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Menschen und Visionen: Hans-Peter Dürr |
Portrait-Serie: Träger des alternativen Nobelpreises |
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Magazin Hans-Peter Dürr
engagierte sich als renommierter Atom- und Quantenphysiker zunächst gegen die Rüstungsspirale im Kalten Krieg und die Star-Wars-Pläne der Reagan-Administration, bis er mit der Organisation 'Global Challenges Net-
work' eine Institution schuf, die global alternative wissenschaftliche Ansätze miteinander vernetzt, Umweltinitia-tiven plant und umsetzt und am Wandel des Weltbilds arbeitet. Er erhielt den Alternativen Nobelpreis 1987.
Frieden schaffen ohne Waffen
Das Engagement der Aktivisten für eine friedliche Zukunft, die mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurden, hat in den letzten zwei Jahrzehnten verschiedene Phasen durchlaufen. Vor dem Ende des 'Kalten Krieges' lag der Schwerpunkt darauf, den Wahnsinn der atomaren Hochrüstung und die Unsicherheit der Abschreckungsdoktrin in Frage zu stellen und die gegenseitigen Feindbilder durch vertrauensbildende Maßnahmen auf dem wissenschaftlichen und zivilen Sektor abzubauen. Gleichzeitig ging es darum, die Verflechtung wissenschaftlicher Einrichtungen mit dem militärischen Komplex abzubauen und das enorme wissenschaftliche Wissen für den Aufbau friedlicher Strukturen zu nutzen und zu vernetzen.
Hier tat sich besonders der Münchner Quantenphysiker und Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik, Hans-Peter Dürr hervor. Als Schüler von Werner Heisenberg und dem Erfinder der Wasserstoffbombe Edward Teller war er mit dem Denken der ersten Generation von Atomwissenschaftlern vertraut und konnte durch seine wissenschaftlichen Kontakte Initiativen auf höchster Ebene initiieren. Als Mitglied der später mit dem Friedennobelpreis ausgezeichneten Pugwash-Konferenz formte er eine breite Koalition atomkritischer Wissenschaftler, die sich aktiv für die Entspannung zwischen Ost und West einsetzten und begründete die Initiative 'Wissenschaftler für den Frieden', die bei einem historischen Kongress mit 3.300 Wissenschaftlern den 'Mainzer Appell' gegen weitere atomare Rüstung herausbrachte und sich kurze Zeit später gegen das SDI-Projekt von Ronald Reagan aussprach.
"Die atomare Hochrüstung gleicht einem außer Kontrolle geratenen Atomreaktor"
In seinen Veröffentlichungen, Reden und Interviews wies der Grundlagenforscher Dürr dabei immer wieder auf die inneren Widersprüche der herrschenden strategischen Dogmen hin und zeigte auf, wie wenig sie einer modernen 'holistischen' Sicht der Wirklichkeit entsprechen. Besonders das fehlende Verständnis in die komplexe systemische Eigendynamik von Konflikten ließ ihn zu der Aussage kommen, dass die atomare Hochrüstung einem außer Kontrolle geratenen Atomreaktor gleicht: Während in einem zivilen Reaktor die Kernschmelze jedoch im günstigsten Fall zu einer automatischen Abschaltung führe, bewirke das System der Abschreckung genau das Gegenteil. Im Falle eines auch nur technischen Fehlers, der zum Abschuss einer Interkontinental-Rakete führt, liegt es in der Logik des internationalen Systems, sich durch 'positive Rückkopplung' - also Schlag und Gegenschlag - bis zur völligen Zerstörung immer weiter aufzuschaukeln. Da militärische Systeme sich als geschlossene Systeme verstehen und statischen Regeln folgen, aber gleichzeitig im offenen und dynamischen System der Gesellschaft und der Biosphäre agieren, folgten sie - so Dürr - einer Risikoeinschätzung, die kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun habe.
"In offenen Systemen, die eng mit ihrer Umwelt verbunden sind, funktioniert statisches Denken in linearen Ursache-Wirkungsketten nicht und die Dynamik eines Systems gerät außer Kontrolle" Die inneren Feedbackschleifen zwingen das geschlossene System vielmehr dazu, einen zerstörerischen Kurs einzuschlagen. Am Beispiel des SDI-Projekts machte er deutlich, dass die eigentliche Absicht des Projekts - das atomare Schutzschild - unerreichbar bleiben muss: "Dynamisches Denken zeigt uns, dass die Konstruktion eines Verteidigungssystems im Weltraum notwendigerweise entsprechende Maßnahmen des Gegners provozieren muss, die dann wiederum die ursprüngliche Absicht sinnlos machen (...) Jeder technische Durchbruch beim Aufbau eines atomaren Schutzschildes führt gleichzeitig zur verbesserten Fähigkeit, es zu durchlöchern." Angesichts der Rüstungspläne der Bush-Administration ein höchst aktuelles Argument! Als genauso widersinnig charakterisierte er das statische Dogma eines 'militärischen Gleichgewichts': Bedingt durch die Unterschiedlichkeit der Konfliktparteien, die fortlaufende Entwicklung der Waffentechnologie, fehlerhafte Wahrnehmungen der gegnerischen Stärke und die Ambivalenz von Waffen, die sowohl für Verteidigung wie auch für den Angriff benutzt werden können, muss jede Seite konstant dafür Sorgen, stärker als der Gegner zu sein: "Ein Weg, diesen Teufelskreis aufzubrechen", so Dürr in seiner Rede zur Vergabe des Alternativen Nobelpreises, "wäre eine militärische Struktur, die jeden Angriffskrieg ausschließt" in einer Gesellschaft, die sich gleichzeitig um die Beseitigung der Wurzeln von Gewalt engagiert und damit stabilisiert.
"In diesem Zusammenhang müssen wir begreifen, dass die Evolution des Universums und des Lebens auf der Erde schrittweise immer höhere Ordnungsstrukturen von immer größerer Vielfalt und Differenzierung entwickelt hat. (...) Die Natur versucht nicht einzelne Teile auf Kosten anderer zu maximieren, sondern optimiert immer das system in einem vieldimensionalen Feld voller unterschiedlicher Optionen (...) Die Dezentralisierung und Differenzierung von Strukturen erhöht die Stabilität des Systems, bildet das Fundament seiner Selbsterhaltung und schafft die Voraussetzung für neue und höhere Organisationsformen"
"World Peace Initiative und "Global Challenges Network"
Aus dem Widerstand gegen das gigantische, aber interdisziplinäre militärische SDI-Projekt (Strategic Defence Initiative) entwickelte er die Idee einer pazifistischen "World Peace Initiative", aus der später sein Projekt "Global Challenges Network" (GCN) hervorging. Hier wurde der Umweltschutz, die Energiepolitik und die nachhaltige Entwicklung der Dritten Welt als unverzichtbare Elemente einer ganzheitlichen Friedenspolitik begriffen. Zur Zeit arbeitet GCN daran, ein umfassendes Internet-Portal zu erstellen, in dem Aktivisten aus aller Welt Zugang zu den Erfahrungen und Lernprozessen von Modellprojekten in aller Welt erhalten.
Hans-Peter Dürr engagiert sich heute primär dafür, das Grundwissen eines - aus der modernen Physik hervorgehenden - holistischen Weltbildes in die Gesellschaft hereinzutragen. Denn die moderne Grundlagenforschung war seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer weiter in die Geheimnisse der Natur eingedrungen und hatte die Grundannahmen des alten mechanistischen und atomaren Weltbildes völlig in Frage gestellt. Was als kleinste Teile wahrgenommen worden war, erwies sich als weiter, fast leerer Raum, in dem sich extrem kleine Teilchen, die Elektronen, um den Kern bewegten. Und diese subatomaren Elemente zeigten eine absurde Doppelnatur. Je nachdem, wie das Experiment aufgebaut war, erschienen sie einmal als Teilchen, einmal als Welle. Doch wo der Forscher mitbestimmte bei dem, was er sah, verschwamm das Bild der unwandelbaren objektiven Realität. Damit nicht genug: Drang man weiter in die Struktur der Elementarteilchen ein, so lösten sie sich auf in Beziehungsstrukturen, Gestalt ohne Substanz, die sich fortlaufend veränderte, so Hans-Peter Dürr (RLA 1987)
"Die Quantentheorie hat herausgefunden, dass die Wirklichkeit nicht eine Struktur hat, die sich aus ihren Teil erklärt, sondern das sie im eigentlichen Sinn holistisch ist, das alles mit allem zusammenhängt. Das bedeutet, dass der Versuch der alten Physik alles aus den Gesetzmäßigkeiten des Kleinsten zu erklären und dann nur gewissermaßen hochzurechnen, gar nicht wirklich stimmt. Die moderne Physik, die wir haben, behauptet nicht, das die klassische deterministische Physik falsch ist, aber das sie nur einen gewissen Teil der Wirklichkeit erklärt und nicht das Ganze."
Moderne Wissenschaft beginnt nun zu erkennen,
dass die Vielzahl der Krisen in unserer Welt in einem gemeinsam Punkt wurzelt: einer fehlerhaften Wahrnehmung von Realität. Nicht nur für die Grundlagenforscher, sondern auch für die Aktivisten in aller Welt ging es darum, sich neue Ebenen der Wahrnehmung zu erschließen und Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten, die unter der Oberfläche des Sichtbaren wirken. Die Kernaussage der holistischen Weltsicht lautet: Alles ist mit allem verbunden, alles beeinflusst sich gegenseitig. "Nur die Einbettung gibt mir die Möglichkeit, meinen Standort im allgemeinen Kontext zu sehen", sagt Hans-Peter Dürr "Dann erst kann ich meine Verantwortung wahrnehmen." In der Praxis kann das bedeuten, die Einsicht in die Zusammenhänge zwischen unseren Handlungen und deren Folgen erst zu ermöglichen: dass der Gebrauch von PVC-Bechern Robben tötet, dass der Genuss von Parmaschinken Schweinefabriken in der Poebene und über die Fäkalien die Algenpest der Adria fördert, dass das argentinische Rindersteak in der Kühltruhe die Vertreibung der Kleinbauern in Südamerika beschleunigt etc..
Werden die Gesetze des größeren Systems so weit missachtet, dass es die Fähigkeit zur Selbstregulation einbüßt, wird es sich nach den Regeln der Selbstorganisation neu strukturieren. Dies kann im Fall des Systems Biosphäre die Lebensbedingungen so weit verändern, dass für den Menschen kein Platz mehr bleibt. Nicht die Natur ist zur Zeit gefährdet, sagt deshalb Hans-Peter Dürr, sondern der Mensch: "Die Natur braucht uns überhaupt nicht leid zu tun. Der ist es nämlich vollkommen egal, ob wir auf der Erdoberfläche herumkrabbeln oder nicht. Wenn Menschen ihre Lebensgrundlagen zerstören, kommt sie nicht in Verlegenheit. Sie besteht weiter. Wenn wir jetzt die Rahmenbedingungen ändern wollen, bedeutet das nicht, dass wir die Natur schützen, sondern wir schützen unsere eigene Lebensgrundlage."
Weitere Informationen:
Hans-Peter Dürr - Global Challenges Network
www.gcn.de
Quelle: Goethe Institut 2005
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