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Menschen und Visionen: Wangari Maathai
Portrait-Serie: Träger des alternativen Nobelpreises
Wangari Maathai

begründete als Präsidentin des kenianischen Frauenverbandes die "Grüngürtel-Bewegung", die in den letzten 25 Jahren mehr als 20 Millionen Bäume in dem ostafrikanischen Land pflanzte, um die Erosion zu stoppen. Die Bewegung hat mittlerweile mehr als eine Million Mitglieder und entwickelte sich zu einer starken politischen Kraft, die dazu beitrug, das autokratische Regime zu stürzen. Wangari Maathai engagiert sich weltweit für Umweltschutz und das Recht auf eigene Entwicklungswege der III.Welt-Länder, gehört zu den wichtigsten Kritikern der Globalisierung und der Gen-Technik. Seit 2003 ist sie stellvertretende Umweltministerin Kenias. Sie erhielt den Alternativen Nobelpreis 1984 und wurde 2004 mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet.

Grüne Gürtel für Mutter Erde
Gut 30 Jahre ist es her, dass die Biologin Wangari Maathai in Kenia verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Teufelskreis aus Unterentwicklung, Armut und Diktatur suchte Aus dem landwirtschaftlich reichen ostafrikanischen Land war durch Kolonialismus und eine an Profit und Exporten orientierte Entwicklungspolitik tote Erde geworden. Große Monokulturen für den lukerativen Kaffee- und Teeanbau hatten die Böden ausgelaugt. Alter Baumbestand und windbrechende Büsche waren gerodet worden, um immer mehr Anbauflächen für den Export zu gewinnen. Der kurzfristige Anstieg der Profite hatte die langfristigen Folgen einer solchen Landwirtschaft in den Hintergrund treten lassen: Die Qualität der Böden nahm ab, ohne Wurzeln wurde die dünne Humusschicht vom Wind abgetragen, es gab immer weniger Feuerholz für die Armen, um zu Kochen und zu Heizen. Die Versteppung und Ausdehnung der Wüsten nahm zu, das Grundwasser sank immer tiefer. Für ein Land wie Kenia, in dem 90 % der Menschen auf und von dem Land leben und Holz 75 % des Energiebedarfs deckt, war das eine katastrophale Entwicklung. Die soziale Krise schien unvermeidbar: Die Menschen flohen von dem Land, das sie nicht mehr ernähren konnte, sie wurden abhängig von internationaler Hilfe und einer Lebensmittelindustrie, die hochverarbeitete und teure Produkte anbot. Die Krise wurde genau mit den Methoden bekämpft, die sie hervorgebracht hatte: Mehr Monokulturen sollten mehr Devisen ins Land bringen, mit denen mehr Dünger, Pestizide und Chemikalien gekauft werden sollten, um mehr zu produzieren.

Mehr Bäume sollten die Lösung sein.
Bei der jungen kenianischen Wissenschaftlerin Wangari Maathai wuchs die Einsicht, dass völlig neue Wege begangen werden mussten: "Die Slums in den Städten waren nur ein Symptom der Umweltzerstörung. Die heutigen Probleme hängen direkt mit den Fehlern von Gestern zusammen." Um das Problem an der Wurzel zu lösen, kam sie auf die visionäre Idee, das Land neu zu "verwurzeln". Mehr Bäume, so erkannte sie, konnten die Lösung sein. Sie würden alle Aspekte der Spirale in Armut und Abhängigkeit berühren. Bäume könnten Feuerholz liefern, düngendes Laub, Früchte, Honig, Heilkräuter und neue Rohstoffe für Häuser, Zäune und Gebrauchswaren. Bäume konnten die Schönheit der Landschaft wiederbeleben und mit ihr die Liebe zum Land, sie lieferten Lebensqualität und Schatten, Nahrung für Leib und Seele. Als Wangari Maathai mit ihrer Idee, in Kenia 15 Millionen Bäume zu pflanzen, im staatlichen Forstamt vorstellig wurde, lachte man sie aus und versprach ihr voreilig, für die nötigen Samen schon sorgen zu können. Das Lachen sollte den Staatsförstern schon bald vergehen. Längst sind Millionen von Bäumen gepflanzt, überall im Land sind Baumschulen entstanden, Kenia ist von einem Netz grüner Gürtel überzogen. Die Landbevölkerung hat ihr Selbstbewusstsein wiedergefunden. Und Wangari Maathai ist heute nicht nur stellvertretende Umweltministerin ihres Landes, sondern auch die Friedensnobelpreisträgerin 2004.

Viele Faktoren mussten zusammenkommen, um diese erstaunliche Entwicklung zu ermöglichen. Wangari Maathai's Trumpf war ihre enge Zusammenarbeit mit dem Kenianischen Frauenverband. Hier verstand man 1977 die Zusammenhänge zwischen mangelnder Gleichberechtigung, sozialer Not, verkehrter Entwicklung und Umweltzerstörung und war mit einer schon gut funktionierenden Infrastruktur bereit, die Idee zu unterstützen, Kenia mit "grünen Gürteln" aus der Not herauszuführen. Doch anstatt mit komplexen politischen Programmen und einer komplizierten Aufklärungsarbeit zu beginnen, machten sich die Frauen um Wangari Maathai zunächst daran, die unmittelbare Not in den Slums zu lindern. Woran es hier fehlte, waren Selbstbewusstsein, Arbeit, Perspektive. Gerade die Frauen reagierten begeistert auf die Idee, Baumschulen zu gründen und mit Hilfe der Schwächsten - Kindern und Behinderten - das Land aufzuforsten, den fruchtbaren Boden zu sichern und sich dabei zugleich ein nachhaltiges Einkommen durch den Verkauf von Samen und Setzlingen zu schaffen. Informationsveranstaltungen und Seminare fanden regen Zulauf, nicht nur am Rand der Slums, sondern überall im Land wurde gebuddelt und gepflanzt, gehegt und gepflegt.

Aus einer Aktion gegen die pure Not wurde eine Sache des Herzens.
"Wir pflanzten zunächst Obstbäume, die im tropischen Klima schnell wuchsen, schon nach zwei Jahren Früchte trugen, nach fünf Jahren zu Baumaterial werden konnten und Jahr für Jahr Samen produzierten, die den Frauen Geld brachten" erinnert sich Mangari Maathai. "Doch das wundervollste an den Bäumen war ihre Lebendigkeit: Je mehr sie wuchsen, desto tiefer traten die Menschen mit ihnen in Beziehung, freuten sich an ihnen, pflegten sie. Aus einer Aktion gegen die pure Not war eine Sache des Herzens geworden. Und ohne große ideologische Aufklärung hatten alle verstanden, dass Umwelt, regionale Entwicklung, Eigeninitiative, Gemeinschaftsbildung und bessere Zukunftsperspektiven eng miteinander verwoben sind." Jede Pflanzaktion wurde zu einem rituellen Fest, indem die Bäume zu Ehren von verdienten Ältesten und Ahnen gepflanzt wurden, um die Wiederbelebung des Landes mit der Bewahrung der traditionellen Werte zu verbinden. Und mit jedem neuen Baum wurde zeremoniell an die Rechte künftiger Generationen erinnert:

"Wir wissen, dass Kenia von der Austrocknung bedroht ist und das Wachstum der Wüsten die Folge einer falschen Landwirtschaft ist, die durch Rodungen die Erosion der Böden fördert und zu Dürren, Nahrungsmangel, Hungersnöten und Tod führt.
Wir erklären hiermit, unser Land durch Pflanzungen, überall wo es möglich ist, zu retten. Indem wir dies erklären, verpflichtet sich jeder von uns persönlich dazu, unser Land vor Handlungen und Einflüssen zu bewahren, die für heutige und künftigen Generationen die Fülle der Natur zerstören, die eines Eigentum und Lebensrecht ist."

"Wir alle bringen etwas entscheidendes aus der Vergangenheit mit"
Darin lag nicht nur eine klare politische Ausrichtung, sondern auch eine psychologisch tiefgehende Rückbindung an die afrikanische Vergangenheit. "Wir alle bringen etwas entscheidendes aus der Vergangenheit mit", so Wangari Maathai. "Da liegt unsere Identität und Sicherheit, die wir brauchen, um unseren Platz in der Menschheit einzunehmen. Um uns zu vertrauen, müssen wir wissen, wer wir sind und uns selbst wertschätzen. Und wenn wir uns selbst wertschätzen, geben wir auch der Natur und künftigen Generationen einen Wert." Schon zu Anfang der 90er Jahre waren in Tausenden von Dörfern mehr als 10 Millionen einheimische Bäume gepflanzt worden, lokale Greenbelt-Initiativen hatten mehrere hundert Baumschulen gegründet, des Lesens und Schreibens unkundige Frauen waren zu Kleinunternehmern geworden, zahllose Arbeitsstellen waren neu geschaffen worden, die Integration von Behinderten hatte die dörflichen Gemeinschaften solidarischer werden lassen und den Rechtlosen neuen Mut gegeben.

Die gesunden Bäume der Grüngürtel-Bewegung legten die die Wurzeln der Fehlentwicklung immer mehr bloß.
Die Bäume begannen nicht nur, das Land aufzuwerten und das Leben der Frauen zu erleichtern. Der Mythos, hilflos der Armut und Zerstörung ausgeliefert zu sein, zerbrach. Frauen, Kinder und Behinderte lebten den Männern eine Lösung vor. Zukunft wurde erahnbar, eine bessere Welt für künftige Generationen sichtbar. Es blieb nicht eine Sache der Frauen. Die Grüngürtel-Bewegung wurde von Schule übernommen, Kleinbauern erkannten die Chance und ergriffen sie. Die Bewegung wuchs explosionsartig - und begann ganz von selbst, sich grundlegenderen Fragestellungen zuzuwenden: Was war in Kenia passiert? Wieso war öffentliches Land privatisiert worden und bis zur Zerstörung ausgebeutet worden? Wer hatte Interesse an so einer Landwirtschaftspolitik, welche Politiker profitierten als Großgrundbesitzer?
Welche internationalen Zwänge lagen auf dem Land, durch schnellwachsende Monokulturen Schuldendienste leisten zu müssen? Wieso war den ausländischen Unternehmen gestattet, die akut gefährdete Umwelt weiter zu belasten? Es schien, als würden die gesunden Bäume der Grüngürtel-Bewegung die Wurzeln der Fehlentwicklung immer mehr bloßlegen: Das Greenbelt-Movement und seine Aktivisten wurden politisch, begannen Forderungen zu stellen, sich zu organisieren, die Mechanismen der Globalisierung zu erkennen und zu einem kritischen und nicht immer beliebten Faktor der Politik zu werden. Es war deutlich geworden, dass menschliche Entwicklung, Gleichberechtigung, wirtschaftliche Stabilität und sozialer Friede nur in einer gesunden Umwelt wachsen konnten. Das ging nicht ohne grundlegende politische, rechtliche und wirtschaftliche Reformen. Und je mehr die herrschenden Strukturen von der Bewegung und ihren selbstbewusst gewordenen Aktivisten in Frage gestellt wurden, desto schwieriger wurde die Zusammenarbeit mit der Regierung. Als Wangari Maathain es wagte, sich gegen den Diktator Daniel arap Moi als Präsidentschafts-Kandidatin aufstellen zu lassen, wurde sie ins Gefängnis geworfen und zusammengeschlagen. Doch die Verfolgung sollte sie nur stärker machen. 2002 wurde der Autokrat auch mit Hilde der auf über eine Million Menschen angewachsenen Greenbelt-Bewegung gestürzt.

Die Spirale der ökologischen Zerstörung und der daraus resultierenden sozialen Not war durch die Initiative der Betroffenen vielerorts gebremst und häufig umgekehrt worden. Dem verbreiteten afrikanischen Selbstbild als Versager und Opfer im globalen Konkurrenzkampf hatten die Schwächsten der Schwachen ein nachhaltiges Modell entgegengesetzt. Gerade mit den Baum-Pflanzungen hatten die Schwächsten, Rechtlosesten und Hoffnungslosesten nicht nur ihre eigene Lebensqualität verbessert, sondern auch künftigen Generationen ein schöneres Land geschaffen. Statt an unerfüllbaren westlichen Wert- und Entwicklungsmaßstäben zwangsläufig zu scheitern hatten sie schlicht damit begonnen, ihre eigene Not zu lindern, sobald man ihnen Gelegenheit dazu gab. Neue Einsichten, neues Selbstbewusstsein, neuer Stolz, neue Forderungen waren daraus wie von selbst entstanden. Die Menschen hatten sich selbst entwickelt.

zit. nach:Maathai, Wangari: The Green Belt Movement, Bibliothek der Right Livelihood Foundation, Stockholm

Quelle: Goethe Institut 2005