der körperlichen Vereinigung von Mann und Frau ihren tiefsten Ausdruck finden, hat das schon lange nichts mehr zu tun.

Liebe als Weg der Heilung
Die Beschäftigung mit Tantra bietet die Möglichkeit, diese künstlich geschaffene Trennung von Körper, Gefühl und Seele zu überwinden. Denn eine Bedeutung des Wortes "Tantra" ist das "Ineinander verweben von allem, was ist". Allen Lowen, Gründer des Tantra-Instituts "The Art of Being", erklärt: "Das spielt darauf an, dass man selbst als Frau oder Mann ganz wird. Es bedeutet aber auch, dass man durch die intime Vereinigung mit einem Geliebten zu spiritueller Verbundenheit mit allem findet - das Erwachen, das die Liebe über die persönliche Ebene hinausträgt und uns verbindet, mit dem Gott, der Göttin, der Quelle, der Unendlichkeit - oder wie auch immer man das transzendente Mysterium des Seins nennen mag."

Die sexuelle Vereinigung ist für den Tantriker jedoch kein Selbstzweck. Sie erhält ihre Bedeutung aus dem Umstand, dass sich der Mensch zunächst seines grundsätzlichen Alleinseins auf der Welt bewusst wird und lernt, dies als etwas Positives zu akzeptieren. Denn Allein sein heißt nicht, einsam zu sein. Es bedeutet viel mehr mit allem, was ist, verbunden zu sein, auch mit sich selbst. Sich selbst zu lieben,und damit ist weder Egozentrik noch Ellenbogen- Mentalität gemeint, ist Voraussetzung dafür. Denn wer sich selbst nicht liebt, kann auch seinen Mitmenschen nicht richtig lieben und damit das urchristliche Gebot erfüllen: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Nicht ohne Grund mussten sich im traditionellen Tantra die Schüler in jahrelanger Meditationspraxis üben, bevor sie in die sexuellen Praktiken eingeführt wurden. So stellte man sicher, dass es nicht um das vordergründige Ausleben von Sex ging. Da diese Meditationspraxis unter modernen westlichen Bedingungen kaum nachvollziehbar ist, wird Tantra heute in einer hauptsächlich vom indischen Mystiker Osho Rajneesh inspirierten Form praktiziert.

Dabei geht vor allem darum, das Leben in all seinen Aspekten anzunehmen und das Leben zu leben, anstatt es permanent nach medial vorgegebenen Kriterien zu bewerten. Dazu gehört auch, alle Gefühle zuzulassen und auszuleben und nicht nur den vermeintlich guten Gefühlen hinterher zu hecheln. Im Zustand des Sein inne zu halten und sich und den anderen so sein zu lassen anstatt immer nur zu Tun oder zu Haben, das ist die Kunst, die der Tantriker zu erreichen sucht.

Diese innere Umwandlung macht den Weg für neue sinnliche Erfahrungen, auch sexueller Natur, frei. Denn in der Bereitschaft, auch Schmerz und Trauer zu ertragen, liegt die Chance, Liebe und tiefe Zufriedenheit als Geschenk zu empfangen. Der Besuch eines Tantra-Seminars hat also entgegen weit verbreiteter Vorurteile nichts mit dem Besuch einer Partnervermittlung oder eines Swinger-Clubs gemein, sondern kann der Einstieg sein auf dem Weg zu innerer Zufriedenheit und zur Kunst des Seins.


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